Pecs

Pécs verzaubert mit dem Charme des Unfertigen

Pécs ist – neben Istanbul und Essen – eine der drei europäischen Kulturhauptstädte im Jahr 2010. Die ungarische Stadt kann auf eine reiche Geschichte und viele bedeutende Baudenkmäler verweisen. Wir haben ihr einen Besuch abgestattet.

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Pecs – Pécs ist – neben Istanbul und Essen – eine der drei europäischen Kulturhauptstädte im Jahr 2010. Die ungarische Stadt kann auf eine reiche Geschichte und viele bedeutende Baudenkmäler verweisen. Wir haben ihr einen Besuch abgestattet.

Der Széchenyi István tér (Széchenyi-Platz) ist der zentrale Platz in der Altstadt der Europäischen Kulturhauptstadt 2010 Pécs. Die Luftaufnahme zeigt ihn mit der markanten grünen Kuppel der ehemaligen Pascha-Kasim-Gazi-Moschee – heute eine katholische Kirche – vor Beginn der Umbaumaßnahmen im Jahr 2007.

dpa

Die Irgalmasok utcája ist eine kleine Einkaufsstraße. Sie führt direkt zum zentralen Platz der Stadt Pécs, dem Széchenyi István tér (Széchenyi-Platz). Wie an vielen Stellen der Stadt wurde auch hier im April 2010 noch gebaut.

Christian D. Thomas

Synagoge am Kossuth tér Die Synagoge am Kossuth tér (Kossuth-Platz) in Pécs wurde 1869 erbaut. Im Zuge der Altstadtsanierung wurde auch dieser Platz umgestaltet. Die Arbeiten waren im April aber noch nicht abgeschlossen.

Christian D. Thomas

Széchenyi-Platz Viel Betrieb herrscht auf dem zentralen Platz der Stadt Pécs, dem Széchenyi István tér (Széchenyi-Platz): Bauarbeiter verlegen neue Platten, das Dreifaltigkeitsdenkmal ist noch eingerüstet. Die ehemaligen Pascha-Kasim-Gazi-Moschee mit ihrer markanten grünen Kuppel kann besichtigt werden: Sie wird heute als katholische Kirche genutzt.

Christian D. Thomas

Bild der Eröffnungsfeiern Mit einem farbenprächtigen Fest hat Pécs am 10. Januar 2010 ganz offiziell das Kulturhauptstadtjahr eingeläutet. Mit der südungarischen Stadt trägt erstmals eine Kommune in Ungarn den Titel einer „Europäischen Kulturhauptstadt“.

Bild der Eröffnungsfeiern Tausende Menschen feiern auf dem Széchenyi István tér (Széchenyi-Platz), dem zentralen Platz in Pécs, den Beginn des Kulturhauptstadtjahres 2010. Erstmals trägt eine Stadt in Ungarn den Titel einer „Europäischen Kulturhauptstadt“.

Bild der Eröffnungsfeiern Tänzer treten bei der offiziellen Feier zu Beginn des Kulturhauptstadtjahres 2010 auf dem Széchenyi István tér (Széchenyi-Platz) in Pécs auf.

Bild der Eröffnungsfeiern Feuerwerk und Laserlicht beleuchten die ehemalige Pascha-Kasim-Gazi-Moschee in Pécs bei den offiziellen Feiern zum Start des Kulturhauptstadtjahrs am 10. Januar 2010.

Dom Der Dom von Pécs: Im Jahr 1009 legte König Stephan den Grundstein zur Kirche mit ihren markanten vier Türmen. Seine heutige Form erhielt das Bauwerk aber im 19. Jahrhundert.

Christian D. Thomas

Liebesschlösser Schwören sich Paare in Pécs ewige Liebe und Treue, befestigen sie ein Schloss an einem Zaun in der Stadt. Und da der Legende nach ihre Beziehung so lange andauert, wie das Schloss nicht geöffnet wird, werfen sie den Schlüssel sicherheitshalber in den nächsten Gully. Überall in der Stadt sieht man solche Zäune mit „Liebesschlössern“.

Christian D. Thomas

Komitatsverwaltung Pécs beherbergt nicht nur die 1367 gegründete älteste Universität Ungarns, sondern ist auch Sitz der Verwaltung des Komitats Baranya. Das prächtige Gebäude am Széchenyi István tér (Széchenyi-Platz), verziert mit Keramiken aus der Zsolnay-Manufaktur, entstand im Jahr 1895.

