Berlin

Hasspost: Polizei handelt, Facebook beschämt Nutzer

Wer glaubt, im Internet ließen sich rassistische und menschenverachtende Äußerungen tätigen, ohne dass er dafür zur Verantwortung gezogen wird, der irrt. Samstagmorgen durchsuchte die Berliner Polizei im Stadtteil Hellersdorf die Wohnung eines 26-Jährigen. Er steht im Verdacht, sich via Facebook über den Tod eines Flüchtlingskinds lustig gemacht zu haben.

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Von unserem Redakteur Dominic Schreiner

Bei der Durchsuchung beschlagnahmten die Beamten den Computer des Manns sowie zwei Mobiltelefone. Der Aktion vorausgegangen war ein in den sozialen Netzwerken wahrscheinlich bislang beispielloser Vorgang.

Das Foto des dreijährigen Syrers Aylan Kurdi, das seit vergangenem Dienstag um die Welt geht, erschüttert, bewegt, lässt Menschen verstummen. Ein kleiner Junge liegt tot am Strand des türkischen Urlaubsorts Bodrum. Er ist im Mittelmeer ertrunken, auf der Flucht nach Europa und in ein vermeintlich sichereres Leben. Eine zentrale Aussage des Bildes: Krieg und Vertreibung fordern auch unter den Schwächsten, den Kindern, ihre Opfer. Grausam. Unerbittlich. Es gibt sicherlich weitere Möglichkeiten, dieses Bild zu lesen. Aber es ist unvorstellbar, dass man beim Anblick dieses unschuldigen Kindes, das wie Treibgut an Land gespült wurde, wenigstens für einen Moment weder Mitleid, Respekt noch Menschlichkeit empfindet. Doch genau das Gegenteil davon passiert am Donnerstag.

Zynische Botschaft voller Hass

Auf der Facebookseite „Berlin wehrt sich – Gemeinsam gegen Asylmissbrauch“, auf der der oder die Betreiber seit geraumer Zeit rassistische Äußerungen tätigen und ihren Hass auf Flüchtlinge bislang ungehindert artikulieren konnten, wird Aylans Foto gepostet. Darüber steht eine zynische Botschaft voller Hass: „Wir trauern nicht, sondern wir feiern es! Nur ein Flüchtling, ein Flüchtling ist zu wenig: Das Meer hat schon mehr Flüchtlinge geschluckt!“ Mehr als 50 Menschen drücken unter dem Post auf „Gefällt mir“.

Womit weder Urheber noch Sympathisanten der Hassbotschaft wohl gerechnet haben dürften, ist das, was dann losbricht: Im sozialen Netzwerk wütet ein Sturm der Entrüstung, ein Aufstand der Anständigen. Hunderte Kommentatoren des Posts brandmarken dessen Aussage als „menschenverachtend, widerlich, grausam“. Vielfach wird der Post von Nutzern verbreitet, verbunden mit der Aufforderung, ihn und sogleich die ganze Seite bei Facebook zu melden, um so zu erreichen, dass beide gelöscht werden. Bei der Berliner Polizei und anderen Dienststellen häufen sich indes die Strafanzeigen gegen den Betreiber, mehrere Hundert sollen es gewesen sein. Die Vorwürfe: Verunglimpfung des Andenkens Verstorbener sowie Volksverhetzung. Am Samstag bekommt der Verdächtige Besuch von der Polizei.

Bis zu drei Jahre Gefängnis

Im Fall einer Verurteilung drohen dem Mann bis zu drei Jahre Haft. Die Hassbotschaft könnte ihrem Urheber demnach einen längeren Gefängnisaufenthalt bescheren. Hinter der Facebookseite verbirgt sich mutmaßlich der Berliner Benjamin S., der unter www.berlin wehrtsich.wix.com eine Internetseite unter seinem Klarnamen betrieben hatte. Diese wurde am Samstagnachmittag aus dem Netz genommen, die gleichnamige Facebookseite besteht jedoch nach wie vor. Und rund 3000 Menschen gefällt sie, Stand Sonntagabend. Am Freitag waren es nur ein wenig mehr als 2100 Fans gewesen. Sieht ganz so aus, als habe S. durch seinen Post tatsächlich neue Anhänger hinzugewonnen.

Neben Benjamin S. ist auch Facebook selbst Ziel der Entrüstung geworden. Das Netzwerk wirbt unter anderem mit seinen Gemeinschaftsstandards für sich. „Die Präsenz von Organisationen und Personen, die Hass gegen geschützte Gruppen schüren, ist auf Facebook nicht zulässig. Wir vertrauen darauf, dass unsere Gemeinschaft uns entsprechende Inhalte meldet“, formuliert das Netzwerk sein angebliches Credo. Doch diesen Aussagen und Hunderten Meldern zum Trotz hatte man bei Facebook den Hasspost bis in die Nacht zu Sonntag wohl für regelkonform gehalten.

„Wir haben die wegen Hassbotschaften gemeldete Seite geprüft und festgestellt, dass sie nicht gegen unsere Gemeinschaftsstandards verstößt“, so die lapidare Antwort, die etliche Nutzer auf ihre Meldung hin erhielten und öffentlich machten. Erst nachdem der Druck auf das Netzwerk durch immer weitere Meldungen immer größer geworden war, löschte Facebook zumindest die Hassbotschaft von „Berlin wehrt sich“. „Das ist beschämend“, befand ein Nutzer. „Es wird vielleicht Zeit, sich abzumelden“, schrieb ein anderer.