Döbeln

Kommunlapolitiker schauen bei Rechtsextremismus weg: Zu wenig Jugend- und Sozialarbeit, zu wenig Polizei

Homann: Zu wenig Jugend- und Sozialarbeit, zu wenig Polizei Foto: picture alliance

Hoyerswerda, Mügeln, Heidenau, Clausnitz, Bautzen: Immer wieder gerät Sachsen wegen rassistischer Vorfälle in die Schlagzeilen. Der Landtagsabgeordnete Hennig Homann (SPD) erklärt im Interview, warum sich viele Politiker in Sachsen so schwer damit tun, entschiedener gegen Rassismus vorzugehen.

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Kein anderes Bundesland wird so stark mit rechtsextremen Übergriffen verbunden wie Sachsen. Hat hier die Politik versagt?

In Sachsen hat unter der Regierung der CDU 25 Jahre lang Staatsabbau stattgefunden. Ein Staat muss in der Lage sein, gesellschaftlich zu intervenieren, wenn es Fehlentwicklungen gibt. Diese Handlungsfähigkeit ist stark eingeschränkt worden. Es gibt zu wenig Jugendarbeit, zu wenig Sozialarbeit, zu wenige Polizisten, die Wohlfahrtsverbände sind zu schwach, es gibt Lehrermangel. Viele dieser Probleme geht man jetzt erst an.

Vor vier Jahren schrieb die „taz“ zu den Kürzungen bei der sächsischen Jugendarbeit: „Nazis springen in die Bresche“. Hat das linksalternative Blatt recht behalten?

Jugendarbeit ist auch Prävention, und 2010 hat es in Sachsen massive Einsparungen gegeben. Diese Kürzungen waren nicht gut und haben den Kampf gegen die Demokratie wahrscheinlich unterstützt. Aber das allein reicht als Erklärung nicht. Probleme mit Rassismus gab es auch vor 2010. Wir haben in den Koalitionsverhandlungen dafür gesorgt, dass es seit 2014 wieder mehr Geld für Jugendarbeit gibt. Trotzdem ist Jugendarbeit noch nicht da, wo sie sein sollte. Es gibt auch in meinem Landkreis noch Landstriche, wo es so gut wie keine professionelle Jugendarbeit gibt – zum Beispiel südlich von Freiberg.

Fehlt es Sachsen an einer funktionierenden Zivilgesellschaft?

Nein. Wir haben unglaublich viele Menschen, die sich in diesem Land gegen Rechtsexremismus engagieren. Aber diese Menschen wurden hier lange Zeit in eine linke oder linksextreme Ecke gestellt – auch von unserem Koalitionspartner, der CDU. Dadurch bekamen Initiativen gegen rechts nicht die nötige breite gesellschaftliche Unterstützung, um nachhaltig erfolgreich zu sein. Es gibt leider viele Bürgermeister und Landräte in Sachsen, die sich nicht zu solchen Initiativen bekennen. Da fehlt einfach die klare Haltung. Das ist ein Problem.

Haben Sie eine Erklärung dafür?

Ich glaube, dass viele ältere kommunalpolitische Entscheidungsträger nicht wollen, dass das, was sie 25 Jahre lang aufgebaut haben, infrage gestellt wird. Sie haben Angst, dass ihre Verdienste dadurch beschädigt werden. Diese Angst müssen sie aber nicht haben. Ich habe sogar Verständnis dafür, dass man bei all den Problemen, die es hier gab – extrem hohe Arbeitslosigkeit, eine völlig zerrüttete Infrastruktur, eine desolate Wirtschaft – vielleicht Probleme wie Rassismus eine Weile nicht gesehen hat. Die Menschen hier hatten Anfang der 90er-Jahre einfach andere Sorgen. Aber jetzt muss man diese Probleme angehen.

Gibt es einen Zusammenhang zwischen dem Rechtsextremismus-Problem in Sachsen und dem Aufstieg von Pegida?

Man kann beides nicht in einen Topf werfen. Aber man kann ein Rassist sein, ohne ein Nazi zu sein. Pegida offenbart, dass ausländerfeindliche und antidemokratische Einstellungsmuster in der Mitte der Gesellschaft verbreitet sind. Die Menschen mit solchen Einstellungen haben sich aber in den vergangenen Jahrzehnten nie organisiert – bis Pegida entstand.

Bei Pegida-Demos sieht man häufig Pullover mit Aufschriften wie: „Vom Osten lernen, heißt siegen lernen“, oder „Es wächst nicht zusammen, was nicht zusammen gehört“. Warum?

Meine Erfahrung ist, dass viele von denen, die bei den Demonstrationen mitlaufen, sich als Verlierer der Wende fühlen. Manche auch zu Recht. Es gibt eine ganze Reihe von Menschen, für die das Wohlstandsversprechen von Helmut Kohl nicht in Erfüllung gegangen ist und deren Erwartungen enttäuscht wurden. Für die gibt es eine emotionale, biografische Verbindung zwischen Demokratie und persönlichem sozialen Abstieg – anders als in Westdeutschland, wo es nach 1945 ein Wirtschaftswunder gab. Diese zum Teil bitteren Schicksale, die hier bei einigen Menschen dahinterstecken, darf man nicht wegreden, sie sind aber trotzdem kein Grund, zu Frau Festerlings Gewaltaufrufen Beifall zu klatschen.

Das Gespräch führte Stefan Hantzschmann