Koblenz

Joachim Gauck erntet in Koblenz großen Respekt

Foto: Sascha Ditscher

Sehr persönlich und gefühlsbetont vermittelt Joachim Gauck seinem Publikum im voll besetzten Koblenzer Stadttheater eine Innenansicht des Lebens in der DDR.

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Koblenz – Sehr persönlich und gefühlsbetont vermittelt Joachim Gauck seinem Publikum im voll besetzten Koblenzer Stadttheater eine Innenansicht des Lebens in der DDR.

Der ehemalige Bundesbeauftragte für die Stasi-Unterlagen liest aus seinem 2010 erschienenen Buch „Winter im Sommer – Frühling im Herbst“. Lediglich in Nebenbemerkungen verweist ein souveräner Joachim Gauck auf den wenige Stunden vor seinem Auftritt erfolgten Rücktritt von Christian Wulff, gegen den er eben 2010 bei der Wahl zum Bundespräsidenten unterlegen war.

„Heute geht es den ganzen Abend nur um das Buch“, eröffnet der 72-Jährige die Lesung und erntet Gelächter im Saal. Mit mal charmant-witzig, mal berührend-intim vorgetragenen Passagen aus seinen Lebenserinnerungen zieht der bodenständige Autor das Publikum in seinen Bann.

Initialzündung für die Politisierung von Joachim Gauck war die Verhaftung seines Vaters im Juni 1951. Zwei Jahre lang lebt die Rostocker Seemannsfamilie danach ohne jeden Hinweis auf den Verbleib ihres Ernährers. „In der Schule hörte ich vom großartigen Vater der Völker, Stalin, sang Lieder über den grandiosen Sozialismus und blickte zu Hause in die verweinten Augen meiner Mutter“, schildert Joachim Gauck seine Erfahrungen als Elfjähriger, der den Winter im Sommer erleben muss. Im Oktober 1955 kehrt der Vater aus Sibirien zurück, geht aber nicht, wie so viele seiner Arbeitskollegen von der Neptun-Werft, nach Hamburg, sondern bleibt bewusst in der DDR.

In welchen inneren Zwiespalt die Frage „gehen oder bleiben“ Joachim Gauck beförderte, der durch die Jugendarbeit in seiner Rostocker Kirchengemeinde auch Kontakt in den Westen hatte, zeigte sich insbesondere, als zunächst zwei seiner vier Kinder Ausreiseanträge stellten. „Ausbildung und Aufstieg waren in der DDR eng an Mitgliedschaft gekoppelt, für Pastorenkinder war es da besonders schwierig“, erklärt der bis heute Parteilose.

Im Dezember 1987 verlassen Christian und Martin Gauck ihre Heimat. Wie schwer es ihm fällt, den Wunsch seiner Söhne nach einem neuen, selbstbestimmten Leben im Westen zu akzeptieren, ist dem späteren Mitgestalter im Prozess der Wiedervereinigung auch heute noch anzumerken. „Als ich 15 Jahre später über den Abschied meiner großen Kinder aus der DDR schrieb, liefen Tränen auf das Papier, es brach plötzlich etwas in mir auf, was tief in mir verkapselt war“, berichtet der Autor. Damals habe er gedacht, es sei schwach zu trauern – durch das Schreiben sei er aber dichter zu sich selber gekommen. Im Juni 1989 geht auch Tochter Gesine der Liebe wegen nach Bremen. „Dann aber haben sich die stumpfe Lethargie und dumpfe Wut, haben wir uns verwandelt“, berichtet Joachim Gauck über den Beginn der friedlichen Revolution in der DDR.

„In dieser euphorischen Zeit habe ich mich ohne Abschied zu schnell Neuem überlassen“, erinnert sich der Mann, der zu einer Symbolfigur im Umbruch von 1989 wurde. Dadurch, dass sich die unterdrückten Menschen in der DDR in Nischen und Gegenwelten mit viel Nähe eingerichtet hatten, fühlten sich viele später in der großen Freiheit verloren. „Freiheit ist nicht nur Glück, sondern auch Beschwernis, und Freiheit im Alltag verliert einen Teil ihres Reizes. Aber immer wieder beflügelt sie auch“, betont der Bürgerrechtler und schließt: „Die Freiheit wird mir immer leuchten.“ Mit minutenlangem Applaus im Stehen zollt das Publikum Joachim Gauck Respekt und nutzt reichlich die Gelegenheit zur Signierung des Buches.

Von Katharina Demleitner