Schwere Geburt: So prekär steht es um unsere Geburtsstationen

Hier gut, dort schlecht: So steht es um die Versorgung von Neugeborenen in der Region. 
Hier gut, dort schlecht: So steht es um die Versorgung von Neugeborenen in der Region.  Foto: dpa

In diesen Tagen wird sie wieder erzählt, die Geschichte von Maria und Josef auf der Suche nach einer Herberge und einem Ort, wo sie Jesus zur Welt bringen können. So wie Maria und Josef suchen auch heute immer mehr Eltern verzweifelt nach einer Geburtsstätte. Denn obwohl in vielen Regionen in Rheinland-Pfalz die Geburtenzahlen steigen, schließt gerade im ländlichen Raum eine Geburtsstation nach der anderen. Allein in den vergangenen zehn Jahren war es in Rheinland-Pfalz mehr als jede Dritte, von 49 Stationen im Jahr 2009 werden so Ende des Jahres noch 30 übrig sein.

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Eines der jüngsten Beispiele: die Schließung der Geburtsstation des Maria-Hilf-Krankenhauses in Daun. Noch im November demonstrierten mehr als 1500 Menschen dagegen, 8000 unterzeichneten eine entsprechende Petition. Mahnwachen folgten auf Gesprächskreise, der Kreis Vulkaneifel und die Verbandsgemeinden Ulmen und Daun wollten Geld bereitstellen, um die Geburtshilfe zu erhalten. Auch das rheinland-pfälzische Gesundheitsministerium schaltete sich ein. Vergeblich. Seit gut einer Woche werden in Daun keine werdenden Mütter mehr neu aufgenommen. Ende Dezember ist endgültig Schluss.

Alles eine Frage des Geldes?

Der Grund laut Geschäftsführung: Seit mehr als einem Jahrzehnt gelingt es nicht mehr, genügend Fachärzte in das Eifelstädtchen zu holen. Zwei Belegärzte für Geburtshilfe sind zwar im Dienst, einer ist aber älter als 70 Jahre. Und eigentlich müssten es auch vier sein. Außerdem muss ein Kinderarzt rund um die Uhr abrufbar sein, um die Station betreiben zu dürfen. Auch das ist der Klinikleitung zufolge seit Jahren nicht mehr möglich. Nicht zuletzt arbeitete die Station mit rund 400 Geburten pro Jahr unwirtschaftlich, es fehlt rund eine halbe Million Euro für den Betrieb.

Lohnt es sich schlicht nicht mehr, Kinder zur Welt zu bringen – jedenfalls nicht für die Kliniken? So pauschal könne man das nicht sagen, meint ein Sprecher der Krankenhausgesellschaft Rheinland-Pfalz, die die Interessen der Träger vertritt. „Grundsätzlich ist es das Ziel der Träger, eine flächendeckende Versorgung auch in dem Bereich zu gewährleisten“, sagt er. Die Geburtshilfe sei kein Thema, „das man rein wirtschaftlich betrachten kann“. Vor diesem Hintergrund befürchtet die Krankenhausgesellschaft auch keine Schließungswelle in den kommenden Jahren.

Für absolut unmöglich hält der Sprecher weitere Schließungen jedoch nicht. „Gerade kleinere Abteilungen sind immer im Nachteil“, sagt er. Zum einen – das zeige auch der Fall Daun – sei es für Geburtsstationen abseits größerer Städte schwierig, Fachpersonal zu finden und dann auch zu halten. Zum anderen sei „Größe in der Geburtshilfe noch immer ein wesentlicher Faktor“. Denn Geburten werden in Deutschland pauschal abgerechnet, also pro Fall. Das bedeutet: Je weniger Geburten eine Klinik hat, umso schwieriger ist es, die dahinterstehende Struktur wie Personal und Medizintechnik zu finanzieren. Die Fallzahlen, die benötigt werden, um die Betriebskosten zu erwirtschaften, werden immer größer. Noch liegen sie Experten zufolge bei 600 bis 800 Geburten im Jahr, dieser Wert dürfte aber auf mehr als 1000 Geburten steigen. Zur Einordnung: Allein in Rheinland-Pfalz verzeichnen zehn der 30 Stationen, die es Ende des Jahres noch geben wird, weniger als 600 Geburten.

