Koblenz/Hamburg

Historie: Wie Koblenz Hitlers Tagebücher entlarvte

„Stern“-Ausgabe mit gefälschten Hitler-Tagebüchern: Lücken und inhaltliche Fehler
„Stern“-Ausgabe mit gefälschten Hitler-Tagebüchern: Lücken und inhaltliche Fehler Foto: dpa

Der Reporter lebt in einer hübschen Villa an der Hamburger Elbchaussee 348. Den Gästen an diesem Tag zeigt er die Pistole, mit der sich Adolf Hitler erschossen haben soll, und einen Stahlhelm, den der Führer, so sagt er, im Ersten Weltkrieg trug. Einer der Besucher bei dem Stern-Mitarbeiter wird später beweisen, dass vermeintliche Tagesbücher von Hitler eben nicht von Hitler sind. Die Geschichte, wie Koblenz den Schwindel entlarvte.

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Der Koblenzer Josef Henke war Referatsleiter im Bundesarchiv und verantwortlich für das Schrift- und Druckgut der NSDAP. Der heute 69-Jährige erinnert sich gut an den Besuch bei Gerd Heidemann, dem Reporter des Hamburger Wochenmagazins „Stern“. Heidemann gilt Anfang der 80er- Jahre als Starjournalist in der Hansestadt. Heidemann soll im Besitz wichtiger Dokumente aus der NSZeit sein, die das Bundesarchiv in Koblenz prüfen soll.

Erst ein halbes Jahr später sollte sich herausstellen, dass es sich bei den mysteriösen Dokumenten um die gefälschten Tagebücher Hitlers handelt. Es wird klar werden, dass der „Stern“ fast 10 Millionen Mark für die gefälschten Exemplare ausgegeben hat. Die Affäre wird sich zum größten Medienskandal der Bundesrepublik ausweiten: Chefredakteure werden zurücktreten, und der Starreporter wird seinen Job verlieren, Gerichte werden über den Betrug urteilen, und sogar Filme werden darüber gedreht.

Der „Stern“ wird sich von der Blamage lange nicht erholen, das Koblenzer Bundesarchiv, das die Fälschung entlarvt hat, wird international bekannt. Noch aber steht der Archivar Josef Henke bei Heidemann in der Wohnung und wundert sich über die skurrile Begegnung mit dem Reporter und Sammler. Jedes Dokument hat der Reporter ordentlich in einer Plastikfolie abgelegt.

Auch der Nachlass von Hitlers Adjutanten Schaub ist dabei. Dann ruft ein Martin an. „Hallo Martin“, begrüßt ihn der Reporter am Telefon und wimmelt ihn schnell ab. „Das war Martin“, sagt der Reporter zu seinen Gästen. Er meint Martin Bormann, den früheren Leiter der NSDAP-Parteizentrale. Der Vertraute Hitlers gilt seit Jahren als tot. Es ist nicht klar, was echt in diesem Hause ist. Aber es gibt diesen Nachlass des Adjutanten und die Akten über das geistig-geistliche SS-Zentrum Wewelsburg.

Henke sieht die Stempel der SS-Dienststellen und die Kanzleivermerke. Es waren „unheimlich gute Dokumente“, sagt Henke heute. „Ich hatte durchaus das Gefühl, dass es sich lohnt, mit ihm in Kontakt zu bleiben.“ Man muss kurz zurückblicken in jene Zeit: Es herrscht Goldgräberstimmung in den 80er-Jahren.

Bei Journalisten, Sammlern, aber auch Historikern. Die zeitgeschichtliche Forschung hat große Lücken. Von manchen Ministerien aus der NSZeit ist kaum etwas erhalten. Behörden brannten im Krieg zum Teil komplett aus, ein großer Teil der Dokumente wurde vernichtet. Alliierte Soldaten schleppten kistenweise Unterlagen mit nach Hause. Manche tauchen Jahre später überraschend in anderen Erdteilen auf.

Immer wieder gibt es in jenen Jahren Gerüchte über brisante Funde. Henke sagt heute: „Wir wussten, dass es noch große weiße Flecken gibt, die möglicherweise aufgefüllt werden könnten.“

Besuch der „Stern“-Redakteure

Henke hat im April 1982, ein Jahr vor dem Skandal, zum ersten Mal Besuch von den „Stern“-Redakteuren in Koblenz bekommen. Sie geben vor, an einer Geschichte über Hitlers Stellvertreter Rudolf Heß zu recherchieren, und wollen zudem einige Unterlagen prüfen lassen. Das Wort Tagebücher fällt nicht. Die Redaktion fürchtet, dass die Konkurrenz davon erfahren könnte.

Es geht um einige Schreiben mit den Unterschriften Hitlers. Für Henke ist dies nichts Ungewöhnliches. „Handschriften Hitlers wurden öfters angeboten“, sagt er, „es war nicht so, dass wir wie elektrisiert hochsprangen.“ Henke übergibt die Dokumente an das Landeskriminalamt, das damals noch seinen Sitz in Koblenz hatte. Ein Schreiben davon stammt tatsächlich aus den Tagebüchern.

Aber das weiß zu dem Zeitpunkt nur der „Stern“. Das LKA geht davon aus, dass die Unterschrift Hitlers auf dem Dokument mit hoher Wahrscheinlichkeit echt ist. Es ist ein Fehlgutachten. Das Unglück nimmt seinen Lauf. Das Bundeskriminalamt wird beauftragt, das Papier zu prüfen. Aber die Behörde braucht Zeit. Immerhin werden erste Zweifel laut, es ist von Weißtönern im Papier die Rede. Ein weiteres Gutachten des Bad Emser Chemikers Arnold Rentz stellt ebenso zum Teil Auffälligkeiten fest.

