Rheinland-Pfalz

Hekmat T.: Ich war Talibankämpfer

Von Hartmut Wagner
Hekmat T.: Ich war Talibankämpfer Foto: Sascha Ditscher

Erst kämpfte er in Afghanistan für die Taliban, zog in den „Heiligen Krieg“ und schoss mit einer AK 47 Kalaschnikow auf Polizisten. Dann kam er als Flüchtling in den Westerwald – jetzt muss er hinter Gitter: Das Oberlandesgericht Koblenz hat den Afghanen Hekmat T. (21) wegen mitgliedschaftlicher Beteiligung an einer ausländischen Terrororganisation zu drei Jahren Jugendstrafe verurteilt.

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Sein Fall wird die Diskussion über den Umgang mit afghanischen Migranten erneut verschärfen: Weil er der erste Asylbewerber ist, der sich in Deutschland als ehemaliger Kämpfer der radikalislamischen Taliban offenbarte und deshalb verurteilt wurde. Weil er von Anfang unter dem Verdacht stand, seine Geschichte des abtrünnigen Gotteskriegers erfunden zu haben, um nicht an den Hindukusch abgeschoben zu werden. Und: Weil er kein Einzelfall ist.

Hekmat T. ist einer von Tausenden afghanischen Asylbewerbern, die sich in Deutschland als Talibankämpfer offenbart haben – viele davon in Gesprächen mit dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF). Wie viele tatsächlich für die Taliban kämpften und später als Flüchtling nach Deutschland kamen, ist noch unklar. Die Bundesanwaltschaft ermittelt derzeit gegen knapp 100 von ihnen.

Der Prozess gegen Hekmat T. war der erste am Oberlandesgericht Koblenz gegen einen mutmaßlichen Talibanterroristen. Am 3. Juli beginnt der zweite. Der Angeklagte Khan A. (21), der zuletzt im Eifelstädtchen Prüm lebte, soll bei 50 Exekutionen durch die Gotteskrieger dabei gewesen sein.

Warum Hekmat T. auspackte, bleibt rätselhaft. Hätte er über seine Zeit als Talibankämpfer geschwiegen, wäre er heute in Freiheit. Stattdessen kam er nach langer Flucht ins Gefängnis.

Kamerad stirbt durch Kopfschuss

So erzählt er seine Geschichte: Bis Sommer 2014 kämpft er sechs Monate für die Taliban. Dann stirbt ein Kamerad durch einen Kopfschuss. Er selbst erleidet einen Streifschuss am rechten Ohr. Als er Urlaub in seinem Heimatdorf erhält, nutzt er diesen zur Flucht. Er fährt nach Mazar-e Sharif, wohnt sechs Monate bei einem Schleuser, zahlt ihm 12.000 Dollar. Davon sind 4000 Dollar seine Ersparnisse, 8000 Dollar der Erlös für ein geerbtes Grundstück, das er verkauft. 2015 verlässt er Afghanistan, flüchtet über den Iran, die Türkei, den Balkan und Österreich nach Deutschland. Ab 2016 lebt er im Flüchtlingsheim in Diez, später in einem Dorf im Westerwald.

Er ist am Ziel, in Freiheit und Sicherheit, weit weg vom Krieg in Afghanistan. Niemand weiß hierzulande, dass er Tausende Kilometer entfernt mit einem Sturmgewehr vom Typ AK 47 Kalaschnikow auf Polizisten schoss. Aber: Er erzählt es – erstmals am 2. Juni 2016 in Diez, als ihn ein Mitarbeiter des BAMF im Asylverfahren anhört.

Überraschendes Geständnis in Diez

Warum er das tut, erklärt seine Anwältin Sandra Buhr heute so: „Er hat sich nichts dabei gedacht. Er meinte, er könne in Deutschland nicht für etwas bestraft werden, was er in Afghanistan getan hat.“ Sie schließt aus, dass Hekmat T. sich aus Kalkül als Talibankämpfer bezichtigte – damit er nach seiner Haft in Deutschland bleiben darf, da ihm in Afghanistan als Verräter der Tod droht. Medien sprechen in solchen Fällen vom „Talibantrick“.