Helfen könnte ihnen eine Gesetzesänderung, die zum 1. Januar 2019 in Kraft tritt. Ab dann zählen Geburtsstationen zu den basisversorgungsrelevanten Leistungen eines Krankenhauses. Die Kliniken können einen sogenannten Sicherstellungszuschlag von bis zu 400.000 Euro pro Jahr erhalten – allerdings nur dann, wenn sie bestimmte Qualitätsstandards einhalten und werdende Eltern mehr als 40 Minuten Fahrzeit brauchen würden, um eine alternative Geburtsstation zu erreichen.

Inwiefern sich die Situation in Rheinland-Pfalz dadurch entspannt, bleibt also abzuwarten. Tatsächlich ist bundesweit eher eine Zentralisierung der Geburtshilfe zu beobachten. Kleinere Einrichtungen schließen, größere Stationen und die sogenannten Perinatalzentren wachsen. In Perinatalzentren werden Risikoschwangere sowie Früh- und Neugeborene versorgt – in zwei Stufen: Eine Fachklinik des Level 1 behandelt Frühchen mit einem Geburtsgewicht weniger als 1250 Gramm, die vor der 29. Schwangerschaftswoche geboren werden. In Perinatalzentren des Level 2 werden Frühgeborene mit einem Geburtsgewicht zwischen 1250 und 1499 Gramm versorgt, die zwischen der 29. und 32. Schwangerschaftswoche zur Welt kommen.

In Rheinland-Pfalz gibt es neun dieser Zentren. Insgesamt habe „der Konzentrationsprozess aus Sicht der Patientinnen- und Neugeborenensicherheit“ deshalb auch positive Aspekte, heißt es aus dem Gesundheitsministerium. Aber: Nicht jede Schwangerschaft ist gleich eine Risikoschwangerschaft. Und viele Frauen fühlen sich gerade in kleineren Kliniken wohler, empfinden die Atmosphäre als intimer und die Betreuung als persönlicher. Das ist jetzt auch aus Daun zu hören.

In der Eifel geht die Angst um

Werdende Mütter aus der Region müssen nun auf die Kliniken in Mayen, Wittlich oder Bitburg ausweichen – oder eben doch in die Perinatalzentren in Trier oder Koblenz, wenn es Komplikationen gibt. Fahrzeiten von bis zu einer Stunde inbegriffen. Schilderungen von vorgeburtlichen Odysseen von Frauen in den Wehen machen die Runde. Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass in Daun ein Storchenwagen eingesetzt werden soll – ein zusätzlicher Rettungswagen also, der speziell für die Bedürfnisse Gebärender ausgestattet ist.

Die letzte Geburt im Dauner Maria-Hilf-Krankenhaus wird für den Jahreswechsel erwartet. Doch auch danach wird das Thema nicht ruhen. Das kündigt Tim Becker, Sprecher der Elterninitiative „Geburtshilferettung“, an. Auf die Straße werden die Dauner wohl erst einmal nicht mehr gehen. Aber geprüft wird, wie im Rahmen des WEGE-Prozesses und mithilfe von Zukunftskonferenzen konkrete Lösungen erarbeitet werden können. WEGE ist die Abkürzung für „Wandel erfolgreich gestalten“, ein von der Verbandsgemeinde Daun initiierter Kanon verschiedener Projekte, um Antworten auf die demografische Entwicklung zu finden. „Wir werden die Impulse aus dem starken Engagement für die Geburtshilfe aufnehmen und das weitere Vorgehen so moderieren, dass die Belange der Bürgerinnen und Bürger berücksichtigt werden“, sagt Becker. Bei kleinen „Reparaturen“, die letztlich Kommunen und Familien allein tragen müssen, soll es nicht bleiben. Für Becker steht fest: „Die Problematik tritt in ganz Deutschland immer deutlicher zutage. Die Vulkaneifel ist kein Einzelfall, sondern nur besonders krass in den Auswirkungen. Gerade darum müssen wir am Ball bleiben.“ In einem Stall zwischen Ochs und Esel will heute schließlich niemand sein Kind zur Welt bringen.

