Food Report: Woher kommt das Essen von morgen?

Die Karaffe „Le Whaf“ serviert Whisky in Dampfform, der alkoholische Nebel wird über einen Strohhalm inhaliert.
Die Karaffe „Le Whaf“ serviert Whisky in Dampfform, der alkoholische Nebel wird über einen Strohhalm inhaliert. Foto: Le Whaf

Wovon wollen wir uns in Zukunft ernähren? Quetschen wir unser Essen bald bloß noch aus Tuben? Wie können wir es schaffen, unsere Lebensmittel nachhaltig zu produzieren? Und kann die Weltbevölkerung ohne Gentechnik satt werden? Jahr für Jahr nimmt die österreichische Ernährungswissenschaftlerin Hanni Rützler für ihren „Food Report“ im Auftrag des Frankfurter Zukunftsinstituts aktuelle Trends aus Gesellschaft, Gastronomie und Nahrungsmittelindustrie unter die Lupe.

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Ihre Recherchen führen sie rund um den Globus. Was sie aufstöbert und zum Trend erklärt, basiert auf unseren veränderten Lebensgewohnheiten und zeigt, wie aus einem Randphänomen eine gesellschaftliche Bewegung wird.

1 Allerweltsbio hat ausgedient, bewusstes Genießen geht jetzt brutal lokal. Es ist noch gar nicht so lang her, da gab es Biolebensmittel nur im Reformhaus. Der Gang dorthin glich dem zur Apotheke, und wer dort meist knüppelharte, knochentrockene Körnerbrötchen kaufte oder gar grob geschrotetes Getreide zum Selberbacken, der hatte meist einen Hang zur Esoterik und Jesuslatschen an. Heute gibt's Bioware im Discounter – ein sicheres Zeichen dafür, dass sie in aller Munde ist. Produziert wird „Billigbio“ häufig in fernen Ländern unter Bedingungen, die schwierig zu kontrollieren sind.

Was schon zum nächsten Trend führt: Weil wir plötzlich wissen wollen, woher unser Essen kommt, gibt es einen Trend zu regionalen Produkten. Mit dem paradoxen Effekt, dass die zunehmend weltweit gefragt sind. Als „hyper lokal“ beschreiben Experten das Phänomen, dass Lebensmittel geschätzt werden, die möglichst unmittelbar vor der eigenen Haustür wachsen. Läden und Restaurants stellen sich darauf ein, setzen auf regionale Produzenten, zu denen sie persönlichen Kontakt pflegen und dessen Produkte sie möglichst exklusiv vertreiben. Angesagt ist, nicht bloß den Namen einer alten Kartoffelsorte zu kennen, sondern auch den des Bauern, der sie vor dem Aussterben bewahrt.

In der Konzeptküche für das Jahr 2025 führt Ikea eine Arbeitsfläche vor, die zugleich Nachschlagewerk, Herd und Rezeptlieferant ist.
In der Konzeptküche für das Jahr 2025 führt Ikea eine Arbeitsfläche vor, die zugleich Nachschlagewerk, Herd und Rezeptlieferant ist.
Foto: IKEA

2 Unser Essen kommt aus dem Labor: „Flavor Science“ (Wissenschaft des Geschmacks) heißt ein neuer Wissenschaftszweig, der Chemie, Biotechnologie, Ingenieurswissenschaft, Informationstechnologie und Psychologie vereint. Forscher arbeiten daran, den Geschmack mit molekularbiologischen und neurowissenschaftlichen Methoden zu beeinflussen. Aromen werden in ihre chemischen Bestandteile zerlegt und analysiert, um sie im Labor nachzubauen. Zudem versuchen die Wissenschaftler, die komplexe Reaktion unseres Gehirns auf den Geschmack zu verstehen, der vor allem durch den Geruchssinn bestimmt wird. Wer das Rätsel des Geschmackserlebens löst, kann das Wohlbefinden und die Gesundheit der Menschen verbessern, ist der US-Neurowissenschaftler Gordon Shepherd überzeugt, der diese Vorgänge in seinem Buch „Neurogastronomie“ beschreibt.

