Im Netz der Waffenhändler: Wie Kriminelle das Darknet als Plattform nutzen

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Symbolbild Foto: dpa

Die Waffe des Amokläufers von München war eine klassische Theaterwaffe: Die Glock 17 vom Kaliber neun Millimeter war eine eigentlich unschädlich gemachte Pistole, wie sie für Schauvorführungen genutzt wird. „Der Lauf wird mit Stiften oder einer Düse gesperrt“, erklärt Michael Benstein, Waffenexperte beim Bundeskriminalamt (BKA) in Wiesbaden.

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Die Sperren im Lauf blockieren die Waffe für scharfe Patronen, lassen aber etwa Platzpatronen zu und erlauben meist auch, dass die Waffe mechanisch weiter funktioniert. Ein bisschen auskennen müsse man sich schon, sagt Benstein, dann aber könne man so eine Pistole in kürzester Zeit wieder zu einer scharfen Waffe umbauen: „Eine Stunde würde reichen ...“

Gefunden hatte David S. die Glock im sogenannten Darknet, einer verborgenen Schattenwelt des Internets, die nur durch spezielle Adressen und Tür-Software zu erreichen ist. Beim BKA demonstrierten sie am Mittwoch, wie einfach die Abwicklung eines Kaufes im Darknet ist: In dem speziellen Chatroom sind die Nutzer anonym, keiner kennt die Klarnamen der anderen, die IP-Adressen sind nicht öffentlich zugänglich.

Bezahlt wird mit Bitcoins

Im Chat wird dann nahezu alles angeboten: Waffen, Munition – und Know-how. Die Chatpartner tauschen sich auch über Details aus, besprechen den Anbau von Schalldämpfern oder Gewindeläufen. Auch Tipps gegen das Erwischtwerden und über geheime Vertriebswege gibt es hier. „Den Nutzern ist das so wertvoll, dass sie bereit sind, deutlich höhere Preise zu zahlen“, sagte ein BKA-Experte, 2000 bis 3000 Euro für eine Waffe sind im Darknet normal.

Bezahlt wird mit digitalen Währungen wie etwa Bitcoins, geliefert wird die Ware an Packstationen oder mit der regulären Post. Die Waffen stammen oft aus dem benachbarten EU-Ausland, sagt Benstein, in Frankreich könne man schlicht in den Supermarkt gehen und eine einfache Flinte erwerben. Laxere Waffenregeln sind dann oft dafür verantwortlich, dass in den Nachbarländern die Waffen in den Untergrund diffundieren – und schließlich im digitalen Schwarzmarkt in Deutschland wieder auftauchen. Verboten ist in Deutschland nämlich auch der Kauf sogenannter Theaterwaffen oder Salutwaffen, betont Benstein: „Wenn die deutschen Boden berühren, ist das bereits eine Straftat.“ Theater und Showbühnen haben Ausnahmegenehmigungen, ebenso Schützenklubs. Vier Kategorien gibt es in Deutschland: Waffen der Kategorie A sind verboten, die Kategorie B erlaubnispflichtig, hierzu gehören auch Pistolen wie die Glock.

In die Kategorie C fallen etwa leichte Repetiergewehre, diese müssen bei den Behörden angemeldet werden. Und Kategorie D sind frei verkäufliche Waffen, die gibt es in Deutschland aber praktisch nicht, betont Benstein. „Wir bräuchten verschärfte Vorschriften in der EU“, fordert er: „Dem Wegdiffundieren in Nachbarländern muss Einhalt geboten werden.“

Der rheinland-pfälzische Justizminister Herbert Mertin (FDP) spricht sich nun für eine Prüfung aus, wie Waffenkäufe im Darknet effektiver verhindert werden können. Eine Verschärfung des Waffenrechts lehnte Mertin hingegen ab: „Schon das geltende Waffenrecht sah vor, dass der Amokläufer die Waffe nicht haben durfte“, sagte Mertin. Doch die Strafverfolgung im Netz ist schwierig. Cyberkriminelle sind innovativ und anpassungsfähig, gehen dezentral vor, kommen nur online zusammen, begehen Straftaten und trennen sich wieder.

