Das polierte Gesicht der Politik: Verjüngung durch Bildbearbeitung

Als FDP-Spitzenkandidat Rainer Brüderle im Bundestagswahlkampf 2013 sein Wahlplakat vorstellt, staunen die Journalisten nicht schlecht. Der Herr neben dem Spruch auf dem Bild sieht viel jünger und weicher aus als der echte Brüderle.

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Von unserer Berlin Korrespondentin Rena Lehmann

„Wer ist der gut aussehende Mann auf dem Plakat?“, wird er spöttisch gefragt. Mit dem erkennbar zu stark bearbeiteten Hochglanzbild startet für die FDP ein insgesamt verkorkster Wahlkampf. Doch Brüderle ist nicht der Einzige, der sein Abbild und damit auch sein Image nachbearbeiten lässt. Die Hochglanz-Republik duldet offenbar keine Falten, Fettpölsterchen und Augenringe.

Ein Blick auf die Internetseiten von Politik und Ministerien zeigt, dass parteiübergreifend weichgezeichnet, aufgehellt und konturiert wird. Die Möglichkeiten moderner Bildbearbeitungsprogramme werden nicht selten ausgeschöpft. Meist fällt es kaum auf, weil man das Original ja – der Fall Brüderle war da die Ausnahme – selten zum direkten Abgleich daneben sieht. Wenn es aber auffällt, hat der Politiker ein Problem.

Der geschönte Auftritt kommt nicht immer gut an

Jüngstes Beispiel ist die frühere rheinland-pfälzische Bildungsministerin Doris Ahnen. Während der großen Kabinettsumbildung im Land, im Zuge derer sie zur Finanzministerin aufstieg, fiel der frappierende Unterschied zwischen ihrem Bild auf der Ministeriumsseite und der echten Doris Ahnen auf. Auch auf der SPD-Fraktionsseite lächelt eine völlig andere Ahnen. Im sozialen Netzwerk Facebook machte die Runde: Ahnens Bild im Netz sieht um Jahre jünger aus als die Ministerin in natura. Es ist ein anderer Mensch, der dem Betrachter da entgegensieht, ein weichgezeichneter Klon ihrer selbst. Der Widerspruch wird ihr jetzt politisch ausgelegt. Für Kritiker im Netz steht er „für die große Lücke, die bei der SPD RLP zwischen Fiktion und Wirklichkeit klafft“. Der geschönte Auftritt kann auch schaden.


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Warum wählen Politiker ihn trotzdem? „Weil es erwartet wird. In der Politik herrscht heute Inszenierungszwang“, stellt der Politikberater Klaus Kocks nüchtern fest. Er selbst würde einen Politiker, der sein Bild nicht aufpoliert, für unprofessionell halten. „Fotos müssen so gestaltet werden, dass sie die Rolle, die jemand ausfüllt, wiedergeben, nicht die Person“, sagt Kocks. Aus seiner Sicht ist es ein „naiver alter Anspruch, dass das Foto von Frau Merkel tatsächlich Frau Merkel zeigt“. „Das Foto zeigt ,Mutti'. Und ,Mutti' ist ein politisches Konzept, eine Rolle.“

Das klingt befremdlich, doch der Politikberater mit 20-jähriger Erfahrung weiß, wovon er spricht. Kocks hat schon SPD, FDP und Grüne beraten. Er lebt heute im Westerwald, arbeitet aber nach wie vor viel in Berlin. Zu seinen Kunden zählt aktuell der Vizekanzler und SPD-Parteivorsitzende Sigmar Gabriel. Auch Gabriels Foto auf der Internetseite der SPD weicht von der Realität ab, wenn auch nicht ganz so gravierend wie bei Ahnen. Er wirkt auf dem Foto aber schlanker, jünger, akzentuierter in seinen Gesichtszügen. Es ist Teil der Inszenierung eines seriösen Staatsmanns, der er werden muss, wenn er eines Tages selbst ins Kanzleramt einziehen will. Den zuweilen wendehalsigen, impulsiven Gabriel der Opposition muss er dafür hinter sich lassen.

Wird der Wähler gefragt, dann wünscht er sich den authentischen Politiker. Er möchte glauben, dass die Regierenden sich so präsentieren, wie sie wirklich sind. „Aber in der Politik zeigen sich Menschen niemals so. Wir erleben Menschen dann als authentisch, wenn sie unserer Erwartung an ihre Rolle entsprechen“, sagt Kocks. Wenn jemand doch einmal ganz ungeschminkt er selbst ist, geht es gründlich schief. SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück scheiterte im vergangenen Jahr krachend mit seinem „Klartext“-Wahlkampf. Symptomatisch dafür war ein Foto, auf dem er der Welt den ausgestreckten Mittelfinger entgegenreckt. Er fiel damit als Anwärter auf das Kanzleramt aus der Rolle.

