Regretting Motherhood: Mütter zwischen Glück und Reue

In Deutschland ist die Vereinbarkeit von Familie und Beruf immer noch mangelhaft, beklagt sich die Soziologin Christina Mundlos. Könnte das ein Grund sein, weswegen einige Frauen es bereuen, Nachwuchs bekommen zu haben?
In Deutschland ist die Vereinbarkeit von Familie und Beruf immer noch mangelhaft, beklagt sich die Soziologin Christina Mundlos. Könnte das ein Grund sein, weswegen einige Frauen es bereuen, Nachwuchs bekommen zu haben? Foto: VadimGuzhva - Fotolia

Warum fühlen sich viele Frauen von den gesellschaftlichen Erwartungen erdrückt? Und kann man das wirklich: Bereuen, Kinder bekommen zu haben?

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Von unserer Reporterin Agatha Mazur

Dass die Mutterrolle sie unglücklich macht, ist Cathrin erst nach und nach bewusst geworden. Die 31-jährige Rheinland-Pfälzerin hat einen Sohn, der bald ein Jahr alt wird. „Ich hab mir das so schön vorgestellt, ein brabbelndes Baby auf der Decke, Momente des großen Glücks.“ Doch es kam anders.

Cathrin gehört zu den Frauen, die die Soziologin Christina Mundlos für ihr Buch „Warum Muttersein nicht glücklich macht“ interviewt hat. Seit die israelische Wissenschaftlerin Orna Donath mit ihrer Studie über „Regretting Motherhood“ (Mutterschaft bereuen) vergangenes Jahr für Aufmerksamkeit sorgte, wird auch in Deutschland diskutiert: Darf eine Mutter bereuen, Kinder bekommen zu haben?

Die Hannoveranerin Christina Mundlos spricht von einem „Muttermythos“: Muttersein führt nicht automatisch zum Glück (siehe Interview unten). Viele junge Frauen hätten zudem ein unrealistisches Bild von der Mutterschaft, behauptet sie, Werbung befeuert dieses verzerrte Bild zusätzlich. Und die Ansprüche an das, was eine „gute Mutter“ leisten soll, steigen immer mehr. Ein Gläschen aus dem Supermarkt genügt nicht mehr, selbst gemachter Brei muss es schon sein (Bio- und fair gehandelte Zutaten, versteht sich), zur Taufe und zu Geburtstagen rechnet das Umfeld mit eigens gebastelten Einladungen, und natürlich müssen alle Frühförderungsmaßnahmen mitgemacht werden – von Babyschwimmkurs über PEKiP (Prager Eltern-Kind-Programm) bis hin zu Baby-Yoga.

Verlust der Eigenständigkeit

Die Gesellschaft verlangt, bemängelt die Soziologin, dass die Frauen sich aufopfern, ihre Bedürfnisse ganz denen ihrer Kinder unterordnen. Und für ihre Erziehungsleistung noch nicht einmal Wertschätzung oder gesellschaftliche Anerkennung erhalten.

Viele Frauen, die Mundlos für ihr Buch interviewt hat, beschweren sich zudem über den Verlust der Eigenständigkeit und Identität. „Ich wollte manchmal einfach mein Leben wiederhaben, aber das ging nicht“, schildert zum Beispiel die 34-jährige Anna. Das Mutterbild in Deutschland wurde stark im Dritten Reich geprägt, betont Christina Mundlos. Hitler hat damals „Mutterkreuze“ verliehen und den Frauen vermittelt, dass sie für den Fortbestand der Gesellschaft und der „Rasse“ zuständig sind. So wurde das Bild der Mutter überhöht.

Hinzu kommt, dass wir in Deutschland ein schwieriges Verhältnis zur institutionellen Kinderbetreuung haben, sagt Mundlos. Das liegt daran, dass die Deutschen auf der einen Seite die Jugendorganisationen von Hitler hatten und auf der anderen Seite die Krippen in der damaligen DDR, in denen pädagogisch vieles schiefgelaufen ist. „Daher haben wir heute noch eine häufig negative Einstellung in den Köpfen“, ist sich die Soziologin sicher.