Technisch und taktisch aufrüsten

Was also tun? Die Ermittler müssen schnell und flexibel agieren, international vernetzt sein und technisch wie taktisch auf der Höhe der Zeit sein, sagt BKA-Präsident Holger Münch. Das BKA hat dazu bereits eine Spezialeinheit gegründet, in der Polizisten und Cyberanalysten zusammen arbeiten. Doch es gehe noch mehr, sagt der Behördenchef: „Wir spielen Bundesliga, und zur Champions League würde es gehören, einen größeren Kader und ein noch größeres Budget zu haben.“

Was empfehlen die Experten den Bürgern zum Eigenschutz? Niemals dasselbe Passwort für unterschiedliche Internetaccounts verwenden. Schwierige Passwörter mit mindestens zwölf Zeichen sowie Klein- und Großbuchstaben und Sonderzeichen verwenden. Wichtige Daten sollten zudem vom Internet getrennt aufbewahrt, Updates regelmäßig installiert und Sicherungsdateien angelegt werden. An Firmen richtet das BKA die Aufforderung, ihre Mitarbeiter ausgiebig zum Thema Internetsicherheit zu schulen.

Von Gisela Kirschstein

BKA will Dynamik der Anschläge unterbrechen

BKA-Präsident Holger Münch sieht in der derzeitigen Serie von Anschlägen und Amokläufen das Aufgehen einer perfiden Strategie des Terrornetzwerkes Islamischer Staat (IS): „Die Propaganda des IS ist sehr wirksam“, sagte Münch. Das liegt seiner Ansicht nach vor allem daran, dass der IS ein Art Regenmacher-Strategie nutzt: „Sie können im Prinzip alles machen und sich dann auf den IS berufen. Das ist das Ziel“, sagte Münch.

Von dem Aufruf, Anschläge zu begehen, fühlen sich Einzeltäter angesprochen, die sich im Geheimen radikalisieren, aber ebenso psychisch labile Menschen, die darin eine Chance sehen, mit einem größeren Effekt aus dem Leben zu scheiden. „Das ist ein dynamischer Effekt“, sagte Münch. Das zeigt seiner Meinung nach, dass die Terrormiliz IS sehr anpassungsfähig reagiert, wenn sie unter Druck komme, wie das derzeit der Fall sei.

„Wir müssen überlegen, was man noch mehr tun kann, um der Propaganda ihre Wirksamkeit zu nehmen“, sagte Münch weiter. Dazu ist das BKA „aktuell im Gespräch“ mit Politik und Wissenschaft. „Wir tun alles, um wieder zu einer Beruhigung zu kommen“, versicherte Münch. Die Dynamik der Anschlagsserie müsse gebrochen werden. Dazu verhandeln die BKA-Experten derzeit auch mit Providern im Internet zum Thema Sperren und Löschen von Propaganda-Inhalten.

Der italienische Philosoph Franco Berardi sagte in einem Interview mit der „Süddeutschen Zeitung“. „Wir haben es beim islamistischen Terror nicht mehr mit einem bewussten politischen Akt zu tun wie noch zu Zeiten des RAF-Terrorismus. Hinter den Taten in Nizza und Würzburg ist keine politische Strategie erkennbar.“ Er spricht von einer „islamistischen Verzweiflung“. Die Unterscheidung zwischen Amok und Terror spielt seiner Ansicht nach keine Rolle mehr.

Wie das Darknet funktioniert – und warum der Chaos Computer Club es verteidigt

Der Chaos Computer Club (CCC) warnt davor, die anonymen Bereiche des Internets zu verteufeln. „Das Bedrohungsszenario, das von deutschen Behörden gezeichnet wird, ist nicht sehr realistisch“, sagt Linus Neumann vom CCC.

Tatsächlich habe der Amokläufer für den Kauf der Waffe über das Darknet Monate gebraucht, sagte Neumann. In der realen Welt wäre dies wahrscheinlich sehr viel schneller gegangen. Der Umfang des Drogen- und Waffenhandels im Darknet sei weitaus geringer als derjenige außerhalb des Internets.

Ursprünglich wurde das Darknet zum Schutz von Dissidenten entwickelt, die darauf angewiesen sind, anonym zu veröffentlichen und sich informieren zu können. Das gelte heute insbesondere für Menschen in der Türkei, Iran oder Syrien, sagte Neumann: „Hier ist eine Abwägung von Schaden und Nutzen wichtig.“