Rheinland-Pfalz

Neue Reben braucht das Land: Züchter suchen widerstandsfähige Sorten

Der pfälzische Rebzüchter Volker Freytag in seinem Versuchsfeld in Neustadt an der Weinstraße. Seine neue, robuste Rebsorte Cabernet Blanc hat sich inzwischen erfolgreich am Weinmarkt etabliert.
Der pfälzische Rebzüchter Volker Freytag in seinem Versuchsfeld in Neustadt an der Weinstraße. Seine neue, robuste Rebsorte Cabernet Blanc hat sich inzwischen erfolgreich am Weinmarkt etabliert. Foto: Nicole Mieding

Nicht nur Landwirte reden in diesem Sommer besorgt übers Wetter – und fragen sich, ob die wochenlang andauernde Hitze noch gutes Wetter oder nicht doch schon der Klimawandel ist. Winzer bekommen die veränderten Verhältnisse im Weinberg schon seit Längerem zu spüren.

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Die Anbaugrenzen verschieben sich, und in Deutschland werden Rebsorten gepflanzt, die sich früher nur am Mittelmeer wohlfühlten. In ganz Europa geht der Weinbau auf Wanderschaft: Er klettert in die Höhe oder zieht in kühlere Regionen um.

Laut Prof. Reinhard Töpfer, Leiter des Bundesforschungsinstituts für Kulturpflanzen im pfälzischen Siebeldingen, lässt sich der Klimawandel gut am Beispiel Riesling ablesen: 16 Tage früher als noch vor 30 Jahren tritt bei ihm die Rebblüte ein. Die Beeren sind sogar 19 Tage eher reif. Dagegen schwindet die rieslingtypische Säure. „Wer Riesling langfristig anbauen will, muss die Reben künftig in schlechtere Lagen mit weniger Sonne pflanzen. Auf den heutigen Toplagen werden in Zukunft andere Rebsorten wachsen.“ Davon ist der Genetiker überzeugt. Im sonnigen Süden der Republik gibt es dafür schon erste Anzeichen. So hat das badische Staatsweingut Freiburg in seinem Gutsbetrieb Blankenhornsberg zwei Hektar seiner Rieslingflächen gerodet und stattdessen Burgundersorten gepflanzt. Dem Riesling wurde es an der Südwestspitze des Kaiserstuhls schlicht zu heiß.

Jedes Jahr eine neue Plage

Wir müssen vordenken. Es gilt, Reben zu züchten, mit denen die Winzer unter sich ändernden Bedingungen weiter existieren und Qualitäten ernten können“, sagt Volker Freytag, Rebschulbesitzer in Neustadt/Weinstraße. Große Hitze, mehr noch die Dürre, ist da nur ein Problem – die Herausforderungen im Weinberg waren in den vergangenen Jahren mannigfach: 2014 die Kirschessigfliege, 2016 ließ ein schwül-feuchter Sommer die Trauben am Stock faulen, 2017 blühten die Reben viel zu früh, es folgten Maifröste und töteten viele der jungen Triebe. In diesem Jahr schließlich ein Jahrhundertsommer, der die Rebstöcke fast verdursten lässt – nicht zu vergessen die Rebzikade, die die Wärme liebt und aus Südeuropa eingewandert ist.

Rebzüchter Freytag glaubt, für den Weinbau der Zukunft braucht es neue Reben. Sorten, die den neuen Verhältnissen besser angepasst sind. Seit rund 25 Jahren arbeitet der Pfälzer daran, neue Sorten zu züchten und zur Marktreife zu bringen. Zuvorderst solche, die gegen einschlägige Pilzkrankheiten widerstandsfähig sind – „Piwi“ hat sich daher als eine Art Kosename für sie etabliert. Zusammen mit dem Schweizer Rebenzüchter Valentin Blattner hat Freytag beispielsweise dem Pinotin und dem Cabernet Blanc auf die Welt geholfen. Der erste ist ein Verwandter des Spätburgunders, der weiße Cabernet Blanc, erinnert mit seinem Duft an Sauvignon Blanc. Gemein ist ihnen, dass sie deutlich weniger anfällig für Peronospora (falscher Mehltau), Oidium (echter Mehltau) und Botrytis (Grauschimmelfäule) sind. Die Reben wachsen und gedeihen mit deutlich weniger Pflanzenschutz. Das macht die neuen Sorten vor allem bei ökologisch arbeitenden Winzern beliebt. Denn sie dürfen deutlich weniger Mittel nutzen als konventionell arbeitende Winzer – und nutzen vor allem Kupfer und Schwefel, was dem Prinzip der Nachhaltigkeit widerspricht. Die neuen Sorten kommen nun mit einem Drittel bis einem Viertel der üblichen Behandlungen aus. Das spart Arbeit, Geld und schont die Umwelt – Experiment geglückt.

Das meinen zumindest jene Winzer, die für Versuchspflanzungen im Weinberg aufgeschlossen sind. Beim Gewohnheitsweintrinker kann man von Erfolg bislang kaum reden. Der hat in der Regel von den neuen Reben noch nie etwas gehört. Selbst dann nicht, wenn er schon Wein von ihnen getrunken hat. Denn der kommt selten reinsortig und unter dem Namen der Rebsorte ins Glas. Dem Kunden wird er in der Regel als unerkannte Zutat in Cuvées und unter fantasievollen Namensschöpfungen wie „Einzigartig“ oder „Unkaputtbar“ eingeschenkt. Ein Feigenblatt, um den Käufern die Scheu zu nehmen vor Rebsorten wie Bronner, Sirius, Rondo oder VB Cal 6-04, einer Rebsorte im Versuchsanbau, die derzeit noch unter ihrer Zuchtbezeichnung geführt wird. Für den Kunden gilt das Gleiche wie für den Bauern: Was er nicht kennt, trinkt er nicht.

