London

Hintergrund: Wahlen und Regierungsbildung in Großbritannien

Sie heißt nicht umsonst „Her Majesty’s Government“. Die neue Regierung „ihrer Majestät“ wird am 25. Mai ihr Programm vorstellen können, während Elisabeth II. mit der „Rede der Königin“ das frisch gewählte Parlament feierlich eröffnet. Nur welche Regierung wird es sein?

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London – Sie heißt nicht umsonst „Her Majesty’s Government“. Die neue Regierung „ihrer Majestät“ wird am 25. Mai ihr Programm vorstellen können, während Elisabeth II. mit der „Rede der Königin“ das frisch gewählte Parlament feierlich eröffnet. Nur welche Regierung wird es sein?

Nach britischen Konventionen erteilt die Queen den Auftrag zur Kabinettsbildung dem Vorsitzenden einer Partei, die sich die Mehrheit im Westminster-Parlament gesichert hat. Im neuen Unterhaus braucht man dazu mindestens 326 Sitze. Normalerweise ist die Regierungsbildung für die Monarchin eine Routine-Angelegenheit. Diesmal jedoch könnte es spannend werden.

Mehr als 45 Millionen Briten wurden dazu aufgerufen, zwischen 7 Uhr und 23 Uhr MEZ ihre Stimmen für einen der 4 149 Kandidaten abzugeben, die 132 Parteien aus England, Schottland, Wales und Nordirland vertreten. Weil 146 bisherige Parlamentarier nicht kandidieren, könnte das neue „House of Commons“ bis zu 40 Prozent aus Neulingen bestehen – ein Rekord. Nach britischem Recht muss das Parlament einmal in fünf Jahren gewählt werden, wobei der jeweilige Premier die Abstimmung zum besten Zeitpunkt für seine Partei initiieren darf. Diese Wahl soll das Königreich 95 Millionen Euro kosten. Die Experten erwarten nach den relativ passiven Abstimmungen von 2001 und 2005 (je 59,4 und 61,4 Prozent) einen neuen Beteiligungsrekord.

Das sich so viele Briten in den vergangenen Wochen als Wähler registrieren ließen, lässt sich mit einer Neuerung erklären, die das Publikumsinteresse angeheizt hat. Erstmals hatten die Chefs der drei größten Parteien in Westminster in drei jeweils 90-minütigen Live-Debatten im Fernsehen miteinander diskutiert. Die Duelle haben vor allem die Liberaldemokraten unter dem Vorsitz von Nick Clegg populär gemacht, die ihren bisherigen Anteil von 62 Sitzen im neuen Unterhaus um bis zu 50 Prozent ausbauen könnten. Die Labour-Partei von Gordon Brown verteidigt eine Mehrheit von 48 Sitzen. Büßt sie mehr als die Hälfte davon ein, könnten die Tories die stärkste Fraktion werden. David Camerons Partei hat heute 210 Sitze. Die Wahlforscher glauben, dass sie einen landesweiten Vorsprung von neun bis zehn Prozent braucht, um alleine regieren zu dürften. Doch diese Zahlen sind im „First-past-the-Post“-System wenig aussagekräftig, weil am Ende nur etwa 25 Prozent der Wahlkreise (so genannte „marginals“) über den neuen Hausherren in der „Nr. 10“ entscheiden werden.

Das alte Mehrheitswahlrecht in Großbritannien ist nach Überzeugung vieler Experten ungerecht: Ein Kandidat muss hier nur eine Stimme mehr haben als seine Rivalen, um Parlamentarier zu werden. Treten in einem Wahlkreis viele Kandidaten an, und sind die Sympathien gleichmäßig verteilt, kann ein Ergebnis von 35 Prozent für den Sieg ausreichen. Die Stimmen der Verlierer zählen nicht. Das System bevorzugt Labour und die Konservativen, die in ihren traditionellen Bastionen meist zur stärksten Kraft werden, während die kleineren Konkurrenten auf die hinteren Plätze kommen und alles verlieren. So konnten sich die Liberaldemokraten 2005 über ihr Ergebnis von 22 Prozent nicht so recht freuen, denn sie bekamen weniger als zehn Prozent der Sitze im Parlament.

Wegen der Labour-Schwäche ist jetzt ein so genanntes „hung Parliament“ möglich, in dem keine Partei die Mehrheit hat. Zuletzt war dies 1974 der Fall. Im Vorfeld der aktuellen Wahl wurde wild über Allianzen spekuliert. In jedem Fall wird jedoch Brown als Erster die Verhandlungen über mögliche Koalitionen führen dürfen – selbst wenn Labour die zweitstärkste Kraft wird. Scheitert der Premier oder verzichtet er freiwillig, kommt Cameron an die Reihe. Normalerweise reichen den Briten nach einer Wahl etwa sieben Tage, um die Kräfteverhältnisse im Unterhaus zu bestimmen. Diesmal wurden werden den Parteien zwölf Tage Zeit eingeräumt. Sollten sie am Ende keinen Erfolg haben, ist eine neue Wahl möglich. Die Queen muss dazu grünes Licht geben. Ihre Majestät werde jedoch diese Notlösung mit allen Kräften vermeiden wollen, hieß es im Buckingham-Palast.

von RZ-Korrespondent Alexei Makartsev