Von Angelika Koch/Angela Kauer-Schöneich

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Warum Kreißsäle zur Grundversorgung zählen sollten

Unter Hochdruck wird in der Vulkaneifel an einer Lösung für die Gebärenden gearbeitet, denn ihnen drohen nun weite Anfahrten zur nächsten Geburtsstation. Ein zusätzlicher Rettungswagen, ein sogenannter Storchenwagen, mit spezieller Ausstattung und geschultem Personal für Geburtshilfe ist ebenso im Gespräch wie Familienzimmer oder Unterkünfte in der Nähe der verbliebenen Geburtsstationen, auch Boarding genannt. In vielen ländlichen Regionen wird dies angesichts des immer lückenhafter werdenden Versorgungsnetzes bereits praktiziert. Es soll das Belegarztsystem ersetzen, das zum Beispiel in der Vulkaneifel in Ermangelung einer geburtlichen Hauptabteilung zur Anwendung kam.

„Zu der nicht kurzfristig lösbaren Problematik haben wir bereits häufig Stellung bezogen“, sagt Susanna Kramarz vom Berufsverband der Frauenärzte mit Sitz in Berlin. „Die meisten belegärztlich tätigen Geburtshelfer haben schon aufgegeben.“ Grund seien die explodierenden Haftpflichtprämien von mehreren Zehntausend Euro pro Jahr. „Genau wie für freiberufliche Hebammen ist es für Belegärzte schwierig, überhaupt noch einen Versicherer zu finden. Das gefährdet die gesamte Geburtshilfe.“ Nicht etwa die Schadensfälle seien mehr geworden, sondern die Schadenssummen, die gezahlt werden müssen, sind gestiegen. Dem gegenüber steht ein Einheitlicher Bewertungsmaßstab (EBM), der einem Belegarzt lediglich rund 200 Euro pro Geburt zubilligt. Bereits 2014 monierte der Gynäkologenverband, dass auf diese Weise die kostengünstige, wohnortnahe und patientenorientierte Belegarztlösung an die Wand gefahren werde und sich Entbindungen auf größere Klinikabteilungen konzentrierten.

Kramarz sieht das Bundesgesundheitsministerium in der Pflicht: „Es ist im Koalitionsvertrag vereinbart, dass die Geburtshilfen gestärkt werden müssen. Geschehen ist jedoch bislang nichts.“ Auch Ingrid Mollnar, Vorsitzende des rheinland-pfälzischen Hebammenverbandes, fordert eine politische Lösung anstelle von kleinteiligen Reparaturen, die Kommunen und Akteure am Ort allein stemmen müssen. Man müsse nicht einmal auf die Berliner Politik warten, sondern könne in Rheinland-Pfalz handeln: „Wir brauchen definitiv eine Regelung in der Krankenhausplanung, dass Geburtshilfe zur Grundversorgung gehört, die ein Krankenhaus zu leisten hat.“ Andernfalls sei absehbar, dass auch Geburtsstationen wie etwa Mayen mit rund 600 Geburten pro Jahr vor dem Aus stehen. „Wenn die Entwicklung unverändert weitergeht, gelten bald nur noch Abteilungen mit 1000 Geburten und mehr als vertretbar.“

Die in Daun angedachten Maßnahmen wie der Storchenwagen oder das Boarding sieht Mollnar eher kritisch. „Das sind bei der Politik beliebte Schlagworte, mit denen auch falsche Erwartungen geweckt werden und die am tatsächlichen Bedarf vorbeigehen.“ Die praktischen Erfahrungen etwa in Schleswig-Holstein mit derartigen Konzepten seien sehr ambivalent. Junge Familien berichteten dort von enormem Stress durch den kurzfristigen Umzug in eine kliniknahe Unterkunft, was wiederum zum erhöhten medizinischen Interventionsbedarf führe. „Außerdem sind viele Details nicht geklärt: Wer übernimmt zum Beispiel die Kosten, wenn der Storchenwagen zu früh alarmiert wurde und die Gebärenden wieder heimfahren müssen? Und bleiben die Familien auf den Unterkunftskosten sitzen, obwohl sie doch Krankenkassenbeiträge zahlen, von denen auch Geburtshilfe abgedeckt ist?“

Mollnar begrüßt allerdings, dass sich die Menschen in der Eifel jetzt sehr für das Thema engagieren. „Das legt den Finger in die Wunde. Nur so kann sich etwas ändern!“ Sie hofft, dass es landesweiten Aufwind für den Erhalt der Geburtshilfen gibt. Angelika Koch

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