Oberstaufen

Experten im RZ-INTERVIEW: Viel Aldi-Mentalität und wenig Demut in den Bergen

Sommer, Sonne, Bewegung in frischer Luft – in einer Gesellschaft, in der die Menschen immer mehr Zeit und Muße finden, sich ihrer Fitness und Gesunderhaltung zu widmen, erfreut sich das Bergsteigen steigender Beliebtheit. Es locken die Berge und damit die Herausforderungen, eigene Grenzen auszuloten. Doch wo so viel Reiz ist, lauern auch große Gefahren.

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Große Verantwortung kommt den Bergführern in der Alpenregion zu. Wie empfinden die erfahrenen Alpinisten die Entwicklung beim Bergsteigen? Welche Erfahrungen machen sie mit Berg begeisterten Gästen? Wo liegen die Gefahren? Wir sprachen mit Walter Hölzler, staatlich geprüfter Berg- und Skiführer, Extremkletterer und größter Fan der Naturschönheiten seiner Heimat, der Allgäuer Alpen.

Mal Hand aufs Herz des begeisterten Alpinisten: Wann haben Sie sich als Bergführer das

letzte Mal fürchterlich über eine mangelhafte bis ungenügende Ausrüstung bei einem Mitglied ihrer Tourengruppe aufgeregt?

Ich versuche stets, die Leute bereits vorab darüber zu informieren, was sie mitnehmen sollen. Das darf eigentlich gar nicht vorkommen. Die Gäste meiner geführten Bergtouren bekommen von mir immer eine Material- und Bekleidungsliste. Sonst gehe ich erst gar nicht los. Das Problem dabei liegt auf der Hand. Nehme ich Leute mit ungenügender Ausrüstung mit, bringe ich auch mich in Gefahr. Schlägt beispielsweise das Wetter um und ein Tourengänger kann wegen seiner schlechten Schuhe nicht mehr folgen, dann kann ich denjenigen nicht einfach da oben sitzen lassen. Ich trage schließlich die Verantwortung für jedes einzelne Mitglied meiner Gruppe.

Trotzdem passieren immer wieder Unfälle in den Bergen ...

... Ja, das lese ich nahezu jeden Montag in der Zeitung, dass es bei uns in den Allgäuer Alpen gerade an den Wochenenden immer wieder Bergunglücke gibt, weil Ausrüstung oder Bekleidung unzureichend ist. Natürlich bergen die Touren immer auch ein Restrisiko, die Natur ist mitunter unberechenbar. Aber es gibt eben auch beim Bergsteigen ein paar Prinzipien, die eingehalten werden müssen. Und da gehört die entsprechende Ausrüstung oder Kleidung dazu.

Wie sehen, wie erleben Sie die Entwicklung des Bergsteigens in unserer Spaß- und Erlebnisgesellschaft. Geht den Hobbykletterern der Kick über alles?

Das sehe ich absolut so – und die Entwicklung wird immer bedenklicher. Viele wollen sich das Abenteuer schlichtweg erkaufen. Und dazu sind die Berge eigentlich nicht geeignet. Die Berge sind so etwas Schönes, so etwas Einzigartiges und Erlebnisreiches, dass es nicht allein darum gehen kann, ob ich jetzt eine schwierige oder lange Tour meistere. Es sollte in erster Linie um das Empfinden, das Spüren von Natur gehen. Und da erlebe ich häufig, dass die Leute damit gar nichts anfangen können. Ja, ich muss sie regelrecht darauf hinweisen, wie schön die Natur ist. Die nehmen das oft gar nicht wahr. Es geht vielen nur darum, möglichst schnell hoch und schnell wieder herunter zu kommen. Die Berge werden als Sportgerät missbraucht.

Eine Entwicklung, die Sie mit Sorge erfüllt?

