Koblenz/München

Darknet: Im Hinterhof des Internets

In der Parallelwelt des Darknets sind Internetseiten anonym aufrufbar. Marktplätze ähnlich wie eBay laden zum Kauf und Verkauf meist illegaler Waren ein. Betreiber dieser Marktplätze kassieren bei jeder Transaktion 5 bis 15 Prozent mit, sie bleiben ebenfalls unerkannt.
In der Parallelwelt des Darknets sind Internetseiten anonym aufrufbar. Marktplätze ähnlich wie eBay laden zum Kauf und Verkauf meist illegaler Waren ein. Betreiber dieser Marktplätze kassieren bei jeder Transaktion 5 bis 15 Prozent mit, sie bleiben ebenfalls unerkannt. Foto: imago/Christian

58 Schuss Munition stellten die Ermittler nach dem Anschlag von München sicher, 57 aus der Waffe des Täters, eine weitere aus einer Polizeiwaffe. Insgesamt verfügte der Täter über mehr als 300 Schuss Munition. Er tötete bei seinem Amoklauf neun Menschen. Doch wie konnte der 18-jährige Deutsche überhaupt in den Besitz einer Glock-17-Pistole gelangen? Die Antwort gibt wie so oft in den vergangenen Tagen das Internet.

Lesezeit: 3 Minuten
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Von Marcus Schwarze

Über Chatprotokolle auf dem Rechner des Täters fanden die Fahnder heraus, dass David S. zuletzt im sogenannten Darknet aktiv war. Das ist ein verborgener Teil des Internets, der weit über die Seite zwei bei Google-Suchen herausgeht. Das Darknet ist eine geschlossene Welt vergleichbar mit Facebook, dem Amazon-Universum oder der E-Mail-Welt, nur eben nicht so leicht zugänglich. Zugang bekommt man nur mit besonderen Programmen.

Eines dieser Programme nennt sich Tor. Damit wird anonymes Surfen im Internet möglich. Durch Zusammenschalten von Netzadressen aller Teilnehmer des Tor-Netzwerkes wird verschleiert, wer sich gerade tatsächlich welche Internetseite aufruft. Facebook steht dann plötzlich unter einer Adresse facebookcorewwwi.onion zur Verfügung, mit dem Unterschied, dass niemand die IP-Adresse des Nutzers nachverfolgen kann.

Das System dieser Internet-Parallelwelt taugt nicht nur, um als Oppositioneller von China aus an der Zensurbehörde vorbei die „Washington Post“ zu lesen, sondern prinzipiell auch, um unerkannt illegale Marktplatzseiten im Netz aufzurufen.

Eine dieser Seiten hieß bis vor Kurzem crimenetwork.biz. Dabei handelte es sich um ein deutschsprachiges Untergrundforum, in dem allerlei illegale Waren gehandelt wurden. Die stattliche Zahl von gut 84 000 registrierten Nutzern zählte das Netzwerk kurz vor seiner Schließung durch die Behörden. Das berichtete vor Kurzem die Computerzeitschrift „c't“. Registriert waren die Teilnehmer immer ohne Klarnamen, sie trugen Fantasienamen wie „AllStar“, „mega85“ oder „WeNigger“. Rubriken auf dem Marktplatz waren fein säuberlich nach „Biete“ und „Suche“ sortiert. Angeboten wurden:

  • Waren (Arznei, Bahntickets),
  • Drogen,
  • Waffen,
  • Kreditkarten,
  • Payments (Bezahldienste),
  • Services (wie Anrufe unter falscher Identität),
  • Keys (Schlüssel für Software),
  • Accounts (wie Zugangsdaten zu E-Mail-Konten).

Im regulären Versandhandel bekommt man heute eine Glock-17-Pistole, die „wegen ihrer unübertroffenen Zuverlässigkeit, der überdurchschnittlichen Magazinkapazität von 17 Schuss und ihrem geringen Gewicht als die meistbenutzte Behördenpistole der Welt“ gilt, für 689 Euro zuzüglich Versand. Freilich muss man dafür auch online eine Waffenbesitzkarte vorweisen. Nicht so im Darknet: Dort werden immer wieder auch Waffen verkauft, von Nutzern, die wie bei Ebay Bewertungen von früheren Käufern vorweisen müssen.

Auf diesen vollständig anonymisierten Marktplätzen könnten zwei Merkmale helfen, die Betreiber, Verkäufer und Käufer dingfest zu machen: Da sind zum einen die Hausadressen, an die die Waren letztlich geliefert werden, zum zweiten die Kontodaten, die die Nutzer für ihre Transaktionen benötigen.

Diese beiden Daten aber lassen sich bei jeder Transaktion zusätzlich verschleiern. So nutzen Käufer, Zwischenhändler und Verkäufer auf den Marktplätzen des Dark-nets die sogenannten Bitcoins, jene Internetwährung, für die man sich wiederum anonym anmelden kann. Ein Bitcoin-Konto kann sich jedermann im Grunde auf der eigenen Festplatte anlegen, von einem regulären Konto Geld dahin überweisen und mit spezieller Bitcoin-Software virtuelles Geld im Wert einer tödlichen Waffe an einen Verkäufer überweisen. Da steht dann kein Name mehr auf dem Kontoauszug.

Ebenso anonymisieren lässt sich die Auslieferungsadresse für die bestellten Waren. Packstationen von DHL sind der Schlüssel zur diskreten Waffen-, Drogen- oder Medikamentenlieferung, und der Dienst zählt in Deutschland acht Millionen Nutzer. Einige DHL-Nutzer dürften nicht mehr alleiniger Herr über ihre Zugangsdaten sein: Im Darknet werden gestohlene Zugangsdaten für Packstationen zu Preisen von 20 bis 25 Euro gehandelt. Mit einem fingierten Anruf bei DHL ändert man dann die Mobilfunknummer, schon geht die nächste SMS über die Lieferung an eine DHL-Packstation auf ein anderes Handy als das des eigentlichen Paketfach-Inhabers. Behörden, die dagegen ermitteln, sind darauf angewiesen, dass die Akteure Fehler machen, ansonsten sind sie machtlos.

In welchem Viertel des Darknets genau David S. die Waffe und die Munition kaufte, ist unklar. Mit genügend krimineller Energie erscheint es jedoch nicht unmöglich, an illegale Waren zu gelangen.

Der Versuch kann allerdings auch nach hinten losgehen: Als kürzlich ARD-Reporter Reinhold Beckmann eine Kalaschnikow zu kaufen versuchte, kam er mit einem Mittelsmann auf dem Marktplatz „Black Market“ ins Geschäft. Nur geliefert wurde das 700 Euro teure Maschinengewehr nicht. Die Reportercrew war offensichtlich einem Betrüger aufgesessen.

Zur Person:

Marcus Schwarze ist Leiter Digitales und Mitglied der Chefredaktion der Rhein-Zeitung. Seit mehr als 20 Jahren berichtet er über die Entwicklung des Internets.