Neue Erkenntnisse zu Terror-Trio: Schlagen die RAF-Rentner zu?

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Lange herrschte Schweigen. Aber jetzt macht die RAF wieder Schlagzeilen. Ermittler haben neue Erkenntnisse zu drei Terroristen: Ernst-Volker Staub (61), Daniela Klette (57) und Burkhard Garweg (47). Vor fast genau einem Jahr kam die Sache ins Rollen – in Niedersachsen, wo sich die aktuellen Raubzüge der drei zu häufen scheinen.

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Am 6. Juni 2015 will das Trio, so der Stand der Ermittlungen, auf dem Parkplatz eines Real-Marktes in Stuhr (Kreis Diepholz) einen Geldtransporter mit rund 1 Million Euro überfallen. Sie blockieren den dunklen Geldwagen mit einem weißen VW-Transporter. Das Auto war Ende 2014 rund 40 Kilometer entfernt bei einem Gebrauchtwagenhändler in Oldenburg gekauft worden.

Einer der Täter zielt mit einer Panzerfaust auf das Fahrzeug. Die beiden anderen sind mit einer Kalaschnikow und einem Gewehr bewaffnet. Fahrer und Beifahrer weigern sich aber, den verriegelten Transporter zu öffnen. Die maskierten Täter feuern drei Schüsse ab, geben dann aber auf und flüchten. Im Polizeibericht steht: „Die Täter waren maskiert. Auf der Bekleidung zumindest eines der Täter stand auf dem Rücken POIZEI (Polizei ohne L).“ Das Amtsgericht Verden erlässt gegen die drei Haftbefehle wegen Verdacht auf versuchten Mord und versuchten schweren Raub. Die Ermittler gehen davon aus, dass die „RAF-Rentner“ keine neuen Anschläge vorbereiten wollten. Ihr Ziel dürfte das Sichern der Altersvorsorge sein, heißt es.

Das Trio versucht am 28. Dezember 2015 erneut, einen Geldtransporter zu überfallen. Einer der Täter bedroht den Beifahrer mit einer Waffe, doch der Fahrer drückt aufs Gaspedal und flieht. Tatwaffen waren unter anderem wieder ein Schnellfeuergewehr und eine Panzerfaust.

Offenbar mehrere Morde verübt

Garweg, Klette und Staub gehören zur sogenannten dritten Generation der RAF. Sie wurde aktiv, als zentrale Figuren wie Andreas Baader und Ulrike Meinhof längst tot waren. Auf das Konto dieser dritten Generation sollen mehrere Morde gehen, so an Deutsche-Bank-Chef Alfred Herrhausen (1989) und Treuhand-Chef Detlev Karsten Rohwedder (1991). Garweg, Klette und Staub verübten nach Erkenntnissen der Bundesanwaltschaft 1993 als Kommando „Katharina Hammerschmidt“ einen Sprengstoffanschlag auf das neue, noch nicht fertige Gefängnis im hessischen Weiterstadt. Gesamtschaden damals: 123 Millionen Mark.

Am 20. Juli 1999 soll das Trio auch einen Geldtransporter in Duisburg-Rheinhausen überfallen haben. Die Beute: rund 1 Million Mark (510 000 Euro). An den Sturmhauben fanden die Behörden später Genmaterial von Klette und Staub. Die Beute dürfte inzwischen aufgebraucht sein.

Dass das Trio zuletzt nicht nur Geldtransporter im Visier hatte, sondern wohl auch Supermärkte, kommt erst allmählich raus: Nach jüngsten Erkenntnissen hat das Trio seit 2011 mindestens acht Raubüberfälle in Niedersachsen und in Schleswig-Holstein verübt, teilten die Staatsanwaltschaft Verden und das Landeskriminalamt (LKA) in Hannover mit. Dabei erbeutete das Trio knapp 400 000 Euro. „Sieben Tatorte liegen in Niedersachsen und einer in Schleswig-Holstein“, sagte LKA-Sprecher Frank Federau. Bisher galt nur als sicher, dass das Trio 2015 erfolglos Geldtransporter in Stuhr bei Bremen und Wolfsburg überfallen hat. Dabei setzte es auch Schnellfeuergewehre und eine Panzerfaust ein. Inzwischen rechnen die Ermittler den früheren RAF-Mitgliedern auch sechs Raubüberfalle auf Supermärkte oder Geldboten in den Jahren 2011 bis 2016 zu. Tatorte waren Celle, Stade, Elmshorn, Osnabrück, Northeim und Hildesheim. Möglicherweise werde die Liste der Überfälle sogar noch länger, sagte Federau. „Die Prüfung läuft.“ Jedenfalls gaben die Behörden vor Kurzem aktuelle Fahndungsfotos heraus. „Die Bilder stammen aus diesem Jahr“, sagt Staatsanwältin Marie-Louise Tartz in Verden.

Wo lebt das Trio heute?

