Nach langjährigem Konflikt: Neuseelands Ureinwohner werden heute gefeiert

Wellington/Frankfurt – Der Maori-Kultur in Neuseeland sind Bücher eigentlich fremd. Traditionell gibt es keine Schriftsprache, Geschichten werden mündlich überliefert. Dennoch haben die Ureinwohner heute in der Literatur durchschlagenden Erfolg.

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Die vier erfolgreichsten neuseeländischen Romane aller Zeiten stammen nach Angaben des Buchhändlerverbandes von zwei Maori-Autoren: Witi Ihimaera und Alan Duff.

Kulturgut ist allumfassend

„Unser Kulturgut war und ist eine allumfassende Kunstart“, sagt Ihimaera. „Der Roman ist ein Kons-trukt, das Ureinwohnern eigentlich fremd ist.“ Theater wäre aus seiner Sicht ein besseres Vehikel. Um dem Wesen der Maori-Traditionen treu zu bleiben, bemüht Ihimaera deshalb Konzepte wie „waiata“ – das Maori-Wort für Lieder –, „whakapapa“, was die Ahnen- und Mythengeschichten umfasst, und „haka“, den durch neuseeländische Sportler weltweit bekannten Kriegertanz.

„Ich setze Methoden wie waiata ein, damit meine Worte singen, whakapapa, um Geschichten einzuweben, und haka, damit eine leidenschaftliche Kraft in meinem Werk durchscheint“, sagt Ihimaera, der 1973 als erster Maori einen Roman veröffentlichte und heute zu den bekanntesten Autoren Neuseelands gehört.

Buchmessen-Direktor Juergen Boos hält die Maori-Literatur für „ein transmediales Gesamtkunstwerk“. „Wir begegnen den größten Geschichtenerzählern der Welt“, sagte er bei der Vorstellung des Ehrengasts über die Ureinwohner: „Die multimediale Zukunft des Geschichtenerzählens ist in Neuseeland bereits Gegenwart.“

Fast alle Maori-Schriftsteller schreiben auf Englisch. „Es gibt einige wenige Bücher in der Maori-Sprache, da würden wir gern mehr tun“, sagt Robyn Bargh, deren Huia-Verlag vor allem Werke von Maoris und Autoren von den pazifischen Inseln verlegt. Lange war die Sprache verpönt, die „Pakeha“ – wie die Maoris die Nachkommen der weißen Siedler nennen – bestanden auf Assimilierung. Mit Ihimaera begann in den 70er-Jahren eine radikale Kehrtwende.

Zwar ist das Gesicht Neuseelands bis heute weiß. Mit wenigen Ausnahmen sind Minister und Wirtschaftsführer Nachkommen weißer Einwanderer. Aber der Maori-Gruß „Ki Ora“ ist in aller Munde, viele Behörden haben zusätzlich zu ihrem englischen einen Maori-Namen, offizielle Veranstaltungen beginnen oft mit Maori-Riten, und Schulen haben Maori-Kulturklubs. „Viele junge Maoris sind selbstbewusster als früher, gehen zur Universität und wollen gehört werden“, sagt Bargh.

Die Welten wachsen zusammen

Die Maori- und Pakeha-Welten wachsen zusammen, glaubt Ihimaera. „Seit meinen Anfängen hat Neuseeland selbst das Andersartige in seinem Inneren entdeckt, und heute haben ja viele Neuseeländer sowohl Pakeha- als auch Maori-Wurzeln.“ Auch die junge Autorin Tina Makereti sieht die Konturen der Kulturen längst verwischt. Obwohl sie in dem viel gelobten Werk Charaktere aus der Maori-Mythologie ins heutige Leben holt, mag sie den Stempel Maori-Schriftstellerin nicht. „Die überlieferte Maori-Sprache, die Kultur und Kosmologie beeinflussen mich natürlich, aber ich lese und schreibe auch, seit ich denken kann. Es ist schwierig auseinanderzuhalten, was nun größere Bedeutung hat“, sagt sie. „Es ist eines dieser wunderbaren, verwirrenden, interessanten Phänomene, wenn man aus zwei Lebenswelten schöpft – vielleicht zündet ja gerade das den kreativen Funken.“

Makereti will die Neugier der deutschen Leser wecken. „Die internationalen Leser werden merken, dass unsere Werke ganz anders sind als alles, was sie vorher gelesen haben. Ich liebe Bücher, in denen ich Wörter entdecke, die ich noch nie gehört habe – ich hoffe, so geht es deutschen Lesern auch.“

Von Ian Llewellyn