Mainz

Experte: Lücken im Gedächtnis müssen nicht immer Alzheimer sein

Die Diagnose Alzheimer verändert das Leben schlagartig – für Patienten und Angehörige. Der Neurologe Dr. Andreas Fellgiebel leitet die Gedächtnisambulanz an der Mainzer Universitätsklinik. Dort erhalten Erkrankte eine zuverlässige Diagnose und Hilfe im Umgang mit ihr.

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Wie kann ich Alzheimer von normaler Vergesslichkeit unterscheiden?

Die ersten Anzeichen von Alzheimer sind von der nachlassenden Gedächtnisleistung im Alter nicht zu unterscheiden. Es fängt mit Vergesslichkeit an, die Merkfähigkeit ist reduziert, und die Sprache ist betroffen: Namen oder Wörter fallen einem nicht mehr ein. Alzheimerpatienten sagen klassischerweise Sätze wie „Mein Gedächtnis war immer gut, plötzlich muss ich mir alles aufschreiben“ oder: „Von früher weiß ich alles, aber was gestern gewesen ist, kann ich mir nicht merken.“

Was kann ich tun, wenn ich erste Anzeichen von Gedächtnisschwund bemerke?

Dann sollte ich mich untersuchen lassen, zunächst vom Hausarzt. Hat der keine sichere Erklärung, sollte er zu einem Facharzt für Neurologie und Psy-chiatrie oder in die Gedächtnisambulanz überweisen. Wichtig zu wissen ist, dass auch Stoffwechselkrankheiten zu Vergesslichkeit führen können. Die sind meist gut behandelbar, wie etwa eine Funktionsstörung der Schilddrüse. Zudem ist die ebenfalls heilbare Altersdepression eine häufige Ursache für geistige Leistungsschwäche. Es muss also nicht immer Alzheimer sein.

Wie lange dauert es, Alzheimer zu diagnostizieren?

In einer Gedächtnisambulanz sitzen Fachärzte, die darauf spezialisiert sind. Sie prüfen das Gedächtnis und die Reaktionsfähigkeit, nehmen Blutproben und veranlassen gegebenenfalls eine Aufnahme vom Gehirn. Die unterschiedlichen Tests dauern etwa zwei Stunden. Dann können wir sagen, ob die geistige Leistungsfähigkeit gemäß Alter und Bildung des Patienten normal ist oder nicht.

Was kommt nach der Diagnose Alzheimer auf mich zu?

Tatsache ist, dass sich das Leben verändert und ich akzeptieren muss, mehr Verantwortung abzugeben. Bekomme ich die Diagnose in einem Stadium, wo ich die Krankheit noch verstehe, muss ich mich darauf einstellen, dass das nicht so bleibt. Ganz wichtig ist, mit Angehörigen, Freunden und Bekannten offen über die Erkrankung zu sprechen. Alles andere führt zu Rückzug und Isolation. Und wenn man sich versteckt, wächst die Angst. Zudem sollte ich mit einer Vorsorgevollmacht bestimmen, wer für mich in meinem Sinne entscheidet, wenn ich das nicht mehr selbst kann.

Was erwartet Angehörige?

Sie müssen sich darauf gefasst machen, die Verantwortung für den anderen oder die Beziehung mehr und mehr zu übernehmen. Sie müssen sehr flexibel sein, sich ständig auf neue Situationen einstellen und wichtige Entscheidungen für den anderen treffen. Die Pflege eines Alzheimerpatienten fordert viel Kraft und Geduld. Es ist ganz wichtig, sich rechtzeitig Hilfe von außen zu holen – Pflegestützpunkte beraten und helfen. Meist wollen Pflegende alles selbst machen. Das ist nicht immer zum Besten des Patienten.

Führt Alzheimer schließlich immer zum Tod?

Mit den geistigen Funktionen lassen irgendwann auch die körperlichen nach. Dann klappt etwa das Essen nicht mehr richtig. Die Patienten magern ab, werden apathisch und bettlägerig. Sie sterben nicht an der Demenz, sondern an den Begleiterscheinungen wie Unterernährung, Flüssigkeitsmangel, Lungen- oder Blasenentzündung.

Lässt sich die Krankheit durch Therapien aufhalten?

Medikamente können sie, sofern sie anschlagen, um ein bis eineinhalb Jahre hinauszögern. Sie verbessern nicht das Gedächtnis, aber die Konzentrationsfähigkeit und die Aktivität. Das heißt: Der Zustand wird nicht wesentlich besser, sondern nur langsam schlechter. Auch der weitere Verlauf kann verlangsamt werden. Leider schlagen die Mittel bei 30 Prozent der Alzheimerpatienten gar nicht an.

Gibt es spezielle Pflegeheime für Alzheimerkranke?

Es gibt Wohngemeinschaften, sogenannte Demenz-WGs, die sich auf Demenzpatienten eingestellt haben. Und auch Pflegeheime, die besondere Angebote für Alzheimerpatienten haben. Sie können auf die verschiedenen Stadien der Krankheit besser eingehen und aktivieren die Bewohner entsprechend ihrer vorhandenen Fähigkeiten.

Das Gespräch führte Nicole Mieding