Rheinland-Pfalz

CDU in Rheinland-Pfalz: Die Stimmen der Basis

Flüchtlingskrise, Streit mit der CSU, „alternativlose“ Politik: Viele Christdemokraten hadern mit der Parteiführung. Wie groß aber ist die Unzufriedenheit vor dem Parteitag im Dezember wirklich? Soll Kanzlerin Angela Merkel zur Bundestagwahl 2017 noch mal antreten? Unsere Zeitung hat in den vergangenen Wochen zahlreiche Gespräche mit Unionsmitgliedern an der Basis geführt – und dabei Kritik, aber nicht weniger Zustimmung zum aktuellen Kurs vernommen. Ein Protokoll …

Lesezeit: 9 Minuten
Anzeige

Kreisparteitag der CDU Koblenz im September. Der Verband nominiert den Bundestagskandidaten der CDU, Josef Oster (45). Nach der Abstimmung stellt sich Oster den Fragen des Publikums. Es geht um seinen politischen Werdegang, die Schwerpunkte, die Oster in Berlin setzen will, um seine Einflussmöglichkeiten in Berlin. CDU-Mitglied Martina von Berg, Sozialpädagogin, möchte wissen:
Herr Oster, mich würde interessieren, wie Sie der Flüchtlingsfrage gegenüberstehen. Wie positionieren Sie sich da? Sagen Sie auch: Wir schaffen das. Oder sagen Sie: Wir brauchen eine Obergrenze.
[Raunen im Publikum.]
Das ist gut!
Prima Frage!
Josef Oster: Also ich werbe dafür, Entscheidungen aus der Situation heraus zu bewerten, in denen sie gefallen sind. Man sollte sich vor Augen führen, wie die Medien- und Gesamtlage vor einem Jahr gewesen ist. Sie war eben nicht kritisch, sondern sie war uneingeschränkt positiv. Und es waren ständig Bilder von ertrunkenen Flüchtlingen und Ähnlichem in den Medien. Und aus dieser Situation heraus, darum werbe ich, muss man doch Entscheidungen von vor einem Jahr bewerten. Dass mittlerweile alle der Meinung sind, dass sich eine Situation, wie es 2015 der Fall war, nicht wiederholen darf, das ist die Position der CDU …

***

Der CDU geht es so schlecht wie seit Langem nicht. Rund 18 Prozent in Berlin, 19 Prozent in Mecklenburg-Vorpommern und dort von der AfD überholt. Auch bei der Bundestagswahl droht eine Enttäuschung: Derzeit steht die Union in Umfragen bei rund 30 Prozent. Das wären 11 Prozentpunkte weniger als 2013 – eine Katastrophe für eine Volkspartei, der es seit jeher gelang, nicht nur unterschiedliche Strömungen zu vereinen, sondern die damit an der Urne auch so erfolgreich war wie kaum eine Partei.

Zahlt die CDU jetzt den Preis für eine Politik, die sie in den vergangenen Jahren immer weiter von ihrer konservativen Wählerschaft entfernte? Ist es eine Quittung für Merkel, weil sie, wie es die „FAZ“ vor Kurzem schrieb, vergaß, dass es unter der Stratosphäre der Weltpolitik auch noch deutsche Wohnzimmer gibt? Hat Merkel den Zeitpunkt verpasst, ihre Macht abzugeben, und erinnert sich der „Spiegel“ zu Recht an an die Spätphase der Ära Kohl? Eine Spurensuche.

