Contra: Für manche lohnt sich die Arbeit nicht mehr

Gerhard Kruip
Gerhard Kruip Foto: Peter Pulko

Nein, meint Sozialethiker Prof. Dr. Gerhard Kruip hält dagegen. Arbeit würde sich dann für viele nicht mehr lohnen, sagt er.

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Von Prof. Dr. Gerhard Kruip

Die Schweizer Volksinitiative für ein bedingungsloses Grundeinkommen hat sowohl dessen Höhe als auch seine Finanzierung offen gelassen. Aber genau darauf kommt es an. Ohne konkrete Angaben zu diesen beiden Fragen lässt sich der Vorschlag nicht vernünftig diskutieren. Meist wird in der Schweiz über eine Höhe von 2500 Franken (2275 Euro) pro Person und Monat gesprochen. Das ist sehr viel, auch wenn man die hohen Preise in der Schweiz berücksichtigt. Der Betrag von 2500 Franken entspricht ungefähr einer Kaufkraft von 1500 Euro in Deutschland und ist sicherlich mehr als ein soziokulturelles Existenzminimum.

Auf der Internetseite der Schweizer Initiative für das bedingungslose Grundeinkommen wird zur Finanzierung vorgeschlagen, dass ein großer Teil bisheriger Sozialleistungen dadurch ja entfallen könnte. Das gilt sicherlich für Arbeitslosen- und Kindergeld. Bei darüberliegenden Altersversorgungsansprüchen lässt sich eine solche Kompensation freilich nicht sofort umsetzen. Und für die Krankenversicherung gilt dies ohnehin nicht, da diese zusätzlich notwendig ist. Vor allem aber soll nach den Vorstellungen der Initiative offenbar jedes Erwerbseinkommen bis zum Betrag des bedingungslosen Grundeinkommens zu 100 Prozent besteuert werden. Da stellt sich natürlich die Frage, ob es dann noch genügend Anreize gibt zu arbeiten, wenn man mehr als 2500 Franken verdienen muss, um sich überhaupt besser zu stellen als mit dem bedingungslosen Grundeinkommen. Und wegen der in einem solchen Modell steigenden Attraktivität von Schwarzarbeit kann es gut sein, dass die Kontroll- und Bürokratiekosten nicht wie von den Befürwortern erwartet abnehmen, sondern sogar steigen würden.

Bescheidenere Vorstellungen in Deutschland

In Deutschland wurden sehr viel bescheidenere Grundeinkommensmodelle diskutiert, etwa in einer Höhe von 800 oder 1000 Euro, verbunden mit einer Besteuerung von Erwerbseinkommen mit einem Steuersatz von 50 Prozent. Berechnungen für Deutschland haben jedoch gezeigt, dass auch dieses niedrigere Grundeinkommen nur solide finanzierbar wäre, wenn man Erwerbseinkommen mit 70 oder 80 Prozent besteuerte.

Wer will da noch arbeiten?

Wie viele werden dann die Mühe einer entlohnten Erwerbsarbeit noch auf sich nehmen, wenn sie auch ohne Arbeit gut leben oder jeder hinzuverdiente Euro hoch besteuert würde? Darin, dass die Erwerbsarbeit stark zurückgeht, liegt meines Erachtens das größte Risiko der Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens. Die allgemeine Freistellung vom Arbeitszwang kann ökonomisch ja nur funktionieren, wenn es trotzdem noch so viele Erwerbstätige gibt, dass aus deren Steueraufkommen diejenigen mitfinanziert werden können, die nicht arbeiten, obwohl sie ja durchaus arbeiten könnten. Ein großes Problem sehe ich auch darin, dass insbesondere junge Menschen möglicherweise nicht mehr genügend motiviert sein könnten, um in ihre Bildung und Ausbildung zu investieren, damit sie später eine gut bezahlte Stelle finden. Ihnen erscheint das entsprechende Grundeinkommen noch attraktiver als den Älteren, weil sie ihre späteren Wünsche noch nicht realistisch einschätzen können. Auf diese Weise könnte ein größerer Teil der Bevölkerung, vor allem die weniger gut Qualifizierten, zwar ein Grundeinkommen beziehen, würde sich aber langfristig nicht am Erwerbsleben beteiligen. Diese Menschen wären dann faktisch aus einem relevanten Bereich gesellschaftlichen Lebens, in dem man Selbstachtung und Anerkennung erfährt und wichtige Beteiligungsmöglichkeiten hat, ausgeschlossen. Schließlich gibt es ein großes Problem, wenn nur einzelne Länder ein solches Grundeinkommen einführen. Denn zweifellos stellt es einen großen Anreiz zur Einwanderung dar, selbst wenn man versucht, eine solche Zuwanderung mit langen Wartezeiten einzudämmen.

Würde andererseits das Grundeinkommen deutlich niedriger angesetzt, was manch andere seiner Vertreter befürworten, beispielsweise auf der Höhe des derzeitigen Hartz-IV-Niveaus, würde das Ziel der Armutsbekämpfung kaum erreicht. Auch könnten sich Grundeinkommensbezieher, die sich ehrenamtlich oder in der häuslichen Pflege engagieren, durch ein so niedriges Grundeinkommen kaum honoriert fühlen, da es ihnen nur ein Überleben auf einem relativ niedrigen materiellen Niveau ermöglichen würde.

In jedem Fall sind die Risiken eines solchen radikalen Umbaus unserer Erwerbsarbeits- und Leistungsgesellschaften sehr hoch. Das Argument, uns ginge die Arbeit aus, ist nach allen bisherigen Erfahrungen mit großen technischen Innovationsschüben wenig überzeugend. Wir sollten die derzeit in den wohlhabenderen europäischen Ländern reichlich fließenden Steuereinnahmen nicht durch ein bedingungsloses Grundeinkommen gleichmäßig verteilen, sondern gezielt in die Zukunft investieren: in eine Beschleunigung der dringend notwendigen Energiewende, in eine Verbesserung der vielfach maroden Infrastruktur und vor allem in Bildung, Forschung und die Integration von Migranten. Arbeit gibt es wahrlich genug – und wir brauchen Anreize, dass sie auch getan wird.