3 Kochen wird bequem: Der Trend zu Convenience, also verzehrfertigem Essen für zu Hause oder unterwegs, entwickelt sich fort. Bei Fertigprodukten gab es eine Qualitätsrevolution, längst gibt es Tütenessen auch in Bioqualität – einst ein Widerspruch in sich. Nun greift der Trend auf Handel und Gastronomie über. Lebensmittelhändler stellen Zutaten für ein Gericht in fertigen Einkaufskörben zusammen und liefern die Kochanleitung gleich mit. Das Lieblingsrestaurant bringt einem seine Speisen neuerdings per Lieferdienst nach Hause. Der Internethändler Amazon baut sein Lebensmittelsegment aus und testet seit einem Jahr die Zustellung frischer Lebensmittel auf dem staufreien Luftweg per Drohne. Wer sich doch noch ins Restaurant begibt, den empfängt dort neuerdings eine Umgebung wie zu Hause: Kühles Design wird zunehmend durch Küchen- oder Wohnzimmerambiente abgelöst. Leicht abgewohnt statt auf Hochglanz poliert, das wirkt anheimelnd und steigert den Wohlfühlfaktor.

Die Kücheneinrichtung der Zukunft kommt ausgerechnet von Ikea. Auf der Expo in Mailand hat die schwedische Möbelhauskette ihr Konzept der Ikeaküche 2025 präsentiert: Lebensmittel lagern in Regalen, wo sie individuell gekühlt werden. Im Esstisch ist ein Kochfeld integriert, das Zutaten erkennt und geeignete Rezepte liefert. Fehlende Vorräte werden automatisch nachbestellt. Abfälle werden gepresst und fürs Recycling vorbereitet.

Schöne neue Unterwasserwelt: Das Projekt Nemos Garden erprobt den Anbau von Kräutern und Gemüse im Golf von Genua vor der italienischen Küste. Die Biosphärenballons ankern in zehn Meter Meerestiefe.
Schöne neue Unterwasserwelt: Das Projekt Nemos Garden erprobt den Anbau von Kräutern und Gemüse im Golf von Genua vor der italienischen Küste. Die Biosphärenballons ankern in zehn Meter Meerestiefe.
Foto: Nemos Garden

4 Hier kocht der Arzt: Bei der Lebensmittelproduktion mischt zunehmend auch die Gesundheits- und Kosmetikindus-trie mit. Satt zu werden, genügt nicht mehr – unser Essen wird zur Medizin, das reine Haut, stabile Knochen, verlängertes Leben oder die Vorbeugung von Alzheimer verspricht. Köche werden zu Gesundheitsgurus, die vegane Ernährung propagieren (Attila Hildmann) oder Gewürzmischung in Pillenform als „Zellfitnesskapseln“ verkaufen (Alfons Schuhbeck). Beyond-Food-Produkte heißen die Lebensmittel mit angeblicher Heilwirkung.

Unter den Megatrend Gesundheit fällt auch das sogenannte Food Hacking: Bestandteile in der Nahrung, die als schädlich gelten, werden im Labor eliminiert und durch vermeintlich gesündere oder ethisch korrektere Alternativen ersetzt – zum Beispiel tierische Fette durch pflanzliche. Auch Nicht-Essen kann eine Lösung sein: Soylentismus heißt eine Bewegung, die Anhänger gewinnt. Ihr Name geht auf flüssige Fertignahrung eines US-Herstellers zurück. Inzwischen gibt es mehrere Marken, die das Speisen überflüssig machen. Es genügt, regelmäßig einen Drink zu sich zu nehmen, der den Körper mit allen relevanten Nährstoffen versorgt. Das spart Zeit, Energie und Geschirr.

Von unserer Redakteurin Nicole Mieding