Brüssel

Euro-Union probt den Alleingang

Angela Merkel treibt die politische Integration der 17 Euro-Länder voran - sie soll der Rettungsring für die kriselnde Währung sein. Die Zukunft Großbritanniens in der Gemeinschaft steht in Frage.
Angela Merkel treibt die politische Integration der 17 Euro-Länder voran - sie soll der Rettungsring für die kriselnde Währung sein. Die Zukunft Großbritanniens in der Gemeinschaft steht in Frage. Foto: dpa

Als „Bulldogge“ kam David Cameron zum Euro-Rettungsgipfel nach Brüssel, als isolierter Buhmann fuhr Londons Premier wieder heim. Die 17 Euro-Staaten vertiefen im Alleingang ihre Integration. Alle übrigen EU-Staaten könnten sich dem neuen zwischenstaatlichen Vertrag für mehr Haushaltsdisziplin anschließen. Unsere Korrespondentin Anja Ingenrieth beantwortet die wichtigsten Fragen:

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Brüssel – Als „Bulldogge“ kam David Cameron zum Euro-Rettungsgipfel nach Brüssel, als isolierter Buhmann fuhr Londons Premier wieder heim. Die 17 Euro-Staaten vertiefen im Alleingang ihre Integration. Alle übrigen EU-Staaten könnten sich dem neuen zwischenstaatlichen Vertrag für mehr Haushaltsdisziplin anschließen. Unsere Korrespondentin Anja Ingenrieth beantwortet die wichtigsten Fragen:

Hat die Bundeskanzlerin gesiegt?

Jein. Den Einstieg in die Stabilitätsunion hat Angela Merkel erreicht. Allerdings wollte sie dies über eine reguläre Vertragsänderung mit allen 27 Staaten verbindlich festschreiben. Dieser Plan ist an Londons Blockade gescheitert.

Was bedeutet dies?

Statt einer rechtlich sauberen Änderung des Lissabon-Vertrags wird nun ein separater Vertrag zwischen den Regierungen der Euro-Staaten geschlossen, die sich damit schärfere Haushaltsregeln geben. Mindestens sechs weitere EU-Mitglieder wollen sich der „Spar-Union“ anschließen. Ungarn, Schweden und Tschechien machen die Teilnahme von der Befragung ihrer Parlamente abhängig. Ein „Vertrag im Vertrag“ ist nach Ansicht Brüssels rechtlich heikel. Der deutsche EU-Kommissar Günther Oettinger sieht allerdings auch Vorteile.

Was sind die Vorzüge?

Die zwischenstaatliche Vereinbarung geht schneller vonstatten als das komplizierte reguläre EU-Vertragsänderungsverfahren. Ein Verfassungskonvent ist ebenso wenig notwendig wie die Einschaltung des Europäischen Parlaments. Auch Volksbefragungen lassen sich womöglich umgehen. Der Merkel-Plan: Der Vertrag wird von den Experten bis März ausgehandelt und dann mit dem Vertrag für den dauerhaften Rettungsschirm ESM verschmolzen. Die Ratifizierung erfolgt in einem Rutsch und ist bis Ende 2012 erledigt. Klar ist: Der Bundestag muss den Vertrag billigen.

Ist Europa jetzt gespalten?

Der Gipfel von Brüssel ist eine historische Zäsur: Im Prinzip entsteht der Nukleus der schon in den 90er-Jahren geplanten Politischen Union, die nach den Vorstellungen von Helmut Kohl vor der Währungsunion hätte kommen sollen. Ein harter Kern um die Euro-Staaten wagt als Antwort auf die Schuldenkrise einen Integrationssprung in Richtung Bundesstaat. Großbritannien hingegen will keinen Jota mehr Souveränität an Brüssel abtreten. Dies ist aber weniger eine Spaltung als ein Zusammenwachsen ohne die Briten. „Das kann sich als Schritt zur politischen Marginalisierung Londons erweisen“, meint etwa EU-Experte Piotr Maciej Kaczynski von der Denkfabrik CEPS.

Tritt London jetzt möglicherweise ganz aus der EU aus?

Grünen-Europapolitiker Daniel Cohn-Bendit rief David Cameron dazu auf, die Briten jetzt per Volksentscheid über einen Verbleib in der EU abstimmen zu lassen. Der Chef der CSU-Gruppe im Europaparlament, Markus Ferber, wetterte: „Großbritannien muss sich entscheiden, ob es weiterhin als 27. Mitgliedstaat der Europäischen Union seine Zukunft selbst gestalten oder lieber als 51. Bundesstaat der USA Befehle aus Washington empfangen will.“ Cameron weiß sehr wohl, dass Großbritannien die EU und den Binnenmarkt wirtschaftlich braucht. Er hat sich verpokert: Der Brite wollte sich das Ja zu einer Vertragsänderung mit Sonderrechten für den Finanzsektor abkaufen lassen – und scheiterte an der Härte des deutsch-französischen „Merkozy“-Duos.

Was ist neu für die Euro-Staaten?

Angela Merkel verordnet der Euro-Zone deutsche Stabilitätskultur zur Gesundung. Die Euro-Länder sollen ihre Politik von Steuersenkungen bis zu Arbeitsmarktreformen enger abstimmen. Alle Euro-Staaten führen eine Schuldenbremse ein, die das strukturelle Defizit auf 0,5 Prozent der Wirtschaftskraft begrenzt. Über die Umsetzung wacht der Europäische Gerichtshof. Schuldensünder sollen automatisch bestraft werden.

Werden jetzt auch die Schulden vergemeinschaftet?

Zunächst nicht. Gemeinsame Staatsanleihen der Euro-Länder hat die Kanzlerin beim Gipfel erfolgreich verhindert. Aber es ist absehbar, dass Deutschland als größtem Euro-Profiteur nach dem Erreichen der Fiskalunion eine neue Debatte über die Haftung auch für andere EU-Staaten bevorsteht.

Wird es teurer für uns?

Das ist möglich. An den deutschen Garantien von 211 Milliarden Euro für den Rettungsfonds EFSF ändert sich zwar nichts. Aber der Gipfel beschloss eine Öffnungsklausel für den permanenten Nachfolgefonds ESM. Im März 2012 soll geprüft werden, ob das geplante Kreditvolumen von 500 Milliarden Euro ausreicht. Die Bundesregierung muss für den ESM nach bisherigen Plänen knapp 22 Milliarden Euro an Barkapital und 168 Milliarden Euro an Bürgschaften bereitstellen.