Christian D. Thomas

– Nationaltheater Das Nationaltheater in Pécs (Nemzeti Színház) wurde 1839-1895 im Neorenaissance-Stil an der Stelle des ehemaligen Dominikanerklosters nach den Entwürfen von Antal Lang und Antal Steinhardt erbaut. Es ist einer der zentralen Aufführungsorte für Kulturveranstaltungen im Rahmen der Europäischen Kulturhauptstadt Pécs 2010. Um das Theater herum: viele Kaffees und Restaurants, die zum Verweilen einladen.

Christian D. Thomas

Rathaus Das neobarocke Rathaus am Széchenyi István tér (Széchenyi-Platz) erhielt seine heutige Form im Jahr 1907. In seinem Turm ist ein Glockenspiel untergebracht, das zu jeder vollen Stunde erklingt.

Christian D. Thomas

Blick auf den Dom Pécs ist nicht nur eine Stadt mit einer Vielzahl bedeutender historischer Gebäude und Kunstschätze. Zur unbeschwerten, meditteranen Atmosphäre tragen auch viele Park- und Grünanlagen in der Altstadt bei. Sogar Feigen- und Mandelbäume wachsen hier.

Christian D. Thomas

Kamin Ein mit prächtigen Keramiken verzierter Kamin in der ehemaligen Zsolnay-Porzellanmanufaktur.

Von unserem Reporter Christian D. Thomas

Gut zweieinhalb Stunden dauert die Fahrt auf der erst wenige Wochen zuvor eröffneten Autobahn von der Hauptstadt Budapest nach Pécs. Die Stadt ist die erste in Ungarn, die den Titel einer europäischen Kulturhauptstadt trägt. Unter dem Motto „Die grenzenlose Stadt“ empfängt sie 2010 ihre Gäste. Pécs will ein Zentrum des Dialogs zwischen Ost und West sein und die Vielfalt eines Kulturraums zeigen, den auch Römer, Deutsche und Türken nachhaltig prägten.

Fünf große Projekte

Dazu spielt die Stadt mit ihrem deutschen Namen „Fünfkirchen“, denn fünf große Projekte prägen das Kulturhauptstadt-Programm: eine Konzert- und Konferenzhalle, ein Kulturviertel rund um die Porzellanmanufaktur Zsolnay, ein Bibliotheks- und Wissenschaftszentrum, eine Ausstellungshalle und die Sanierung und Revitalisierung der historischen Innenstadt. Das alles zu bauen und zu renovieren, kostet 125 Millionen Euro. Weitere 32 Millionen Euro stehen für das Kulturprogramm in Pécs im Hauptstadtjahr bereit.

Das Konzept macht neugierig

Das Konzept macht neugierig – doch der erste Eindruck ist zunächst etwas abschreckend: Zwar liegt Pécs idyllisch an den Ausläufern der Mescek-Berge, die sich wie ein grüner Riegel durch die Ebene ziehen. Doch wer die Innenstadt mit den sanierten historischen Gebäuden, umgestalteten öffentlichen Plätzen und ihren gepflegten Parkanlagen genießen will, muss zunächst ein tristes Gewerbegebiet durchfahren – und über Viertel mit öden Plattenbauten aus sozialistischen Zeiten großzügig hinwegsehen.

Zentraler Platz der Innenstadt ist der Széchenyi-Platz (Széchenyi István tér). Hier stehen die aus K.-u.-k.-Zeiten stammende Verwaltung des Komitats Baranya, dessen Hauptort Pécs ist, das Rathaus und die ehemalige Pascha-Kasim-Gazi-Moschee. Sie wurde während der türkischen Besatzung Pécs’ (1543– 1686) im Jahr 1585 aus den Steinen der romanischen Bartholomäuskirche erbaut. Heute dient sie als katholische Pfarrkirche und prägt durch ihre kupfergrüne Kuppel den Platz. Ihr Minarett wurde abgetragen, aber die Gebetsnische mit arabischen Inschriften blieb erhalten.