Trotz aller neuen Details liegt vieles noch im Unklaren. Wo haben die drei in all den Jahren gelebt? Wo leben sie heute? Die Tatorte der Überfälle, die Standorte der Autohändler, bei denen die Fahrzeuge gekauft wurden, konzentrieren sich auf den Norden: Stuhr und Wolfsburg, Celle, Hannover, Oldenburg. Staub stammt aus Hamburg, Garweg hat dort gelebt. Und er hat Staub sowie Klette dort kennengelernt. Aber auch ein Leben in den benachbarten Niederlanden wäre – logistisch gesehen – möglich. Ex-Generalbundesanwalt Kay Nehm sagt: „Gesuchte Straftäter können jahrelang unerkannt leben, solange sie keine öffentlichen Leistungen in Anspruch nehmen und nicht durch Zufall in die Fänge des Staates geraten. Wer sich persönliche Dokumente anderer Personen beschafft, kann damit öffentliche Leistungen sogar im Gesundheitswesen in Anspruch nehmen ohne aufzufallen.“ RAF-Experte Butz Peters erinnert daran, dass das rechte NSU-Terrortrio es geschafft hat, 13 Jahre im sächsischen Untergrund zu leben. „Beate Zschäpe hatte fast ein Dutzend Identitäten, sie ist damit so geschickt umgegangen wie ein Jongleur mit fünf Bällen.“ Ein Versteck im benachbarten Ausland hält Peters für möglich: „Amsterdam war das Hauptquartier der RAF im deutschen Herbst, danach war Paris drei Jahre Fluchtburg mit fünf Wohnungen für etwa 15 Personen.“ Ob das Trio heute tatsächlich zusammenlebt, ist offen. Klette und Staub waren einmal ein Paar. Aber das ist 20 Jahre her.

Zweifel an der Professionalität der Täter nährt vor allem die Tatsache, dass die beiden Überfälle in Stuhr und Wolfsburg erfolglos blieben. In Wolfsburg trägt ein Krimineller keine Maske – Zeugen können ihn beschreiben. Und der Geldtransporter in Stuhr ist bereits verriegelt, als das Trio zuschlagen will. Später funktioniert dann der Zünder nicht, mit dem die Täter ihr Fluchtauto in Brand setzen wollten. Die Batterie soll nicht stark genug gewesen sein. Die Folge: Ihre DNA kann im Wagen erneut identifiziert werden.

Doch auch bei den Fahndern läuft nicht alles rund: Die Polizei geht nach dem Überfall in Stuhr Mitte 2015 lange von drei männlichen Tätern aus. Auch für die ZDF-Sendung „Aktenzeichen XY ... ungelöst“ am 20. Januar 2016 wird das Geschehen mit drei Männern nachgestellt. Erst etwa zwei Wochen vor der Ausstrahlung, so heißt es, kommt durch die DNA-Analysen heraus: Der dritte Täter war eine Frau. Daniela Klette. Auch die Erfolglosigkeit der Fahndungsaufrufe macht stutzig. Zunächst wird unter anderem mit jahrzehntealten Fotos gesucht. Nach dem Wolfsburger Überfall entstand zudem ein Phantombild. Mehr als 400 wohl auch wegen des Alters vieler Fotos nicht immer zielführende Hinweise muss die Sonderkommision „Real“ nach der Sendung abarbeiten.

Ernüchternde Resonanz

Dann können Zielfahnder des Landeskriminalamtes in Hannover einen Erfolg melden. Sie sichern die Fotos, die Staub und Garweg 2016 zeigen sollen. Doch die Resonanz der Veröffentlichung kann ernüchtern: Binnen einer guten Woche gehen nur 27 Zeugenhinweise ein. Vermutlich auch, weil die Bilder ohne weiterführende Information verbreitet wurden – etwa zum Ort ihres Entstehens. Gerade das Foto Staubs – wohl aus einer Überwachungskamera – ist von guter Qualität. Menschen aus seiner Nachbarschaft müssten ihn eigentlich erkennen, heißt es. Dennoch gilt bis jetzt: Fehlanzeige.

Bemerkenswert ist auch, dass sich Bundesanwaltschaft und Bundeskriminalamt (BKA) so zurückhalten. Bisher spreche nichts für einen Terrorhintergrund, heißt es. Folglich braucht Karlsruhe die Verfolgung nicht zu übernehmen. Auch das BKA in Wiesbaden verweist auf die Zuständigkeit der Staatsanwaltschaft in Verden, einer Kreisstadt mit etwa 27 000 Einwohnern. Also sind die Niedersachsen am Zug. Die Sonderkommission „Real“ in Diepholz, noch kleiner als Verden, wurde aber Ende April aufgelöst, die Zahl der Ermittler reduziert. Dennoch seien die Fahnder weitergekommen, heißt es. Die Polizei kreise die „RAF-Oldies“ ein. Oder, wie andere Beobachter sagen: Die Fahnder tappen weiter im Dunkeln.

Sie versuchen zwar mit Großaktionen, wie etwa mit der Befragung von 1000 Autohändlern, endlich voranzukommen. Doch bislang ohne Erfolg. Niedersachsens Innenminister Boris Pistorius (SPD) bleibt dennoch optimistisch: „Nach meiner Einschätzung ist es eine Frage der Zeit, bis sie gefasst werden, denn jetzt zieht sich das Netz wirklich enger zusammen.“ Bleibt noch die Hoffnung, dass die Täter sich freiwillig stellen. Ex-Generalbundesanwalt Kay Nehm sagt: „Ich halte es für möglich, dass untergetauchte Terroristen dieses Dasein irgendwann nicht mehr aushalten. Sie wären gut beraten gewesen, sich mithilfe von Anwälten rechtzeitig zu stellen.“