Erster Professor für Allgemeinmedizin in Mainz: Mit fünf Sinnen zum Landarzt

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An vielen großen deutschen Unis gibt es bereits eine Professur für Allgemeinmedizin. In Rheinland-Pfalz klaffte hier bislang eine Lücke, die der Mainzer Landtag im März 2014 füllte. Die Landesregierung setzte daraufhin auch mit Blick auf den drohenden Ärztemangel eine Professur für Allgemeinmedizin an der Unimedizin Mainz ein. Am Dienstag fand die feierliche Inauguration von Prof. Dr. Michael Jansky statt.

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Für den 58-Jährigen, seit 1991 Hausarzt in Böhl-Iggelheim (Rhein-Pfalz-Kreis), und den Wissenschaftlichen Vorstand der Unimedizin, Prof. Ulrich Förstermann, ist die Einrichtung der Professur der Höhepunkt einer langjährigen Arbeit mit jungen Medizinern. Im Interview mit unserer Zeitung gibt sich Jansky optimistisch, „dass wir die Versorgung in Eifel, Hunsrück und Westerwald auch künftig sicherstellen können. Das ist eines meiner Ziele als Professor für Allgemeinmedizin.“

Warum gibt es jetzt auch in Mainz eine Professur für Allgemeinmedizin?

Förstermann: Eine Professur für Allgemeinmedizin ist ein Weg, um das Fach auf ein Niveau mit anderen Fächern wie Innere Medizin oder Chirurgie zu heben. Wir hoffen, dass sich dadurch das Ansehen der Allgemeinmedizin verbessert und dass wir so wieder mehr junge Kollegen für den Beruf des Haus- und besonders Landarztes begeistern können.

Wie viele Bewerber gab es?

Förstermann: Der Markt ist ganz eng. Es gab vier Kandidaten, drei Männer und eine Frau. Sie hat leider abgesagt, nachdem wir eingeladen hatten. Bei unserer Einstellungspolitik versuchen wir, aktiv Frauen zu gewinnen. Das ist in der Gynäkologie gerade gelungen. Doch das ist kein einfaches Geschäft, weil Kandidatinnen in vielen Fächern rar gesät sind.

An welchen Stellen des Medizinstudiums kommt denn die Allgemeinmedizin zum Einsatz?

Jansky: Das erste Mal ist während der Berufsfelderkundung im ersten Semester. Im Lauf des vorklinischen Studiums im dritten und vierten Semester gibt es ein Wahlpflichtfach Allgemeinmedizin, für das es mittlerweile schon Wartelisten gibt. Wir können gar nicht so viele Plätze anbieten, wie es Kandidaten gibt. Dann gibt es im vierten Semester das Fach „Einführung in die klinische Medizin“, das die Allgemeinmedizin ebenfalls steuert und leitet. Danach sehen wir die Studierenden im siebten Semester wieder, wo wir die Aufgabe haben, das Querschnittsfach „Rehabilitation, manuelle Medizin und Naturheilverfahren“ zu unterrichten. Im achten Semester gibt es die Hauptvorlesung und das Seminar Allgemeinmedizin. Darauf folgt das zweiwöchige Blockpraktikum. Dann bieten wir auch noch das Praktische Jahr (PJ) an mit einem Unterrichtscamp für alle PJ-Teilnehmer im Fach Allgemeinmedizin aus Rheinland-Pfalz.

Gibt es bereits Erfahrungen mit dieser Professur an anderen Unistandorten?

Jansky: Viele Erfahrungsberichte gibt es nicht. Ob dort mehr Allgemeinmediziner rekrutiert werden konnten, ist mir nicht bekannt. Wir waren aber auch bisher sehr gut aufgestellt und setzen mit der Professur nur noch eine Stufe oben drauf. Den Bereich Allgemeinmedizin gibt es in Mainz seit 40 Jahren. Ich bin nunmehr seit 18 Jahren dabei. Damals hatten wir einen einzelnen zweistündigen Kurs. Jetzt decken wir ein umfassendes Unterrichtsprogramm ab. Durch die eingerichtete Professur ergeben sich deutlich bessere Möglichkeiten, Forschungsprojekte umzusetzen. Dazu gehört auch die Versorgungsforschung. Wir wissen ja oft gar nicht, wie gut die Patienten auf dem Land versorgt sind. Das ist ein bundesweites Defizit, dem wir zusammen mit anderen Wissenschaftlern wie Informatikern und zum Beispiel mit der Kassenärztlichen Vereinigung entgegenwirken können.