Ja, zumal das Ganze ja auch einen wirtschaftlichen Hintergrund hat. Es kommen immer mehr Menschen, und mit den Menschen kommt das Geld. Also werden auch immer mehr Klettersteige erstellt, es werden schwierigere Wege gebaut. Es gibt mittlerweile extreme Sportklettersteige, was wiederum den Leistungsgedanken fördert. Früher wurden Klettersteige gebaut, um eine schwierige Passage zu sichern, heute wird das Klettervorhaben durch diese Steige bis in die Extreme vorangetrieben. Das hat schlimme Folgen für die Natur – und eben auch den Menschen. Die Unfälle häufen sich, nicht zuletzt weil sich die Leute überschätzen. Die Wege und Steige sind bis ins Detail beschrieben, das Erlebnis Bergsteigen wird den Gästen richtiggehend schmackhaft gemacht. Die Folgen werden dabei oft nicht bedacht. Eine weitere schlimme Erscheinung am Berg ist das Handy. Viele sagen sich: Wenn ich nicht weiter kann, ruf ich eben den Helikopter.

Was nicht immer so einfach sein dürfte...

...  ganz genau. Denn aufs Handy ist nicht immer Verlass. Es gibt viele Funklöcher in den Bergen. Und dann wird die Sache bei einem Notfall richtig kritisch.

Es ja auch die Aufgabe des Bergführers ...

... wenn ich da mal einhaken darf. Der Begriff des Bergführers ist nicht geschützt. Und da wird im Interesse des Tourismus oftmals Schindluder getrieben. Nicht hinter jedem Bergführer verbirgt sich auch ein staatlich geprüfter Fachmann. Diese Bergsteigerprüfung dauert drei Jahre und ist nur für erfahrene Alpinisten zugänglich. Das sind die Meister in den Bergen sozusagen.

Als Tourengänger sollte ich also sicherstellen, mich nur einem staatlich geprüften Bergführer anzuvertrauen?

Ja. Der Name Bergführer allein reicht nicht. Wer auf Nummer sicher gehen will, sollte sich die staatlich geprüfte und zugleich internationale Lizenz zeigen lassen.

Zurück zu meiner Frage: Es ist ja auch die Aufgabe des Bergführers, den Leistungsgrad des jeweiligen Tourengängers einschätzen zu können, um danach die entsprechende Tour auszuwählen. Wie machen Sie das?

Natürlich sind wir auch da, die Leute von vorn herein zu beraten, ob sie denn auch die richtige Tour ausgewählt haben. Wenn ich da meine Zweifel habe, schlage ich eine Eingehtour vor, damit ich diejenige Person besser kennenlernen kann. Dann kann man sich gemeinsam vorarbeiten.

Bis zu welcher Größe einer Tourengruppe kann der Bergführer seiner Verantwortung noch nachkommen?

Es gibt Veranstalter, die auf anspruchsvollen Höhenwegen im alpinen Gelände sechs oder sieben Leute mitnehmen. Diese sechs oder sieben Leute kann ich als Verantwortlicher aber gar nicht zu 100 Prozent beraten, begleiten und sichern. Aus dem Grund habe ich mich auf Privatführungen spezialisiert. Ich habe ein oder zwei Gäste, auf die ich individuell eingehen kann. Schließlich ist ein Vertrauensverhältnis zwischen Führer und Tourengängern enorm wichtig. Die Leute können in den Bergen in Extremsituationen geraten, die ihnen völlig unbekannt sind. Die Frau fängt an zu weinen, der Mann merkt, dass er sich völlig überschätzt hat. Bei ein oder zwei Personen hast du noch die Möglichkeit, vertrauensvoll auf denjenigen einzuwirken. Bei einer Gruppe mit sechs Personen wird das relativ schwierig.

Aber es ist verlockend für den Bergführer?

Klar, je mehr Leute, desto mehr Geld verdiene ich. Auch dieses Geschäft wird eben immer kommerzieller. Ich selbst mache noch lange nicht jede Tour. Wenn ich den Eindruck habe, dass die Leute mehr wollen, als sie eigentlich zu leisten im Stande sind und meine Bedenken ignorieren, dann sage ich auch schon mal ab.