In Rheinland-Pfalz ermitteln die Behörden derzeit in einer einstelligen Zahl von Fällen gegen mutmaßliche (ehemalige) Mitglieder oder Unterstützer der Taliban – teilt das Landeskriminalamt auf Anfrage unserer Zeitung mit. Ein Teil dieser Beschuldigten sitzt wie Hekmat T. in Untersuchungshaft. Er wurde sechs Monate nach seinem Geständnis in Diez festgenommen und wiederholte es mehrfach, zuletzt im Prozess in Koblenz:

Er wächst demnach nördlich von Kabul auf, lernt weder schreiben noch lesen und arbeitet als Schafhirte. Seine Mutter stirbt, als er vier Jahre alt ist. Sein Vater verlässt ihn. Er wächst beim Onkel auf. Als er 17 Jahre alt ist, bedrängen ihn Talibankämpfer, sich ihnen anzuschließen. Er will nicht, hält aber dem Druck nicht stand. Anfangs arbeitet er bei den Taliban als Küchenhelfer. Dann trägt er die Munition eines Maschinengewehrschützen, hilft am Kata-Ghaleh-Pass bei vier Angriffen auf die Polizei. Schließlich erhält er eine Kalaschnikow mit 60 Schuss Munition und feuert bei zwei Angriffen auf den Basar und die Polizeistation am Kata-Ghaleh-Pass in Richtung von Polizisten – jeweils etwa 50-Mal. Danach setzt er sich ab.

Anwältin Buhr sagt heute über ihren Mandanten: „Er wollte nie für die Taliban töten, war nie von deren Sache überzeugt.“ Er habe in die Richtung der Polizisten geschossen, aber ohne zu zielen – mit dem Gewehr über dem Kopf. Die Polizisten seien so weit weg gewesen, dass ein gezielter Schuss unmöglich war. Hekmat T. sollte sie auch nicht töten, sondern ablenken. Ob bei den Gefechten, an denen er beteiligt war, jemand verletzt oder getötet wurde, ist nicht bekannt.

Der Fall Hekmat T. hat auffallende Ähnlichkeit mit dem Fall des Afghanen Wajid S. Der 19-Jährige steht seit April wegen mutmaßlicher Mitgliedschaft bei den Taliban vor dem Kammergericht Berlin. T. und S. sagten aus, dass sie in der Küche arbeiteten, bei Angriffen auf die Polizei dabei waren und nach einem Streifschuss flüchteten. Beide legten ihr Geständnis erstmals bei einer Anhörung des BAMF ab, ohne objektive Beweise vorlegen zu können. Beide sagten, sie wüssten nicht, ob es bei Gefechten, an denen sie beteiligt waren, Tote gab.

Aber: Wajid S. widerrief sein Geständnis. Er behauptete am ersten Prozesstag, er sei nie Talibankämpfer gewesen und habe nie an Gefechten teilgenommen. Das alles habe er nur erzählt, um in Deutschland als Flüchtling anerkannt zu werden. Eigentlich sollte sein Prozess bereits vorbei sein. Inzwischen sind bis Anfang September sieben weitere Tage anberaumt.

Am 21. September 2016 lag Hekmat T. blutüberströmt auf dem Fußboden des Flüchtlingsheims in Diez – niedergestochen von einem Afghanen (21), der sein Land wegen der Taliban verlassen hatte. Die Klingenspitze des Tatmessers brach ab, Ärzte fanden sie später im Kopf von Hekmat T. Der hatte kurz vor der Tat in seinem Zimmer gesessen und Zigaretten gedreht. Plötzlich kam von hinten ein Mitbewohner und drohte: „Weißt du, mit wem du es zu tun hast?!“ Dann stach er immer wieder zu. Hekmat T. überlebte schwer verletzt, sein Mitbewohner wurde wegen des Mordversuchs zu sechs Jahren Jugendstrafe verurteilt. Warum es zu dem Eklat kam, ist unklar. Möglicherweise gab es Streit ums Frühstück.

Der Talibanprozess gegen Hekmat T. war nicht öffentlich. Seine Anwältin forderte eine zweijährige Bewährungsstrafe, die Bundesanwaltschaft vier Jahre Haft. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.

Von unserem Chefreporter Hartmut Wagner