Aber von den untersuchten Dokumenten stammt nur ein Blatt Papier aus den „Tagebüchern“. Und ausgerechnet bei diesem Blatt kann Rentz keine Aufheller feststellen. Dem „Stern“ reicht dies als Beweis. Gemeinsam mit den positiven Handschriftengutachten von einem Urkundenexperten der New Yorker Polizei und dem ehemaligen Leiter der Zürcher Stadtpolizei glaubt das Magazin an die Echtheit der Bücher. Am 25. April 1983 will der Stern seine „Tagebücher“ präsentieren, ohne sie ernsthaft geprüft zu haben.

Henke sagt, dass er erst von den Tagebüchern erfahren hat, als das Magazin eine Pressemitteilung schickte. Der erste Anruf erreicht ihn von einem „Weltbild“- Journalisten. „Sie sind ja begehrter als der Papst.“ Tatsächlich steht nun Henke selbst im Rampenlicht. Am Rande der Meldungen über die „Sensation“ wird auch das Bundesarchiv erwähnt. Manche Journalisten glauben, dass die Koblenzer die Tagebücher geprüft hätten. Was aber nicht stimmt.

Der Präsident des Bundesarchivs, Hans Booms, ruft Henke an: „Ich frage Sie in aller dienstlichen Ernsthaftigkeit: Wussten Sie von diesen Tagebüchern?“ „Nein“, antwortet Henke. Josef Henke wird nach Hamburg zur Pressekonferenz geschickt. Er fährt mit „klammem Herzen“ los. „Man wählt den Beruf des Archivars ja nicht, um in der Öffentlichkeit zu stehen“, sagt er. Er befürchtet, dass die Hamburger das Bundesarchiv als Kronzeuge anführen.

Auf der Pressekonferenz sind die Zweifel bereits gewachsen. Der Historiker Hugh Trevor- Ropers, der zuvor die Echtheit der Bände bestätigte, ist sich plötzlich doch nicht mehr so sicher. Die Pressekonferenz wird für den „Stern“ zum Fiasko. Henke bietet den „Stern“- Verantwortlichen an, die Bände zu prüfen. Der Vorstandsvorsitzende von Gruner + Jahr, Gerd Schulte- Hillen, willigt ein. Henke packt drei Kladden in seine Aktentasche, fährt damit im Zug zurück nach Koblenz.

Im Zug wird er darauf angesprochen, was in Hamburg passiert sei. „Ja, ich war dabei“, sagt er. In der Tasche hat er die „Hitler-Tagebücher“.

In Koblenz packt er gemeinsam mit Klaus Oldenhage, dem Leiter des Grundsatzreferats im Bundesarchiv, die Kladden in den Panzerschrank. Vor dem Schrank blättern sie in den Büchern und gucken sich staunend an. „Wenn die echt sind“, sagt Henke. Sie sind es nicht. Die Überprüfung ist keine große Herausforderung mehr. Henke fährt mit den Originalbänden ins Bundeskriminalamt. Dort wird das Papier unter einen UV-Strahler gehalten.

„Es sprüht wie Wunderkerzen“, erinnert sich Henke. Das Papier stammt zum Teil aus der Nachkriegszeit.

Begutachtung in Koblenz

Dann machen sich Henke und Oldenhage an die historisch-philologische Begutachtung. Jeder arbeitet für sich. Fast alle der vermeintlich privaten Aufzeichnungen waren bereits in Medien jener Zeit veröffentlicht worden. „Fakten, die ohnehin jeder weiß, die schreibt man doch nicht auch noch in ein Tagebuch“, wundert sich Henke. Die Historiker entdecken zahlreiche Fehler. Es ist von einem Gesetz über den landwirtschaftlichen Vollstreckungsschutz die Rede, das es nicht gab.

Mal wurde das Datum einer Veröffentlichung mit dem Tag des Beschlusses verwechselt. Auf den Kopien der Tagebücher im Bundesarchiv kann man immer wieder die Anmerkungen Oldenhages sehen: falsch!, falsch!, falsch! Zwei Tage später telefonieren Oldenhage und Henke: „Die sind gefälscht“, sagt Oldenhage. „Stimmt“, sagt Henke.

Dann gleicht ein Mitarbeiter des Bundesarchivs eine Passage mit dem Standardwerk von Max Domarus über Hitler ab. Sie erkennen fast die gleiche Wortwahl. Und merken später, dass die Tagebücher dort Lücken aufweisen, wo auch die Informationen bei Domarus fehlen. Am 6. Mai 1983 lädt das Bundesarchiv zur Pressekonferenz nach Koblenz. Das Ergebnis: Die Bücher sind gefälscht.

Henke ist heute Pensionär. Nach dem Skandal ist er zum gefragten Experten geworden. Er beschäftigt sich nur noch selten mit Akten und Dokumenten. Er liest Romane von Thomas Mann, und er hat Gefallen an den Edgar-Reitz-Filmen gefunden. „Diese Filme“, sagt er, „bringen viel mehr Erkenntnisse über das Dritte Reich als kilometerweise Akten aus den Behörden.“

Von unserem Redakteur Dietmar Telser