Die Allgemeinmedizin ist eine sehr stark sprechende Medizin, die mit Patienten und nicht nur mit der Technik arbeitet. Welche Rolle spielt das im Studium?

Jansky: Eine große. Die Studierenden sollen lernen, mit den Patienten zu sprechen, um eine Anamnese zu erheben. Dazu gehört die Fünf-Sinne-Diagnostik. Sie lernen, auf alles zu achten. Sie sollen nicht nur technische Geräte einsetzen. Sie sollen reden, sehen, Patienten untersuchen, sie sollen alles tun, was sie mit den Händen am Patienten leisten können.

Wie lerne ich das in Mainz?

Jansky: Wir haben ein Netzwerk von 180 Hausarztpraxen gebildet, die diese praktische Ausbildung im Rahmen des 14-tägigen Blockpraktikums Allgemeinmedizin für die Studierenden vertiefen. Dieses sogenannte Mainzer Modell wissen die Studierenden seit Langem zu schätzen. In den Lehrpraxen können die Studierenden während des Blockpraktikums am Patienten arbeiten. Das geschieht auch schon während des Studiums: Alle Lehrbeauftragten bringen Praxispatienten zu Unterrichtszwecken in die Universitätsmedizin mit. So lernen die Studenten nicht nur an Übungspuppen. Das beginnt mit der Auskultation des Herzens, der Lunge und der Untersuchung der Gefäße schon im vorklinischen Abschnitt. Der Unterricht findet dort in einer Art Zirkeltraining am Patienten in Kleingruppen statt.

Wie groß ist ihr Team?

Jansky: Es besteht aus mir und 25 Lehrbeauftragten. Das sind alles Allgemeinmediziner mit einer eigenen Praxis.

Förstermann: Uns war es sehr wichtig, dass die Allgemeinmedizin von einem in einer eigenen Praxis tätigen Hausarzt vertreten wird. Wir wollten bewusst keinen Mediziner auswählen, der das einmal gemacht hat, dann aber zu einem theoretischen Forscher geworden ist. Gerade wenn man junge Mediziner überzeugen will, in die Allgemeinmedizin zu gehen, ist Bodenhaftung ganz entscheidend.

Welche Erfahrungen machen Sie mit den Studenten?

Jansky: Wir haben in den vergangenen Jahren erreicht, dass das Interesse an der Allgemeinmedizin deutlich steigt. Wir bekommen immer mehr Anfragen, das Praktische Jahr in der Allgemeinmedizin absolvieren zu wollen. Es hat viel Mühe gemacht, die Studierenden für das Fach zu sensibilisieren, aber so langsam trägt das Früchte. Mich überrascht immer wieder, wie schnell die Studierenden in der Lage sind, das nicht immer geliebte vorklinische Wissen in der Anatomie oder Physiologie in der Praxis umzusetzen. Beispiel: Wir machen mit ihnen Ultraschalluntersuchungen am Patienten. Und es ist erstaunlich, wie schnell die Studierenden die anatomischen Strukturen in den Ultraschallbildern wiedererkennen. Allerdings habe ich manchmal das Gefühl, dass sich im Lauf des Studiums gewisse erlernte Dinge wieder abflachen. Daher wiederholen wir die Grundtechniken in unseren Kursen. Das Ziel ist eine gute Vorbereitung auf das Blockpraktikum und das Praktische Jahr, welches nur Sinn ergibt, wenn Studierende dann in der Lage sind, Untersuchungstechniken umzusetzen, um fast selbstständig mit dem Patienten arbeiten zu können. Nur so können sie dann auch den Spaß an der Allgemeinmedizin gewinnen.