Ist das dann der Moment, wo es gefährlich wird? Weil viele sich selbst überschätzen und beschließen, die Tour dann eben allein zu machen?

Das gibt es sehr oft. Nach meiner Erfahrung können sich die Frauen ganz gut einschätzen, sind eher zurückhaltend, was das eigene Vermögen am Berg angeht. Bei den Männern aber – ich will nicht übertreiben – sind es locker 70 Prozent der Berggäste, die sich überschätzen. Oft haben sie einen Abenteuerbericht im Internet gelesen oder einen Bergfilm gesehen, gehen dann ein paar Mal in die Kletterhalle und wollen anschließend bei uns in den Alpen schwierige Touren meistern. Dabei kennen sie die Wetterbedingungen nicht, können die Länge der Tour nicht einschätzen, sie wissen nicht, wie schwer so ein Rucksack sein kann. Hinzu kommt der Stolz, sich rechtzeitig einzugestehen, dass es vernünftiger wäre, umzukehren. Was werden die im Büro sagen?

Was sind die Dinge, die Ihnen eine schöne, harmonische Bergtour verleiden können?

Wenn sich die Leute einem unheimlichen Leistungsdruck machen, weil sie in einer gewissen Zeit schon wieder daheim sein müssen oder andauernd das Handy klingelt. Was mir eine Tour noch verleiden kann sind Menschen, die versuchen, wie bei einem Geschäft den Preis zu drücken. Da herrscht eine gewisse Aldi-Mentalität vor. Möglichst viel bekommen für möglichst wenig Geld. Das ärgert mich. Ich bereite mich akribisch vor, will höchste Qualität bieten, will höchste Sicherheit gewährleisten. Ich will dem- oder denjenigen ein tolles Erlebnis bieten. Und wenn das dann immer in Geld aufgewogen wird, denke ich: die haben es nicht verstanden. Viele gehen nur unter der Prämisse auf den Berg: Es muss erfolgreich sein, es muss billig sein. Punkt. Aber das ist für mich nicht die Philosophie des Bergsteigens.

Was machen Sie, um das Restrisiko am Berg zu minimieren?

Wir sind als Bergführer auch psychologisch ausgebildet, besuchen praktische Seminare, in denen das Verhalten in Extremsituationen behandelt wird. Und natürlich spielt Erfahrung am Berg eine sehr große Rolle. Es existiert tatsächlich so etwas wie ein Bauchgefühl. Das ist schwer zu beschreiben. Aber bei vielen Bergführern verhält es sich ähnlich wie bei manchen Tieren, dass man ein Gefühl dafür bekommt, wann und wo die Gefahr lauert. Schließlich sind wir in den Bergen aufgewachsen und haben schon als Kinder gelernt auf die Natur zu hören und sie zu respektieren. Und genau das möchten wir unseren Gästen weitergeben.

Vor welchen Gefahren fürchten Sie sich am Berg?

Unklare Wettersituationen, die sich wegen des Klimawandels häufen. Die schwierigste Zeit fürs Bergsteigen ist für mich die Zeit zwischen Juli und August. Und das ist genau die Zeit, wo alle gehen. Wenn aber viele Leute unterwegs sind, gibt es auch viele Unfälle. Weil Steinschlag herrscht, weil viele Leute unsicher treten und damit sich und andere in Gefahr bringen. Besonders groß ist in diesem Zeitraum aber auch die Gefahr von Gewittern. Die kommen oft unvorhergesehen, tauchen punktuell und heftig auf. Doch gerade auf solche und ähnliche Extremsituationen sind wir Bergführer vorbereitet, versuchen meist schon im Voraus, Gefahren zu erkennen und abzuwenden. Gleichwohl wäre es vermessen zu glauben, dass die Natur zu 100 Prozent berechenbar ist.

Das Gespräch führte unser Redakteur Klaus Reimann