Überall frisch gereinigte Fassaden

Zu bewundern ist neben dem Besucherzentrum Cella Septichora mit frühchristlichen Mausoleen, die zum Weltkulturerbe der Unesco zählen, auch der aus dem frühen 11. Jahrhundert stammende Dom mit den markanten vier Türmen. König Stephan legte 1009 den Grundstein – seine endgültige Form erhielt er erst im 19. Jahrhundert. Die Fassaden sind frisch gereinigt, der Domplatz ist neu gestaltet. Ein Park mit Feigenbäumen und Palmen unterhalb des Ensembles aus Dom, Bischofsresidenz und Dommuseum verströmt mediterranes Flair – ebenso wie die vielen Cafés in der Fußgängerzone Kiraly utca. Hier trifft man eine Menge junger Menschen – viele studieren an der 1367 gegründeten Universität, der ältesten Ungarns.

Monatelang lag Baustaub über der Stadt

Doch so mancher Bewohner floh vor dem Lärm von Presslufthämmern und Steinschneidern und die Innenstadt durchwabernden Baustaubwolken. Denn das ist die andere Seite dieser kosmopolitischen Stadt: Baugitter sperrten noch im April die drei zentralen Plätze (Szécheny István, Jókai und Kossuth tér) ab, damit neue Granitplatten verlegt werden konnten. Doch diese Arbeiten sind inzwischen abgeschlossen.

Ganz anders sieht es außerhalb der Innenstadt aus: Dort ist so gut wie nichts rechtzeitig fertig geworden. In den Planungsjahren – 2005 gewann die Stadt den Wettbewerb zur europäischen Kulturhauptstadt – tat sich kaum etwas.

Unfertiges wird zur Tugend

Der Kulturhauptstadt-Auftrag war für die Verwaltung eine Nummer zu groß: Drei Programmdirektoren wurden verschlissen, die Bauarbeiten viel zu spät begonnen. Jetzt erhebt man das Unfertige zur Tugend, das avantgardistische Schlagwort „Work in Progress“ (Werk im Entstehen) zum Arbeitsprinzip.

Doch was entsteht, kann sich sehen lassen: Rund um die ehemalige Porzellan-Manufaktur Zsolnay wird ein ganzes Stadtviertel erneuert und (wieder-)belebt. Die alten Firmengebäude sind ein bedeutendes Zeugnis der Industriekultur des 19. Jahrhunderts: Selbst die Fabrikschlote wurden mit kunstvollen Keramiken verziert. Jetzt soll auf 3,5 Hektar ein Künstler- und Studentenviertel entstehen – mit eigener Kunsthalle, Ateliers, Wohnungen und Grünflächen. Allerdings wird das Viertel erst im Januar 2011 fertig. Die Lichter des Kulturhauptstadtjahres sind dann gerade verloschen. Und der erste Ton in der neuen Konzerthalle wird frühestens im Oktober 2010 erklingen.

Bei Bürgern von Pécs kommt das Projekt „Kulturhauptstadt 2010“ an

Bei den Bürgern von Pécs kommt das Projekt „Kulturhauptstadt 2010“ gut an: Nach Jahrzehnten des Stillstands sehen sie die Baukräne als Symbol für Fortschritt und Entwicklung – und als kleine Chance, sich vom kulturell omnipotenten Budapest zu emanzipieren. Stolz verweisen sie darauf, dass zwei Drittel der 4500 Kulturveranstaltungen unter freiem Himmel und kostenlos sind – und dass Nischenprogramme wie ein Weinliedfestival und ein Origami-Treffen Platz im Kulturkalender finden. Besonders freuen sich die Menschen auf Höhepunkte wie das Zirkus- und Straßentheaterfestival (9. bis 25. Juli) und das Chorfestival „Pécs Cantat“ vom 15. bis 22. August.

Minderheiten klagen über Mittelvergabe

Kritik am Konzept kommt von den Minderheiten, die sich als Aushängeschild missbraucht fühlen. Als nämlich die Gelder verteilt wurden, bekamen sie nur einen Bruchteil dessen, was sie erwartet hatten. „Die Stadt hat uns gedrängt, eine Erklärung gegen Diskriminierung zu unterzeichnen, weil sonst kein Geld für unser Kulturhauptstadt-Projekt geflossen wäre“, klagt der Sprecher der Roma-Minderheit, Istvan Kosztics. „Doch obwohl wir unterschrieben haben, werden wir jetzt mit unseren Projekten auf 2012 vertröstet. Wir spielen nur eine sekundäre Rolle.“