Laut einer Umfrage unter Medizinstudenten an der Universität Mainz können sich zwar viele durchaus vorstellen, Hausarzt zu werden, doch nur sehr wenige würden auch gern aufs Land gehen. Wie lässt sich das ändern?

Jansky: Mindestens 50 Prozent unserer Lehrbeauftragten haben wie ich eine Landarztpraxis. Wir haben sie bewusst danach ausgewählt. Und wir versuchen, die Studierenden zu animieren, ihr Blockpraktikum auf dem Land zu absolvieren. Denn dort erleben sie die Allgemeinmedizin schlechthin. Sie sehen alles: von Kindern am dritten Lebenstag bis hin zu Hochbetagten, denen sie zum 103. Geburtstag gratulieren. Und ich glaube: Wen das begeistert, den können wir motivieren, dort weiter zu arbeiten.

Mehr als 70 Prozent der Medizinstudenten sind Frauen. Wie reagieren Sie darauf?

Jansky: Wir haben mehrere weibliche Lehrbeauftragte, die mit weiteren Kolleginnen Hausarztpraxen gemeinsam führen. Sie teilen sich die Arbeit in der Praxis in einer Art Jobsharing. Sie berichten darüber, dass es gerade für Frauen eine interessante Alternative ist, in eine solche Gemeinschaftspraxis zu gehen, weil sie ihre Arbeitszeit in einem gewissen Rahmen frei gestalten können. Gemeinsam mit der Landesärztekammer veranstalten wir einmal pro Jahr einen Abend der Allgemeinmedizin, an dem sich Hausärzte und Hausärztinnen präsentieren. Dort werden unter anderem auch Modelle von Niederlassungsvarianten für Ärztinnen aus erster Hand vorgestellt. Für Niederlassungsfragen ist die Kassenärztliche Vereinigung mit einem Informationsstand bei diesen Abenden vertreten.

Welche Rückmeldungen gibt es seitens der Studenten?

Jansky: Sehr gute. Wir werden immer häufiger gefragt: Wie kann ich Allgemeinmediziner werden? Wir arbeiten daran, dass es leichter wird, diese Richtung einzuschlagen. Ich setze mich Anfang Januar erneut mit der Kassenärztlichen Vereinigung zusammen, um Strategien gegen den drohenden Ärztemangel weiterzuentwickeln. Dazu gehört auch eine Reform der Weiterbildung, die gegebenenfalls mit der Landesärztekammer erarbeitet werden muss. Wir brauchen daher einen vorgezeichneten und begleiteten Weg zum Allgemeinmediziner.

Sind Sie auch optimistisch mit Blick auf den drohenden Ärztemangel?

Jansky: Ja. Aus meiner Sicht geht es aufwärts. Das Problem der Allgemeinmedizin ist aber, dass es acht bis zehn Jahre dauern kann, bis die Ergebnisse von Maßnahmen sichtbar werden. Ich bin aber optimistisch, dass wir die Versorgung in Eifel, Hunsrück und Westerwald auch künftig sicherstellen können. Das ist eines meiner Ziele als Professor für Allgemeinmedizin.

Förstermann: Wir tun als Unimedizin sehr viel für die Motivation junger Mediziner. Doch die Facharztausbildung liegt nicht in unserer Hand, sondern in der von Ärztekammer und Kassenärztlicher Vereinigung. Die sind deshalb jetzt auch gefordert. Da kann es um Stipendien gehen oder andere finanzielle Anreize wie günstige Kredite für Arzthäuser.

Welches Budget haben Sie für die Allgemeinmedizin?

Förstermann: Die Allgemeinmedizin wird jetzt zu einer medizinischen Betriebseinheit, also zum eigenen Institut der Unimedizin. Wir haben ein Mittelverteilungssystem, bei dem ein Grundbetrag von 260.000 Euro an jedes Institut fließt. Und dann gibt es ein Lehr- und Forschungsbudget. Das Lehrbudget für die Allgemeinmedizin ist relativ umfangreich, weil wir viel machen mit vielen Leuten, wobei wir die Arbeit in den Praxen separat honorieren. Die Arbeit der 25 Lehrbeauftragten wird mit einem Budget von 630.000 Euro versorgt.

Das Gespräch führte Christian Kunst