Die Inszenierung funktioniert aber auch nur, wenn ein Politiker sie professionell und durchgängig betreibt. „Wir erleben dann etwa Frau Merkel oder Herrn Gabriel als authentisch, ohne sie zu kennen.“ Die großen charismatischen und erfolgreichen Politiker sind laut Kocks diejenigen, die es schaffen, ihre Person mit Amt und Rolle deckungsgleich zu machen. Mithilfe seiner Inszenierung hätte etwa US-Präsident John F. Kennedy, „eigentlich ein drogen- und sexsüchtiger Mann mit Mafia-Kontakten“, wie Kocks ihn nennt, es geschafft, „als Heiland wahrgenommen werden“.

Auch in Deutschland sieht er solche Talente, Gerhard Schröder etwa und heute Angela Merkel. „Ich halte Frau Merkel in der Frage der Inszenierung für ein Genie“, sagt Kocks. Die CDU-Chefin habe ein elementares Verständnis dafür entwickelt, „was wir Preußen für preußisch halten“. Ihr Konzept laute deshalb: „Dem Amt dienend verzehre ich mich.“ Kocks sagt: „Sie ist der alte Fritz als Frau.“ Auch Merkels Fotos sind erkennbar bearbeitet. Die CDU zeigt sie auf ihrer Internetseite völlig frei von den sonst sehr markanten Mundfalten. „Das Foto muss aber nicht unbedingt schöner oder jünger sein. Es muss vor allem rollenkonform sein“, meint Kocks. Die CDU-Chefin setzt auch auf das Moment der Wiedererkennung. Ihre immer ähnlichen Blazer mit den großen Knöpfen sind zu ihrer Arbeitsuniform geworden. Der immergleiche Auftritt vermittelt Verlässlichkeit.

Der Wähler will sich von Bildern täuschen lassen

Reagieren wir auf manche Inszenierung empfindlicher als auf andere? „Wir wollen sie jedenfalls nicht bemerken müssen, sonst reagieren wir eingeschnappt“, führt Kocks aus. Der Wähler hat dann den Eindruck, vorgeführt und nicht ernst genommen zu werden, wie das Beispiel von Doris Ahnen zeigt. Der Grat ist dabei oft ein schmaler. Spitzenpolitiker lassen sich deshalb beraten.

Die Profis wissen, wie schnell heute ein unvorteilhaftes Foto ihres Kunden geschossen und via Facebook, Twitter und Co. binnen Minuten einen Ruf zerstören kann. Deshalb bringen sie Spitzenpolitikern bei, sorgsam darauf zu achten, welche Bilder überhaupt entstehen. Natürlich weiß Bundeskanzlerin Angela Merkel um die positive Wirkung eines Handy-Selfies, das Fußballer Lukas Podolski mit ihr macht und anschließend um die ganze Welt postet. Sie lässt ihn gewähren. Doch als Fraktionschef Volker Kauder (CDU) am Abend der Bundestagswahl mit einem Deutschlandfähnchen vor ihrer Nase wedelt, nimmt sie es ihm wie einem unartigen Kind schnell weg. Solche Bilder könnten am Ende negativ ausgelegt werden, sie sollen deshalb gar nicht erst entstehen. Merkel ist da Vollprofi.

Der Blick hinter die Kulissen der Politikberatung ist ernüchternd. „Wir reagieren auf Politiker wie auf ein fiktionales Buch. Ihre Geschichte muss gut sein, dann kaufen wir sie ab“, meint Kocks. Er ist überzeugt, dass der Bürger dem Volksvertreter heute gar nicht mehr zugesteht, so zu sein wie er selbst.

Aber wird das Land deshalb von einer Scheinwelt regiert? Kocks räumt ein, dass auch der beste Politikberater nicht aus jedem alles machen kann. „Es ist wichtig, dass sich die Person widerspruchsfrei zur Rolle verhält und entwickelt“, sagt Kocks. Wenn jemand eine Rolle überhaupt nicht ausfüllen kann, dann gehört extrem viel Disziplin dazu, sie auszufüllen. Das hält auf Dauer niemand durch, irgendwann bröckelt die konstruierte Fassade dann doch – was immerhin ein tröstlicher Gedanke sein kann.