Lamardelle

Familienstiftung weiß Bürokratie zu umgehen

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Neben Schuluniformen und guter Ausbildung ist auch die warme Mahlzeit fester Bestandteil der Fürsorge bei der Stiftung. Denn zu Hause leiden viele Kinder schweren Mangel. Foto: Carsten Luther

Der Weg in die Zukunft kann für Haiti nur über Bildung führen. Doch wird es Generationen dauern, um den Schaden der vergangenen Jahrzehnte zu reparieren.

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Lamardelle – Der Weg in die Zukunft kann für Haiti nur über Bildung führen. Doch wird es Generationen dauern, um den Schaden der vergangenen Jahrzehnte zu reparieren.

Denn schlechte Ausstattung und Finanzierung haben die staatlichen Schulen ruiniert, schlecht bezahlte Lehrer kündigen oder erscheinen nicht zum Unterricht, sobald sich lukrativere Möglichkeiten bieten. Nur wenige private Initiativen geben derzeit Anlass zur Hoffnung, dass sich in Haiti etwas zum Besseren wenden könnte. Eine davon ist die Fondation Enfant Jesus – eine Stiftung der Familie Duncan, die auch dank der Spenden unserer Leser mit ihren vielfältigen Projekten vor allem Frauen und Kindern eine Zukunftsperspektive bieten kann.

Das Besondere an der Stiftung: Sie ist bereits seit 30 Jahren aktiv und eine rein haitianische Schöpfung. Ein Familienprojekt, um genau zu sein. Denn 1979 entschloss sich Lucienne Duncan – heute 81 Jahre alt – ihr Familienvermögen für die Allgemeinheit einzusetzen. In einer klassischen Gutsherrenfamilie aufgewachsen, übernahm sie Verantwortung für die Kinder in den umliegenden Siedlungen und gründete eine private Schule, die zunächst 50 Kindern eine Ausbildung ermöglichte. Gerade in den ländlichen Regionen Haitis bis heute keine Selbstverständlichkeit.

Über die Jahre kamen in Lamardelle gut 25 Kilometer östlich von Port-au-Prince weitere soziale Bausteine hinzu: eine Kapelle, ein Kindergarten, ein Waisenhaus, schließlich wurde die Schule um einige Klassen erweitert und nimmt heute mehr als 400 Schüler auf. Im Aufbau sind zudem eine Ambulanz, eine Genossenschaft für Kleinbauern sowie ein Auffanglager für Frauen, die durch das Erdbeben Behinderungen erlitten haben.

Doch damit nicht genug: Daneben haben die Duncans auch ein Projekt mit Mikrokrediten und Seminaren für angehende Unternehmerinnen aus dem Umland aufgelegt. Alles aufeinander abgestimmt und in Zusammenarbeit mit internationalen Förderern und Trägern. Doch was ist das Geheimnis der Duncans, dass ihnen Vieles gelingt, wo sich andere Hilfsorganisationen scheinbar die Zähne ausbeißen? Zum einen zählen sie seit Generationen zu den einflussreichsten Familien in Haiti. „Vieles geht hier nur, wenn man das eigene Gesicht zeigt“, erklärt Lucien Duncan, der mit seiner Frau Gina die vielen Projekte der Mutter nach und nach übernommen hat.

Aus politischen Ränken hat sich die Familie stets herausgehalten, die Türen der komplizierten Verwaltungsapparate und Ministerien lassen sich dann leichter öffnen. So sind sie nicht nur mit der besonderen Sprache, sondern ebenso mit dem Stil vertraut, mit dem in Haiti die wirklich wichtigen Dinge entschieden werden.

Zudem hat die Stiftung einen in Haiti unschätzbar wertvollen Vorteil: Sie besitzt Land. Und davon nicht zu wenig. So wird die erste Hürde, an der die meisten Hilfsaktionen bereits scheitern, spielend überwunden. Das schafft zumindest eine gewisse Planungssicherheit. Denn alle Mühen bergen auch eine große Gefahr. „Wir können uns enttäuschte Menschen nicht leisten“, erklärt Lucien Duncan die komplizierte Aufgabe. „Wenn ich etwas verspreche, muss ich auch liefern.“

Und bisher liefert er stets pünktlich, was auch dazu führte, dass die Menschen in der Region der Stiftung ohne Misstrauen gegenübertreten und die Hilfe auch wirklich annehmen. Denn manche stolzen Haitianer kommen nur schwer mit der Situation zurecht, dass ihr Land komplett von ausländischer Hilfe abhängig ist und stehen der Hilfe skeptisch bis ablehnend gegenüber. Weil sie Lucien Duncan aber von kleinauf kennen, begegnen sie ihm und seinen Initiativen viel offener.

So auch bei einem weiteren Projekt, das erst zu Jahresbeginn gestartet ist: Zehn junge Frauen und Männer bekommen die Chance auf den ganz großen Sprung. In einem eigenen Haus und mit besonderer Förderung sollen sie auf ein Studium im Ausland vorbereitet werden. Für die Stiftung allerdings keine Einbahnstraße: In wenigen Jahren sollen die gut ausgebildeten Mitarbeiter den Projekten wieder zugute kommen – als Lehrer, Manager oder Projektleiter.

Das hat gleich zwei Vorteile: Zum einen sind Fachkräfte in Haiti nur sehr schwer zu finden, zum anderen haben die Eigengewächse eine innigere Bindung zur Stiftung und fühlen sich den Aufgaben stärker verpflichtet als „angeworbene“ Arbeitskräfte.

Lucien Duncan plant damit aber auch bereits die Zukunft, denn die Stiftung ist mittlerweile auf so vielen Feldern aktiv, dass sie langfristig nicht mehr als Familienunternehmen geführt werden kann.