RZ-INTERVIEW: Schwappt das Öl in einem Jahr an unsere Küste?

Kiel – Nach einer Computersimulation des Kieler Leibniz-Instituts für Meereswissenschaften und amerikanischer Wissenschaftler könnte sich der Ölteppich binnen weniger Monate über den Golfstrom bis weit in den Atlantik ausbreiten. Die Berechnungen beruhen auf einem Ozeanmodell, das am amerikanischen Nationalen Zentrum für Atmosphärenforschung (NCAR) in Boulder (Colorado) entwickelt wurde.

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Es gilt als „hochauflösend“, weil es den Ozean in kleine Quadrate von jeweils zehn mal zehn Kilometer Seitenlänge unterteilt. Anhand des Modells rechnete ein Supercomputer Szenarien aus, welchen Weg sich das Öl suchen könnte. Wir sprachen mit dem Leiter des Instituts, Martin Visbeck.

Wann schwappt das Öl auch nach Europa rüber?

Nach jetzigem Stand erreicht das Öl frühestens in einem Jahr Irland und die Nordsee. Erste Ölmengen sind jetzt vor der Floridastraße, dem Eingang des Golfs von Mexiko in den Atlantik, dokumentiert worden. Dort befindet sich der Hauptzufluss des Golfstroms. Unser Modell zeigt, dass der Golfstrom das Öl schon bald in den Nordatlantik tragen könnte. Dort würde es sich mit hoher Geschwindigkeit weiter verteilen. Die Strömung schafft dort bis zu 150 Kilometer am Tag, nimmt aber an der Stelle, wo sich der Golfstrom von der amerikanischen Ostküste löst, deutlich ab.

Also besteht keine Gefahr für unsere Küsten?

Vorerst nicht. Durch die starke Verwirbelung des Golfstroms würde sich das Öl weitläufig im Atlantik verteilen und die Konzentration damit so stark absinken, dass sie für die Lebenswelt der Nordsee völlig unproblematisch wäre. Mit einer geringen Ölmenge von 1:10 000 wird ein Meeresökosystem fertig, mit einer solch massiven Verschmutzung wie im Golf von Mexiko natürlich nicht. Allerdings gibt es noch Unwägbarkeiten.

Die da wären?

Wir wissen bisher wenig über die genaue Menge des ausströmenden Öls sowie über die Auswirkungen der Chemikalien, die es zersetzen helfen sollten – zum Beispiel, wie gut sich diese biologisch abbauen lassen. Außerdem wabert ein Großteil des Öls – anders als nach einem Tankerunglück – unterhalb der Wasseroberfläche. Es gibt keine Erfahrungswerte darüber, inwieweit es von Tiefenströmungen transportiert wird. Klar ist aber, dass der Abbauprozess dort deutlich langsamer verläuft. Auch wenn wir auf der Basis der bisherigen Berechnungen Entwarnung geben können, benötigen wir weitere Untersuchungen, insbesondere um die Langzeitfolgen besser abschätzen zu können. Wenn das Öl bis zum August weiter ungemindert ausströmt, müssen wir unsere momentanen Abschätzungen möglicherweise revidieren.

Die Fragen stellte Daniel Weber