DFB-Elf spiegelt Gesellschaft

Die Fußball-Nationalmannschaft bei der WM gilt als Musterbeispiel gelungener Integration – stimmt das? Wir haben mit Franz Hamburger gesprochen, Professor für Sozialpädagogik an der Universität Mainz.

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Die Fußball-Nationalmannschaft bei der WM gilt als Musterbeispiel gelungener Integration – stimmt das? Wir haben mit Franz Hamburger gesprochen, Professor für Sozialpädagogik an der Universität Mainz.

Ist die Nationalmannschaft ein Spiegel der Gesellschaft?

Ja, das ist sie tatsächlich. In der Altersgruppe bis 35 Jahre haben in manchen Städten tatsächlich rund 50 Prozent der Menschen einen Migrationshintergrund – das deckt sich mit der Nationalmannschaft.

Sind ihre Erfolge eine Chance für die Integration?

Ja, wenn man dies bewusst als Chance zur Kenntnis nimmt: Unsere Gesellschaft hat sich verändert, und das ist gut so. Das kann positive Effekte für die Integration haben, wenn die Gesellschaft daraus lernt.

Besteht nicht die Gefahr, dass alles wieder verpufft, wenn die schwarz-rot-goldene Partystimmung wieder vorbei ist?

Natürlich muss man das ambivalent einschätzen. Im Moment ist das alles jung, fröhlich, entspannt. Beim Fußball ist sowieso alles entspannter geworden – es sind viele Frauen in den Stadien, bei Mainz 05 ganze Familien. Aber natürlich gibt es beim Fußball auch Nationalismus und Aggression. Solange die Identifikation aber nicht gegen andere gerichtet ist, sondern nur als positives Gefühl für einen selbst, ist es gut. Ich bin nicht kritisch pessimistisch.

Was kann die Gesellschaft aus den Erfolgen der Nationalelf lernen?

Dass Migranten nicht nur hilfsbedürftig sind. Die Mehrheit ist leistungsfähig, will lernen, will ihren Beitrag leisten – so, wie es die Nationalspieler tun. Probleme gibt es, wenn sie auf nationale Sperren stoßen, wenn sie diskriminiert werden. Auch im Fußball – mir ist absolut klar, dass der Fußball kein multikulturelles Sandkastenspiel ist. Ich habe selbst in der C-Klasse gespielt, ich kenne alle Rassismen, die dort teilweise ausgelebt werden.

Wie passt das zusammen: einerseits Diskriminierung auf dem Platz, andererseits Stolz auf die Leistungen von Spielern mit ausländischen Wurzeln, die für Deutschland Erfolge erringen?

Es gibt beides – wie in einer Schulklasse. Wir kennen dort auch das Phänomen, dass die Schüler gut miteinander klar kommen, dass die Hautfarbe keine Rolle spielt. Andererseits kommt es bei Konkurrenzsituationen zu Diskriminierungen von denen, die angeblich nicht dazugehören. Das lässt sich nicht auflösen, es gilt, die erste Strömung dominanter werden zu lassen.

In der Nationalelf bringen Spieler mit ausländischen Wurzeln ihre ganz speziellen Talente ein. Was kann die Wirtschaft daraus lernen?

In der Ausländerforschung haben wir sehr viel darüber geschrieben. Es ist ganz klar: In der vernetzten Wirtschaft ist es sehr produktiv, zum Beispiel zwei Sprachen zu können, zwei Kulturen zu kennen. Es kommt immer darauf an, welche Denkweisen man daraus ableitet.

Das Gespräch führte Tim Kosmetschke