Doch es ist keine Mehrheit, die sich danach sehnt, wieder kinderlos zu sein. Aber es gibt Schlüsselthemen, die die Zufriedenheit besonders beeinflussen. Das ist zum Beispiel die Vereinbarkeit von Beruf und Familie. „Sehr viele von den Frauen, die ihre Mutterschaft bereuen, beklagen immer wieder, dass es unerträglich schwierig sei, Beruf und Familie unter einen Hut zu bekommen“, hat Christina Mundlos festgestellt.

Dagmar Ziegler ist Kuratoriumsvorsitzende beim Müttergenesungswerk, das sich deutschlandweit für die Gesundheit von Müttern einsetzt. Die SPD-Bundestagsabgeordnete sagt: „Mütter sind durch die Vielzahl der Anforderungen und Erwartungen stark überlastet. Sie stehen unter Stress. Das ständige Hin und Her zwischen Kindern, Haushalt und Beruf ist zu einem Bermudadreieck für Mütter geworden, in dem ihre eigenen Bedürfnisse verloren gehen, sie werden krank.“

Erschöpfte und kranke Mütter

Kann man den gesundheitlichen Effekt von überlasteten Mamas auch an Zahlen festmachen? Eine Maßnahme, um Müttern (aber auch Vätern) Kraft zu geben und sie vor Burn-out und Erschöpfung zu schützen wie auch die Bindung zu ihrem Kind zu stärken, sind Eltern-Kind-Kuren. Konkrete Fallzahlen besitzen die Krankenkassen nicht, häufig werden Eltern-Kind-Kuren auch nicht gesondert von anderen Therapiearten erfasst. Zusätzliche Schwierigkeit: Es wird nicht zwischen Mutter-Kind-Kur und Vater-Kind-Kur unterschieden. Worin sich aber die Krankenkassen einig sind, ist: Der Bedarf und die Bewilligung sind in den vergangenen Jahren gestiegen. Pressereferent Jan Rößler von der AOK Rheinland-Pfalz/Saarland bestätigt, dass sich im Zeitraum von 2011 bis 2015 die durchgeführten Vorsorgemaßnahmen (sowohl Mütter als auch Väter) um 67 Prozent erhöht haben. Barbara Becker, Fachbereichsleiterin Krankenhaus bei der Debeka in Koblenz, führt das unter anderem auf die Mehrfachbelastung zurück, der berufstätige Frauen ausgesetzt sind: Kind, Arbeit, Haushalt.

Dr. Hans-Heinrich Enders-Comberg arbeitet als Psychotherapeut in der Helios-Klinik in Diez, die sich auf Mutter-Kind-Kuren spezialisiert hat. Er hat im Laufe der Jahre festgestellt, dass der Anteil der Frauen, die sich in Behandlung begeben und die keine „gute Umgangsfähigkeit mit Alltagsproblemen“ haben, sprich überfordert sind, gestiegen ist. Das gilt vor allem für Frauen, die in prekären Verhältnissen leben. Doch Enders-Comberg warnt vor einer Generalisierung, man dürfe das nicht auf die Gesellschaft übertragen. Er sieht in jedem Fall auch individuelle Gründe, die zu einer Therapiebedürftigkeit führen.

Die 31-jährige Cathrin aus Rheinland-Pfalz hat mit Gleichgesinnten und Fachleuten über ihre Unzufriedenheit gesprochen. Sie hatte Angst, als schlechte Mutter abgestempelt zu werden und empfand Schuldgefühle. Alles zusammen führte in eine Depression, wegen der die Mediengestalterin derzeit in Behandlung ist. Aber Cathrin hatte Glück: Die Reaktionen ihres Umfelds waren „größtenteils aufbauend, mitfühlend“. Noch hat die junge Frau das Bild der glücklichen Mutter nicht aufgegeben. Vielleicht wird sie irgendwann doch noch ein zweites Baby bekommen.

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