Mit der Fußball-WM wächst am Kap die Hoffnung

Mit der Fußball-WM wächst am Kap die Hoffnung
In Südafrika ist Fußball noch immer der Sport der Schwarzen. Die Weltmeisterschaft soll nicht nur Fußballbegeisterte aus aller Welt zusammenführen, sondern auch die noch immer gespaltene Regenbogennation einen. Foto: dpa

Johannesburg. Mindestens ebenso groß wie die Vorfreude auf die Fußball-WM im eigenen Land ist die Hoffnung der Südafrikaner, dass dieses Spektakel für die Bevölkerung am Kap weit mehr bringt als nur eine Reihe interessanter Fußballspiele. Südafrika hofft auf ein neues Wir-Gefühl, das der Nation über die WM hinaus ein konstruktives Miteinander beschert.

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Johannesburg – Als Nelson Mandela am 24. Juni 1995 im Johannesburger Ellis-Park-Stadion den WM-Pokal an den weißen Kapitän der südafrikanischen Rugby-Nationalmannschaft, François Pienaar, übergibt, hält ein Land den Atem an. Mandela ist seit gut einem Jahr Präsident des freien, demokratischen Südafrika. Er trägt ein grün-goldenes Springbok-Trikot, das Wahrzeichen der südafrikanischen Rugbymannschaft - und Symbol der Apartheid. Rugby war stets die Domäne der Weißen. Die Szene, in der Mandela und Pienaar sich die Hand geben, geht um die Welt. Sie gilt als der Moment, in dem das schwarze und das weiße Südafrika eins werden. Als die Geburtsstunde der Regenbogennation.

15 Jahre später verarbeitet Clint Eastwood diesen Moment in einem Hollywoodfilm. Morgan Freeman spielt Nelson Mandela, Matt Damon ist als François Pienaar auf der Leinwand zu sehen. Es ist kein Zufall, dass „Invictus“ gerade jetzt in die südafrikanischen Kinos kommt. Die Fußball-WM steht an. Und Südafrika braucht ein Erfolgserlebnis. Dass Bafana Bafana, wie die südafrikanische Fußballnationalmannschaft liebevoll genannt wird, nicht wiederholen wird, was die Springboks 1995 schafften, ist jedem klar. Doch Südafrika will der Welt zeigen, dass es die richtige Entscheidung war, die Fußballweltmeisterschaft erstmalig auf afrikanischem Boden auszutragen - und damit sich selbst beweisen, dass es ein geeintes Land sein kann.

Apartheid ist Alltag

16 Jahre nach Ende der Apartheid ist Südafrika noch immer gespalten. Es gibt Schwarz und Weiß, Arm und Reich, Gebildet und Ungebildet, Gläubig und Nichtgläubig, Engagiert und Apathisch. In kaum einem anderen Land der Welt sind die Konflikte der Gesellschaft so sichtbar wie in Südafrika. In Johannesburg, dem wirtschaftlichen Zentrum der Republik, prallen zwei Welten aufeinander: Im reichen Norden fahren Maserati und BMW über gut ausgebaute Straßen, Gucci und Prada werben um neue Kunden, und in den Luxusrestaurants servieren Kellner Sushi mit den exklusivsten Weinen.

Doch wer genau hinsieht, dem bietet sich auch ein anderes Bild: An jeder Straßenkreuzung buhlen Bettler um die Aufmerksamkeit der Autofahrer. Händler bieten benutzte Colaflaschen mit selbst gefülltem Zuckerwasser zum Verkauf an, und am Straßenrand schlafen obdachlose Männer, Frauen und Kinder. Das Township Alexandra liegt keine zwei Kilometer vom glitzernden Konsumtempel Sandton City entfernt. Wer sich zwischen den Papphütten umschaut, merkt schnell: Die viel beschworene Regenbogennation gibt es nicht. Zwar ist der Reichtum im neuen Südafrika nicht mehr ausschließlich nach Hautfarbe verteilt, doch die Kluft zwischen Arm und Superreich wird immer größer. Die aufstrebende schwarze Elite bildet nur einen Bruchteil der Bevölkerung - die Masse der Südafrikaner hat vom Umbruch der vergangenen Jahre nicht profitiert. Die inoffizielle Arbeitslosenrate liegt bei knapp 40 Prozent, rund 70 Prozent der südafrikanischen Kinder leben in Armut, 30 Prozent der Haushalte haben keinen Strom, 38 Prozent keinen Wasseranschluss. Zudem rafft HIV/Aids immer mehr junge Menschen dahin. Rund 5,3 Millionen Menschen sind mit dem Virus infiziert. Im Mai 2008 entlud sich die Wut in Alexandra in fremdenfeindlichen Ausschreitungen. Ende 2009 zündeten Township-Bewohner Autos und Regierungsgebäude an, um ihrem Ärger Luft zu machen.

Der Fußball soll nun das vollbringen, was Politiker in 16 Jahren nicht vermocht haben: ein Wir-Gefühl schaffen. Als die Springboks 1995 den Weltpokal im Rugby gewannen, spielte nur ein Schwarzer in einer Mannschaft weißer Südafrikaner. Wenn in sechs Monaten der Anstoß zum Eröffnungsspiel der Südafrikaner gegen Mexiko in der neuen Soccer City von Johannesburg erfolgt, wird nur ein Weißer auf dem Platz stehen.

Der Sport der Schwarzen

Rugby ist der Sport der Weißen, Fußball der Sport der Schwarzen. Dass Alexandra und Sandton während der WM näher zusammenrücken, ist eine Utopie. Doch der Fußball kann ermöglichen, was im südafrikanischen Alltag noch immer eine Seltenheit ist: dass sich Schwarz und Weiß, Arm und Reich begegnen - und zwar nicht als Hausherr und Dienstmädchen, sondern als Fußballbegeisterte.

Während des Rugby-Weltcups 1995 ist genau das geschehen. Über den Sport konnte eine nationale Identität geschaffen werden. „One team - one country“, lautete damals der Slogan. Eine Nation stand hinter ihrer Mannschaft. Mit der Fußball-WM verbinden Südafrikaner nicht nur die Hoffnung auf einen wirtschaftlichen Aufschwung. Sie wollen dem Regenbogen neuen Glanz verleihen und dem deutschen Sommermärchen ein südafrikanisches Wintermärchen folgen lassen. (Von Julia Weber)

Die Autorin arbeitet in Johannesburg für die Konrad-Adenauer-Stiftung

„Invictus“ startet am 18.Februar in deutschen Kinos