Berlin

Eine Diskussion über Leben und Tod

Eine Diskussion über Leben und Tod
Die Bilder im Labor der Leipziger Universitätsfrauenklinik zeigen Eizellen mit Spermien nach einer künstlichen Befruchtung – das Zentrum für Reproduktion ist einer von 130 Standorten in Deutschland, die Paaren mit Kinderwunsch helfen. Doch dürfen die hier erzeugten Embryonen auf Erbkrankheiten untersucht und notfalls aussortiert werden? Foto: dpa

Soll bei im Reagenzglas erzeugten Embryonen mit modernen diagnostischen Methoden darüber entschieden werden, ob sie ausgetragen werden sollen? Die Frage spaltet die Politik.

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Berlin – Soll bei im Reagenzglas erzeugten Embryonen mit modernen diagnostischen Methoden darüber entschieden werden, ob sie ausgetragen werden sollen? Die Frage spaltet die Politik.

Der Begriff klingt schwierig, die damit verbundenen Ängste sind groß: Die sogenannte Präimplantationsdiagnostik (PID) erlaubt es nach Ansicht von Kritikern, künftig Wunschkinder im Reagenzglas heranzuzüchten. Befürworter argumentieren, schwere Krankheiten ließen sich so rechtzeitig entdecken. Die Debatte im Überblick:

Wozu dient die PID?

Das Verfahren wird genutzt, um im Reagenzglas erzeugte Embryonen außerhalb des Mutterleibs auf Erbkrankheiten zu untersuchen und gezielt auszuwählen, welcher ausgetragen werden soll. Das Ziel ist, Fehl- und Totgeburten, den Tod eines Neugeborenen oder die Geburt eines schwer kranken Kindes zu verhindern.

Warum wird jetzt über die Frage debattiert?

Der Bundesgerichtshof hat im Juli entschieden, dass die PID keinen strafbaren Verstoß gegen das Embryonenschutzgesetz darstellt. Hintergrund: Im Embryonenschutzgesetz von 1991 ist keine Rede von dem Verfahren, weil es damals in Deutschland noch gar nicht verfügbar war. Untersagt wurden lediglich Experimente an Embryonen und die Manipulation des Erbguts. Wird der Gesetzgeber nicht aktiv, könnte die PID nach Ansicht des BGH also angewandt werden – allerdings in einer rechtlichen Grauzone.

Woran stoßen sich Kritiker?

Aussortierte Embryonen sterben ab. Die Kirchen und Politiker vor allem der Union halten dagegen, dass das Grundgesetz die Tötung menschlichen Lebens verbietet. Die Anwendung lasse sich zudem nicht eingrenzen. Die Tür wäre aufgestoßen, um Menschen nach Maß zu bekommen, mit dem gewünschten Geschlecht und der „richtigen“ Augenfarbe.

Was sagen Befürworter?

Sie halten es für unethisch, den Menschen diese Möglichkeit der Medizin zu nehmen. Im Vorfeld schwere Krankheiten zu erkennen, erspare unnötiges Leid. Zudem sei die Untersuchung eines Embryos auf Erbgutschäden während der Schwangerschaft (Pränataldiagnostik) erlaubt – dabei sei ein Abbruch für die Frauen deutlich belastender als die Aussonderung eines Embryos in der Petrischale.

Welche Schwierigkeiten gibt es bei einer Neuregelung?

Die Grenze zwischen schweren Erbkrankheiten und Leiden, die in Kauf genommen werden müssen, ist schwer zu ziehen. Manche fordern einen festen Katalog von Krankheiten – andere halten dies für problematisch, da es auf eine Bewertung von lebenswert bis lebensunwert hinausläuft. Kritiker sehen die Gefahr der schleichenden Ausweitung – so dürfe beispielsweise nicht standardisiert zur PID gegriffen werden, wenn die Mutter ein bestimmtes Alter überschritten hat.

Wie geht es weiter?

Die Koalitionsfraktionen wollen bei einem Spitzentreffen in der kommenden Woche das weitere Vorgehen beraten. Kanzlerin Merkel, die sich gegen PID ausgesprochen hat, signalisiert der FDP, die für eine eng begrenzte Zulassung ist, Entgegenkommen: Die Fraktionsdisziplin könnte bei diesem ethisch schwierigen Thema aufgehoben werden. Dann würden sich wohl Gegner und Befürworter im Bundestag fraktionsübergreifend zu Gruppen zusammenfinden und für ihre Positionen streiten. Die Beratungen solcher Gruppenanträge wurden in der Vergangenheit oft als „Sternstunde des Parlaments“ bezeichnet.

Gibt es noch mehr strittige Fragen?

Der medizinische Fortschritt hat das 20 Jahre alte Embryonenschutzgesetz auch in anderen Punkten reformbedürftig gemacht. So verbietet es etwa Methoden wie die Leihmutterschaft und die Eizellspende, die in anderen Ländern längst gang und gäbe sind.

Simone Andrea Mayer