Grüne wollen keine Verbotspartei sein

Noch nicht auf Kurs: Katrin Göring-Eckardt und Anton Hofreiter.
Noch nicht auf Kurs: Katrin Göring-Eckardt und Anton Hofreiter. Foto: picture alliance

Die Grünen arbeiten ihr schlechtes Ergebnis bei der Bundestagswahl 2013 auf. Eine Gruppe von Grünen aus Baden Württemberg hat ein Papier verfasst, in dem sie eine Neuausrichtung der Partei fordern.

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Wenn der Parteivorstand der Grünen nach der Urlaubspause am 25. August erstmals wieder zusammenkommt, wird es Redebedarf geben. Eine Gruppe aus Baden-Württemberg – mit von der Partie ist die stellvertretende Fraktionsvorsitzende im Bundestag, Kerstin Andreae – hat in einem vierseitigen Papier mit dem Titel „Freiräume schaffen und schützen“ die Neuausrichtung der Partei gefordert. Tenor des Papiers: Weg von der Verbotspartei hin zu einem liberalen Selbstverständnis. Die Aufarbeitung ihres enttäuschenden Bundestagswahlergebnisses hat bei den Grünen gerade erst begonnen.

Das Papier ist Teil einer Debatte, die zurzeit unter den 60 000 Mitgliedern zur künftigen Ausrichtung der Partei im Internet geführt wird. Ein klares inhaltliches Profil ist dringend notwendig. Seit Monaten kommen die Grünen kaum noch vor. Und zur Frage künftiger Regierungsoptionen auf Bundesebene werden unterschiedliche Meinungen herausposaunt. Spricht man mit grünen Bundestagsabgeordneten, merkt man, dass die Basis langsam nervös wird. Nach der Sommerpause müssten die Grünen dringend sichtbarer werden, in der Opposition Profil zeigen. Erste Zweifel am Kurs der „konstruktiven Opposition“ werden laut, den die neue Fraktionsspitze mit Anton Hofreiter und Katrin Göring-Eckardt ausgegeben hatte.

Beide hatten als Marschrichtung vorgegeben, mit den Grünen werde es kein grundsätzliches Nein zu aller Regierungspolitik geben. Man werde im Einzelfall in der Sache entscheiden. Das würden deren Anhänger von den Grünen erwarten. Doch schon vermissen manche die pointierten Attacken des früheren Fraktionschefs Jürgen Trittin oder der früheren Parteichefin Claudia Roth.

Die neue Führung tritt leiser auf, was auch daran liegt, dass inhaltlich die Richtung fehlt. In der Partei herrscht seit der Bundestagswahl nach dem enttäuschenden Ergebnis von 8,4 Prozent Verunsicherung. Der frische Wind, den man sich von Personalwechseln an Fraktions- und Parteispitze versprochen hatte, ist bisher ausgeblieben. Der junge Parteilinke Hofreiter wirkt noch blass, auch die erfahrenere Co-Fraktionsvorsitzende Katrin Göring-Eckardt dringt kaum durch.

Während Göring-Eckardt sich zumindest offen zeigt für schwarz-grüne Regierungsbündnisse im Bund („Wenn wir etwas bewegen können, ist grüne Regierungsbeteiligung immer reizvoll“), schwört Parteichefin Simone Peter auf Rot-Rot-Grün („Da sehe ich größere Schnittmengen mit Rot-Rot, etwa wenn es um Verteilungsgerechtigkeit und Bürgerrechte geht.“). Göring-Eckardt widerspricht Peter: „Wenn ich mir die Linke ansehe, stelle ich fest: Da arbeitet eine große und einflussreiche Gruppe intensiv daran, eine Regierungsbeteiligung zu verhindern.“ In der Außenpolitik lägen Welten zwischen Grünen und Linken.

Wichtiger noch als die Koalitionsfrage wären neue Themen. Umfragen sehen die Grünen derzeit bei 9,5 Prozent. Am 19. September will die Bundestagsfraktion auf einem ersten „Freiheitskongress“ mit der Aufarbeitung der Bundestagwahl beginnen. Im Wahlkampf waren die Grünen mit der Forderung nach einem fleischlosen Tag in Kantinen als bevormundend wahrgenommen worden. Seit Wochen debattieren die Mitglieder in Foren über das Thema. Dahinter stehen auch Überlegungen, wie man nach dem Verschwinden der FDP aus dem Bundestag im liberalen Milieu Wähler begeistern könnte.

Der Vorstoß aus Baden-Württemberg ist mutig. Andreae hatte sich bereits eine Abfuhr der Parteiführung eingehandelt, weil sie öffentlich eine Abkehr von der Steuerpolitik im Wahlkampf gefordert hatte. In dem Papier heißt es nun reumütig: „Unser Wahlprogramm belegte eine ausgeprägte Regulierungsfreude.“ Diese sei jedoch ein Widerspruch zum grünen Grundsatzprogramm. Grüne Politik richte sich „auf die Schaffung und Erhaltung von Gestaltungsspielräumen“. Sie sei in ihrem Kern „eine Politik der Freiheit“. Das Papier will sich durchaus auch von der FDP distanzieren. Ein Mensch sei heute nicht frei, nur weil er „vom Staat oder äußeren Einflüssen möglichst unbehelligt bleibt“. Freiheit sei voraussetzungsreich geworden. Die „aktive Bürgergesellschaft“ müsste ihre Grenzen aushandeln, nicht der Staat.

Das Papier enthält auch ein klares marktliberales Bekenntnis. Es sei nicht die Politik, die die ökologische Modernisierung umsetzt, sondern die Wirtschaft. Grüne Politik der Freiheit bedeute, „Freiräume am Markt zu erhalten, damit Menschen Möglichkeiten eröffnet werden, sich innovativ zu entfalten und den Schritt in die Selbstständigkeit zu wagen.“ Die Antwort des linken Parteiflügels auf diesen Vorstoß der eher realpolitisch orientierten Baden-Württemberger wird nicht auf sich warten lassen. Auch die FDP dürfte die Debatte aufmerksam verfolgen. Rena Lehmann