Berlin

Reformationsjubiläum: Was Luthers Lehren heute bewirken

Von Stephan Cezanne

Am Reformationstag (31. Oktober) erinnern Protestanten in aller Welt an den Beginn der Reformation durch Martin Luther (1483–1546) und die Entstehung der evangelischen Kirche vor 500 Jahren. Jetzt, zum Reformationsjubiläum 2017, dient das Gedenken nicht wie in den Jahrhunderten zuvor der Abgrenzung von der römisch-katholischen Kirche. Im Gegenteil, die am 31. Oktober zu Ende gehenden Feierlichkeiten gelten bereits als historischer Schritt auf dem Weg der Kirchen zu größerer Einheit. Das Reformationsjubiläum ist das erste im Zeitalter der Ökumene. Einige Theologen warnten bereits vor einer Verwischung der Grenzen zwischen beiden Konfessionen.

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Kardinal Reinhard Marx dankte der evangelischen Kirche ausdrücklich für die ökumenische Ausrichtung des Reformationsjubiläums. Es habe anders als in früheren Zeiten „kein polemisches Wort“ gegeneinander gegeben, sagte der Vorsitzende der katholischen Deutschen Bischofskonferenz. Papst Franziskus selbst feierte mit den Protestanten, als er zum Start des Jubiläumsjahres am 31. Oktober 2016 in einer bislang einmaligen Geste für ein katholisches Kirchenoberhaupt an einem gemeinsamen Gottesdienst mit dem Lutherischen Weltbund im schwedischen Lund teilnahm.

In ersten Bilanzen herrscht große Einigkeit: Das Reformationsjubiläum war international von konfessioneller Offenheit, Freiheit und Ökumene geprägt – vor allem in Deutschland, wo es fast gleichviele katholische wie evangelische Christen gibt. Laut dem Ratsvorsitzenden der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Heinrich Bedford-Strohm, ist es gelungen, das Jubiläum ohne nationalistische und antikatholische Stoßrichtung zu feiern. Das gegenseitige Vertrauen zwischen Protestanten und Katholiken sei gewachsen.

Nach Ansicht des lutherischen Catholica-Experten Karl-Hinrich Manzke sind die Kirchen „auf dem Weg zur Einheit der westlichen Christenheit vorangekommen“. Er wolle bleibende Differenzen im Kirchenverständnis oder in der Urteilsbildung zu ethischen Fragestellungen nicht beschönigen. „Aber die Kirchen verbindet mehr als sie trennt“, betonte der Bückeburger Bischof und Catholica-Beauftragte der Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands (VELKD), der 9,5 Millionen evangelische Christen angehören.

Dass die Protestanten das Reformationsjubiläum in solch einer ökumenischen Ausrichtung feiern, „ist absolut epochal“, würdigte auch der Präsident des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK), Thomas Sternberg. Das Reformationsjahr sei ein „eindeutiges ökumenisches Zeichen“.

Unter die Hochstimmung mischen sich allerdings auch Töne der Ungeduld. So würdigt zwar auch die katholische Reformbewegung „Wir sind Kirche“ die ökumenische Ausrichtung des Jubiläums. Doch nach den intensiven Vorbereitungen „scheint beiden Kirchen am Ende doch der Mut zur echten Reformation zu fehlen“, sagte Christian Weisner vom „Wir sind Kirche“-Bundesteam dem Evangelischen Pressedienst. Er fordert nun auch konkrete Schritte beim Thema Abendmahl. „Es wäre ein Skandal, wenn das Jahr des Reformationsgedenkens zu Ende gehen würde, ohne dass die Abendmahlgemeinschaft wenigstens für die Menschen in konfessionsverbindender Ehe ernsthaft in Erwägung gezogen wird.“

Doch äußern sich die Spitzen der Kirchen weiterhin zurückhaltend. Kardinal Rainer Maria Woelki rief jüngst zu mehr Ehrlichkeit in der Ökumene zwischen katholischen und evangelischen Christen auf. In zentralen Fragen wie dem Kirchen- und Sakramentsverständnis sei man von einer Einigung immer noch weit entfernt, heißt es in einem viel beachteten Beitrag des Kölner Erzbischofs in der Monatszeitschrift „Herder Korrespondenz“. Möglichkeiten zu einer wechselseitigen Teilnahme an der Eucharistie sehe er darum derzeit nicht, sagte der konservative Theologe.

Der Wiener evangelische Theologieprofessor Ulrich H. J. Körtner richtet seinen Blick auf die Zeit nach dem Jubiläum. Der unbedingte Wille zur ökumenischen Ausrichtung des Reformationsjubiläums habe auch einige „fragwürdige Entwicklungen“ gefördert, kritisierte er. Er habe eine „Profillosigkeit“ beobachtet, die zwischen einer „plumpen Vereinnahmung Luthers für theologische Trivialitäten und einer politisch korrekten Distanzierung vom Wittenberger Reformator, zum Beispiel von seinen judenfeindlichen Äußerungen“ geschwankt habe. Körtner fordert daher jetzt zu einer „selbstkritischen Bestandsaufnahme des Protestantismus“ auf.

Von Stephan Cezanne