Stuttgart

Neuer Bahnhof lässt Stuttgarts Innenstadt wachsen

Während die Bürger protestieren, schafft die Politik unumstößliche Fakten – Wir beantworten die wichtigsten Fragen zum Prestigeprojekt, das bundesweit Aufsehen erregt Das Projekt Stuttgart 21 bringt brave Schwaben zu Zehntausenden auf die Barrikaden. Doch was soll da eigentlich gebaut werden?

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Stuttgart – Während die Bürger protestieren, schafft die Politik unumstößliche Fakten – Wir beantworten die wichtigsten Fragen zum Prestigeprojekt, das bundesweit Aufsehen erregt

Das Projekt Stuttgart 21 bringt brave Schwaben zu Zehntausenden auf die Barrikaden. Doch was soll da eigentlich gebaut werden?

Von unserer Redakteurin Nicole Mieding

In der Debatte um das Bahnprojekt Stuttgart 21 kochen die Emotionen hoch – für uns Anlass, die Argumente von Befürwortern und Gegnern sachlich zu hinterfragen.

Was bedeutet S21?

Das Projekt Stuttgart 21 besteht aus drei Bausteinen: dem neuen unterirdischen Durchgangsbahnhof, einer neuen Hochgeschwindigkeitstrasse nach Ulm und einem noch zu bauenden Tunnel mit einem zweiten unterirdischen Bahnhof, der den Fernverkehr mit dem Messegelände und dem Flughafen verbinden soll.

Was kostet das Projekt?

Zu Beginn der Planungen vor 16 Jahren wurden die Kosten für S21 auf rund 2,5 Milliarden Euro geschätzt. Die jüngste Kostenschätzung stammt aus dem Dezember 2009. Darin sind für den neuen Hauptbahnhof 4,1 Milliarden Euro veranschlagt, für die neue Bahnstrecke nach Ulm 2,9 Milliarden – macht zusammen 7 Milliarden Euro. Gegner und Gegengutachter gehen von mindestens 11 bis 19 Milliarden Euro aus.

Wie lange dauert das Ganze?

Bahnchef Rüdiger Grube will in zehn Jahren die Einweihung des neuen Hauptbahnhofs feiern. Gegner halten das für illusorisch und befürchten, dass Stuttgarts Innenstadt für die nächsten 15 bis 20 Jahre eine Baustelle sein wird.

Lässt sich das Projekt noch stoppen?

Im November 1995 haben die Deutsche Bahn, die Stadt Stuttgart und das Land Baden-Württemberg den Grundsatzbeschluss für S21 gefasst – demokratisch, wie sie stets betonen. Während des langwierigen Planverfahrens haben sich Gerichte mit mehr als 11 000 Einsprüchen von Bürgern befasst, alle wurden abgewiesen und zugunsten des Projekts entschieden. Gegenwärtig ließe sich Stuttgart 21 nur noch im gegenseitigen Einvernehmen stoppen. Dafür müsste das Grundstücksgeschäft zwischen Stadt und Bahn rückabgewickelt werden, der Schienenkonzern also 459 Millionen Euro, die er 2001 bekommen hat, samt Zinsen an Stuttgart zurücküberweisen. Das Geld für die Planung (430 Millionen Euro) und vergebene Bauaufträge (240 Millionen) wäre verloren. Hinzu kämen die Kosten für die Wiederherstellung/Modernisierung des alten Bahnhofs.

Was bringt der neue unterirdische Bahnhof?

Er ist Teil des europäischen Schienennetzes und schließt eine Lücke auf der Hochgeschwindigkeitsstrecke zwischen Paris und Budapest. Das Umsteigen von Nah- in Fernzüge wird künftig schneller und komfortabler, da der S-Bahnhof in Stuttgart bereits unter der Erde liegt. Der neue Durchgangsbahnhof soll mehr Zugverkehr ermöglichen, die Neubaustrecken nach Ulm und zum Flughafen schaffen schnellere Verbindungen. So verkürzt sich die Fahrt vom Hauptbahnhof zum Flughafen laut Deutscher Bahn von 27 auf 8 Minuten, die von Ulm zum Flughafen soll statt 95 nur noch 24 Minuten dauern. Der wohl wichtigste Zugewinn sind rund 100 Hektar in bester Innenstadtlage, die durch das Verlegen der Gleise unter die Erde frei werden – Stuttgarts einzige Möglichkeit, sich auszudehnen, weil es in einem Tal-Kessel liegt.

Was passiert mit dem denkmalgeschützten Bahnhofsgebäude?

Nord- und Südflügel des Bonatz-Baus, der zwischen 1914 und 1928 entstand, sollen abgerissen werden. Übrig bleibt der Querriegel mit Arkadengang, Bahnhofshallen und -turm, die Stuttgarts Stadtbild prägen und das Entree des neuen Bahnhofs bilden sollen.

Woran machen die Gegner ihre Kritik fest?

Dass sich die Kosten für den neuen Bahnhof schon vor Baubeginn fast verdoppelt haben, ist S21-Gegnern ein Dorn im Auge. In Zeiten unterfinanzierter Kommunen halten sie das Prestigeprojekt für verantwortungslos und bezweifeln, dass Kosten und Nutzen in einem gesunden Verhältnis stehen. Auch dass knapp 300 teils jahrhundertealte Bäume gefällt wurden und während der Bauphase das Grundwasser abgesenkt werden muss, stößt ihnen sauer auf. Zudem fürchten sie, dass die Tiefbauarbeiten Stuttgarts wertvolle Mineralquellen aus dem Gleichgewicht bringen.

Was spricht für einen Kopfbahnhof?

Es gibt Zweifel, ob durchlaufende Zuglinien Vorteile bringen: Der neue Durchgangsbahnhof erlaubt keinen längeren Halt – Züge können nicht mehr aufeinander warten, Anschlussreisen verlängern sich. Gegner befürchten ein teures, störanfälliges Nadelöhr, bei dem sich die Zahl der Gleise nicht erweitern lässt, und befürworten einen modernisierten Kopfbahnhof.