Integration läuft – aber nicht auf Knopfdruck

Integration läuft – aber nicht auf Knopfdruck
Die deutsche Gesellschaft ist mitten im Wandel: Immer mehr Menschen im Land stammen aus Migrantenfamilien. Foto: dpa

Schon wieder wurde statistisch belegt, dass Migranten in Deutschland schlechter gebildet sind und deshalb schlechtere Chancen auf einen Arbeitsplatz und folglich auf einen sozialen Aufstieg haben. Und schon wieder nannte die Bundesministerin für Integration die Zahlen „dramatisch". Die rheinland-pfälzische Integrationsbeauftragte schließt sich diesem Lamento nicht an. Sie mahnt zur Geduld.

Lesezeit: 3 Minuten
Anzeige

Von unserer Redakteurin Rena Lehmann

Rheinland-Pfalz – Schon wieder wurde statistisch belegt, dass Migranten in Deutschland schlechter gebildet sind und deshalb schlechtere Chancen auf einen Arbeitsplatz und folglich auf einen sozialen Aufstieg haben. Und schon wieder nannte die Bundesministerin für Integration die Zahlen „dramatisch„. Die rheinland-pfälzische Integrationsbeauftragte schließt sich diesem Lamento nicht an. Sie mahnt zur Geduld.

Gefühlt alle drei Monate zeigen immer wieder neue Statistiken: Wenige Migranten in Deutschland besuchen ein Gymnasium oder gar eine Universität. Viele von ihnen verlassen die Schule, ohne überhaupt einen Abschluss in der Tasche zu haben.

Gleichzeitig haben immer mehr Menschen in Deutschland Eltern, die aus dem Ausland stammen. In Rheinland-Pfalz haben heute etwa 730 000 Menschen einen sogenannten Migrationshintergrund.

Die bundesweiten Zahlen zur Situation der Migranten in Deutschland, die die Integrationsbeauftragte der Regierung, Maria Böhmer, jetzt vorlegte, können niemanden zufriedenstellen. Ganz so dramatisch sind sie jedoch auch nicht. Denn ernsthafte Integrationspolitik findet in Deutschland erst seit gut einem Jahrzehnt statt. Vorher wurde es dem Zufall überlassen, ob ein Zuwanderer hier zurechtkommt, einen Job hat oder die Sprache kann.

Die rheinland-pfälzische Integrationsbeauftragte Maria Weber (FDP) sagt: „Integration ist ein Prozess. Man muss den Maßnahmen Zeit geben, um zu wirken.“ Und diese verbindlichen Maßnahmen wie Sprachförderung oder Hausaufgabenhilfe sind auch im Land erst wenige Jahre alt. Maria Weber sieht zwar nach wie vor „großen Handlungsbedarf„ bei den Themen Bildung und Arbeit. Sie ist aber der Meinung, dass in der Diskussion um Migranten meist nur die Defizite, nicht aber die Erfolge gesehen werden. Die Zahl der Abgänger ohne Schulabschluss etwa sei in Rheinland-Pfalz bereits gesunken: 12,8 Prozent der Migranten verließen 2007 noch ohne Abschluss die Schule, 2009 waren es „nur“ noch 11,2 Prozent.

Auch der Anteil der Migrantenkinder an Gymnasien im Land ist zumindest leicht gestiegen, deutlich mehr Kinder besuchen inzwischen die Realschule. Im Vergleich mit deutschen Schülern stehen sie immer noch sehr viel schlechter da: Zum Gymnasium gehen 36,9 Prozent der deutschen Kinder – und nur 16,9 Prozent der Migrantenkinder. Dennoch: Der Anfang für mehr Chancen und damit mehr Teilhabe für Migranten scheint gemacht.

Das bestätigt auch ein Mann aus der Praxis: Ralf Marenbach ist seit acht Jahren Schulleiter an der Goethe-Hauptschule im Koblenzer Stadtteil Lützel. Mitten im sozialen Brennpunkt, wie es gern heißt. 340 Schüler aus 30 verschiedenen Nationen, etwa die Hälfte hat einen „Migrationshintergrund„, lernen hier gemeinsam. Marenbach beobachtet, dass das Problem der mangelnden Integration und ihren Folgen heute viel stärker wahrgenommen wird. „Sprachförderung wird als Aufgabe erkannt. Vor wenigen Jahren war es noch viel schwieriger, dafür Hilfen zu bekommen.“ Wer an seiner Schule kein Deutsch kann, nimmt zunächst nicht am Regelunterricht teil, sondern lernt die Sprache – die Basis für alles Weitere.

Auch in der Wissenschaft erkennt man die positiven Entwicklungen an. „Allerdings geht der Fortschritt viel zu langsam voran„, sagt Gunilla Fincke, Geschäftsführerin des Sachverständigenrates deutscher Stiftungen für Integration und Migration in Berlin. Sie sieht neuerdings viel Aktionismus, der die Versäumnisse der vergangenen 20 bis 30 Jahre aber nicht im Handstreich wettmachen kann. „Wir haben das Problem verschleppt, indem wir Migranten jahrelang signalisiert haben, dass wir sie hier nicht haben wollen.“ Das Signal sei heute ein anderes. Vor allem für Jüngere sei eine bunt gemischte Gesellschaft inzwischen Normalität.

Dass in Niedersachsen mittlerweile eine türkisch-stämmige Migrantin Ministerin wird und die deutsche Nationalelf zur Hälfte aus Spielern mit ausländischen Wurzeln besteht, sieht sie als gutes Zeichen: „Die deutsche Gesellschaft hat sich geöffnet." Das allein aber reiche nicht, um die sozialen Probleme, die durch schlechte Bildung und Arbeitslosigkeit von Migranten drohen, in den Griff zu bekommen. Sie bräuchten reale Chancen auf Jobs und Karrieren. Und das so schnell wie möglich.