Berlin

Gabriel fordert nicht nur die Union mit einem eigenem Sicherheitskonzept – sondern auch die eigenen Experten

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Nach Magen-OP und Weihnachtspause überraschte SPD-Chef Sigmar Gabriel nicht nur das Fernsehpublikum mit einem Entwurf für mehr Sicherheit in Deutschland – sondern auch die eigenen Sicherheitsexperten.

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Die fanden nach der ersten Lektüre des Sieben-Seiten-Papieres unter der Überschrift „Zeit für mehr Sicherheit in Zeiten wachsender Unsicherheit“ nicht nur Verschärfungen im Vergleich zum Wahlkampfentwurf vom November, sondern auch Abschwächungen im Vergleich zu Positionsveränderungen, die nach dem Weihnachtsmarkt-Attentat formuliert worden waren.

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Thomas de Maizière

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Gerda Hasselfeldt

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Sein Papier liest sich über weite Strecken wie eine kritische Analyse typischer SPD-Reflexe. Die Sozialdemokratie treibe nun einmal die Sorge um, dass eine Stärkung des Staates mit der Einschränkung von Bürgerrechten und Möglichkeiten des staatlichen Machtmissbrauchs einhergehen könne. Konkret: „Die zweite Gefahr ist die reflexhafte Abwehr einer sicherheitspolitischen Diskussion, weil sie in den sozialdemokratisch geführten Bundesländern von der konservativen Opposition genutzt werden könnte, den SPD-Innenministern ,Versagen’ vorzuwerfen.“

Die Reflexe will Gabriel brechen. Auf der einen Seite beruft er sich auf ein „Grundrecht auf Sicherheit“ und definiert das Gewährleisten von Schutz als „Verteilungsthema“ – die SPD also als Schutzpatronin des kleinen Mannes. Auf der anderen Seite markiert er vermeintlich scharfe Grenzen zur Union. So verwendet er große Anstrengungen darauf, die von CDU/CSU verlangten Transitzonen als Scheinlösungen zu entlarven. Schließlich hätten sich „alle Täter des Jahres 2016 deutlich nach Einreise radikalisiert und nicht vor der Einreise“.

Gabriel appelliert an die SPD, ihrer Verantwortung gerecht zu werden, die daraus erwachse, dass innere Sicherheit vor allem Länderaufgabe sei und die SPD in den meisten Ländern regiert. Sie solle dabei anders als angeblich die Union nicht nur die Repression, sondern auch die Vorbeugung verstärken. „Jugend- und Sozialarbeit in Flüchtlingsunterkünften darf nicht in so homöopathischen Dosen stattfinden wie zurzeit“, fordert Gabriel. Neue Bezugspunkte auch auf anderen Feldern: Prävention durch Zusammenarbeit mit Moscheegemeinden und gleichzeitig „Schließung radikal-islamistischer und salafistischer Moscheen“.

Es liest sich wie der Versuch, einen neuen Rahmen zu zimmern, um darin auf breiter Front beizudrehen: Vom verschlankten Datenschutz über mehr Videoüberwachung, Fußfesseln für Gefährder, leichtere Abschiebehaft bis hin zum Aufbau eines Anti-IS-Propaganda-Netzwerks.

Innenminister Thomas de Maizière von der CDU braucht keinen Rahmen mehr. Denn er hat die vielen Punkte, die nun als Konsequenz aus dem Weihnachtsmarkt-Attentat gefordert werden, bereits im Sommer vorgelegt, im Herbst sogar als Gesetzentwurf, wurde aber von der SPD ausgebremst. Etwa bei der Möglichkeit, Gefährder in Abschiebehaft zu nehmen oder Leistungen und Rechte denen zu streichen, die das Verfahren boykottieren.

Beiläufig erinnert er daran in seinem ganzseitigen FAZ-Beitrag. Doch unter der Überschrift „Leitlinien für einen starken Staat in schwierigen Zeiten“ geht er vor allem daran, die seit Jahrzehnten eingefahrenen Zuständigkeiten infrage zu stellen.

Wenn die Innenminister über die Sicherheitslage der Nation beraten, ist de Maizière immer nur Gast. So ist für ihn nach jahrelangem Analysieren und Erleiden des Zuständigkeitsstreits der bessere starke Staat vor allem mit einem neuen Durchgriffsrecht des Bundes verbunden. Keine Gruppierung wolle wohl nur in einzelnen Bundesländern die Verfassung abschaffen, argumentiert de Maizière und plädiert deshalb dafür, den Verfassungsschutz allein als Bundesbehörde zu organisieren. Hier gleicht de Maizière Gabriels Appell an die eigene Partei: Diese Passagen gehen auch und vor allem an die Föderalismus-Fans in den eigenen Reihen. Weitere Vorschläge, wie die Ankunftszentren in Afrika, verfolgt de Maizière bereits seit Jahren. Nun stellt er sie in einen neuen Begründungszusammenhang, indem er für die EU einen „wirksamen Massenzustrom-Mechanismus“ einfordert.

Die Papiere für die Winterklausur der CSU-Landesgruppe unter ihrer Chefin Gerda Hasselfeldt entstanden in Teilen bereits vor dem Anschlag. Die Positionen starten bei der Forderung nach einer Obergrenze, bekräftigen und erweitern viele Forderungen, bei denen SPD oder CDU bislang auf der Bremse standen. Angesichts der aktuellen Debatte dürften die Christsozialen ihr Konzept bei der Klausur in einzelnen Formulierungen nachschärfen.

Von unseren Berliner Korrespondenten Jan Drebes und Gregor Mayntz

Die möglichen Bausteine

Gabriel-Konzept:
  • Radikal-islamistische Moscheen schließen
  • Anti-Dschihad-Netzwerk aufbauen
  • Datenschutzreform: Passbilder für Fahnder
  • Elektronische Fußfessel für Gefährder
  • Mehr Videoüberwachung öffentlicher Plätze
  • Mehr Personal für die Polizei
De-Maizière-Konzept:
  • Zentrale Steuerung der Sicherheit durch den Bund
  • Verfassungsschutz komplett zum Bund
  • Schleierfahndung auch außerhalb des Grenzbereiches
  • Ausreisepflichtige in Ausreisezentren zusammenlegen
  • Nationale Cyber-Abwehr
  • EU-Aufnahmezentren in Nordafrika schaffen
Hasselfeldt-Konzept:
  • Identität in Transitzentren an der Grenze klären
  • Maghreb-Staaten als sichere Herkunftsländer festlegen
  • Straffällige abgelehnte Asylbewerber in Abschiebehaft
  • Mittelmeer-Flüchtlinge nach Afrika
  • Aufnahme von Flüchtlingen nur bis zu einer Obergrenze
  • Rückkehrprämie: Wer früher geht, bekommt mehr