Aber wie soll er sich überhaupt für den neuen Wein interessieren, wenn er ihm stets inkognito untergejubelt wird? „Die Namensschöpfung ist ein eigenes Thema bei Neuzüchtungen“, weiß Rebforscher Töpfer. Und gesteht, dass da in der Vergangenheit schon „einiges danebengegangen“ ist. Rebzüchter Freytag kennt das Problem. Er versucht, „weinaffine“ Namen zu finden, die ähnlich wie Bekanntes klingen. „Das ist wichtig, denn der Name fungiert als Werbeträger“, betont er. So ist sein „Pinotin“ ein Abkömmling der Burgunderrebe (Pinot) und der Cabernet Blanc ein Spross der Weißweinsorte Cabernet Sauvignon – beides Sorten, bei denen Käufer kaum fremdeln. In Sachen Marketing ist also noch so einiges zu tun. Vor allem aber brauchen die neuen Rebsorten eins: Aufklärung. Denn das Thema Nachhaltigkeit steht beim Verbraucher hoch im Kurs. Und dass der nicht nur Riesling trinken will, sondern durchaus bereit ist, Neues zu probieren, bestätigen all jene Winzer, die im direkten Kontakt mit ihren Kunden sind.

Wie soll's denn schmecken?

Stellt sich zum Schluss noch die Gretchenfrage: Sollten Züchter vor allem bekannte Geschmacksbilder von Riesling, Grau- oder Spätburgunder kopieren oder auch zulassen, dass neue Sorten das gewohnte Spektrum um exotischere Aromen erweitern? Rolf Steiner, Leiter des Staatlichen Weinbauinstituts in Freiburg, das Mitglied im traditionsbewussten Verband Deutscher Prädikatsweingüter ist, hat bei der Vermarktung von Neuzüchtungen eigene Erfahrungen gemacht: „Je weiter der Geschmack von den etablierten Rebsorten entfernt ist, desto lieber kaufen's die Kunden.“

Nicole Mieding

Kleine Kostprobe: Hier gibt’s den neuen Wein in Flaschen

Wir haben uns durch das bunte Spektrum neuer Rebsorten probiert und besonders schmackhafte Vertreter ausgewählt.

  • 501 Cabernet Blanc Winzersekt, Weingut Rummel, Landau-Nussdorf/Pfalz: Ein spritzig-fruchtiger Einstieg in die Welt der neuen Weine. Kitzelt den Gaumen mit Aromen von Johannis-/Stachelbeere, Litschi und Wiesenkräutern. Hergestellt nach der Champagnermethode (13,30 Euro)
  • 2017 Auftakt Souvignier Gris trocken, Weingut Abthof, Hahnheim/Rheinhessen: Eine echte Alternative für Liebhaber des Grauburgunders. Füllig und gehaltvoll durch die Lagerung im Holzfass, ein Champion – mehrfach prämiert (7,50 Euro).
  • Oranje 2017, Weingut Schönhals, Biebelnheim/Rheinhessen: Weiße Cabernet Blanc Trauben wurden wie Rotwein auf der Maische vergoren. Das gibt dem Naturwein die orange Farbe und einen vollen Fruchtgeschmack (14,80 Euro).
  • 2017 Auftakt Muscaris feinfruchtig, Weingut Abthof, Hahnheim/Rheinhessen: Eine Frucht- und Duftbombe, riecht nach gelben Früchten und der Ur-Muskatellertraube. Das gekonnte Spiel mit Frucht und Säure macht den Weißwein zum bezaubernden Flirt mit dem Sommer (7,50 Euro).
  • 2016 Regent trocken, Weingut Roemerkelter, Maring-Noviand/Mosel: Bio-Winzer Timo Dienhart hat der ältesten deutschen Piwi-Sorte eine frankophile Note verpasst. Tiefrot, kräftig, füllig, mit Kirsch- und Beerennoten – toll zu Wild (9,80 Euro).
  • 2017 Feodora VB CAL 6-04 Weißwein trocken, Weingut Galler, Kirchheim a. d. Weinstraße/Pfalz: Der Züchtungsversuch, noch namenlos, bringt Aromen von gelben Früchten und Blüten mit. Mineralisch-spritzig – ein wunderbar fruchtiger, schlanker Sommerwein (12,40 Euro).
  • 2016 Satin Noir Rotwein trocken, Weingut Machmer, Bechtheim/ Rheinhessen: Ein Jungfernwein – der erste Ertrag aus dem neu gepflanzten Berg. Der hat es schon in sich und besticht durch eine tiefrote Farbe und satte Brombeer- und Schokoladenaromen, denen Tabak und Zedernholz eine maskuline Note zufügen. Der samtige Schmeichler trägt seinen Namen zu Recht (22,40 Euro).
  • Regent Tresterbrand, Weingut Gemmrich, Beilstein/Württemberg: Der schwäbische Grappa hat seinen Schliff vom Reifen im Kastanienfass (16,60 Euro).
  • Likörwein Porto Muscaris, Weingut Dilger, Freiburg/Baden: Ein Portwein, hergestellt nach traditionellem Sherryverfahren. Der mit hochprozentigem Alkohol verstärkte Wein verschiedener Jahrgänge reift im Holzfass, jedes Jahr wird nachgefüllt (25 Euro).

Alle genannten Winzer haben verschiedene Piwi-Sorten in ihrem Sortiment und stellen auf Anfrage ein Probierpaket zusammen.

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