Parteitag des CDU-Kreisverbands Bad Kreuznach in Bad Sobernheim im September. Bettina Dickes soll zur Kandidatin für die Landratswahl 2017 gekürt werden. Julia Klöckner, stellvertretende Bundesvorsitzende der CDU, unterstützt die Kandidatin, sie ist als Gastrednerin eingeladen. Kein Wort fällt über die vergangenen Wahlen. Dickes erhält 96,8 Prozent der Stimmen und langen Applaus. Später, die meisten haben den Saal bereits verlasen, da sitzen die beiden CDU-Mitglieder Elisabeth Öhler (68) aus Bad Sobernheim und Hella Bornemann (77), Bad Kreuznach, noch an den Tischen.
Öhler: Klar war das im September 2015 richtig. Wenn ich christlich bin, dann muss ich den Menschen doch helfen, die in Not sind. Die Willkommenskultur hat uns gut getan, die Bilder, als die Menschen ankamen, die Ehrenamtlichen, wie sie in Empfang genommen wurden ...
Bornemann: Der Seehofer wird ja auch immer extremer ...
Öhler: Furchtbar ...
Bornemann: Ich bin ja auch gespalten bei der Aufnahme und der Betreuung der Flüchtlinge. Ich kenne 90 Prozent der arabischen Länder. Ich habe ein Faible für arabische Länder. Aber allmählich wird es mir hier zu viel. Bei uns in Bad Kreuznach laufen mehr Kopftücher herum als bis vor Kurzem in Istanbul. In Frankfurt gibt es Stadtteile, da wird die zweite, dritte Moschee in einem Stadtteil gebaut. Es wird allmählich viel. Aber sie tun mir ja auch leid, die vielen, die im Mittelmeer verunglücken.
Öhler: Wenn es jemand schafft, dann Deutschland. Und bisher haben wir es doch geschafft.
Bornemann: Aber es gibt auch den Sicherheitsaspekt. Ich ziehe ja zu Fuß durch Bad Kreuznach, wenn da junge dunkelhaarige Männer ankommen, die am frühen Abend herumstehen, und auch schon Frauen angegriffen haben, das ist ein bisschen beängstigend. Die langweiligen sich, die verstehen die Umgebung nicht.
[...]
Öhler: Wir werden sehen, wie es weitergeht. Wir sehen ja den Wahlkampf in Amerika.
Bornemann: Unmöglich. Die tun mir auch leid.
Öhler: Da ist kein Niveau mehr. Bornemann: Österreich ist auch schwierig.
Öhler: Es ist keine intellektuelle Ebene mehr da, Künstler und Intellektuelle mischen sich nicht mehr ein und sagen: So geht es nicht.
[...]
Bornemann: Als Alternative zu Merkel, wer käme denn da in Frage? Doch nicht ... Oder doch?
Öhler: Gabriel, der dicke?
Bornemann: Na ja, den lehnen doch auch die meisten ab ...
Öhler: Oder der Altmaier?
Bornemann: Der von der CDU? Och nee ...
Öhler: Bei uns gibt es keine Alternative.
Bornemann: Nicht wirklich. Nein, auch bei anderen Parteien, es ist schwer, jemand passables zu finden.
Öhler: Ich glaube schon, dass sie es wieder macht.
Bornemann: Na ja.

***

Der Vorstand des Koblenzer CDU-Ortsverbands Lützel trifft sich in der Gaststätte Dellweg. Lützel – für die einen Multi-Kulti-Stadtteil, für die anderen sozialer Brennpunkt. Anwesend sind: Marc Wehran, 20 Jahre alt, Jens Wehran, 55 Jahre alt, Jürgen Wehran, 90 Jahre alt, – drei Generationen – und Horst Wieland (68). Das wichtigste Thema in diesen Tagen: Die CDU will den Bebauungsplan Lützeler Bahnhof schnell in die Bürgerversammlung bringen. Und die Bundespolitik?
Jürgen Wehran (90): Ich habe neulich im Fernsehen Claus Kleber gesehen, der den Seehofer interviewt hat. Er sprach von einer Obergrenze von 200.000 Flüchtlingen. Dann fragt der Kleber nach: Was ist mit dem 200.001.? Da hat der Seehofer keine Antwort gegeben. Nachdem er noch mal gefragt worden war – immer noch keine Antwort. Die Obergrenze ist nun mal nicht durchzuhalten. Das ist die Frage. Hier verstoße ich gegen die Menschenrechte. Es gibt klare Regeln, auch in unserer Verfassung.
Marc Wehran (20): Dass die CSU sagt, dass Menschen der christlich abendländischen Kultur bei der Einreise grundsätzlich bevorzugt werden, das finde ich zu radikal. Aber es ist nicht ganz falsch, dass man sich eher die Leute sucht, die kulturell zu uns passen.
Jürgen Wehran (90): Wir alle wissen doch, dass der Streit zwischen CSU und CDU gar nichts bringt. Und wir alle wissen doch, dass in Ungarn sich damals die Menschen stauten und knüppelten, dass da überhaupt gar kein Stopp an der Grenze denkbar war und dass man die Menschen erstmal aufnehmen musste. Und wir wissen, dass es eine sinnvolle Politik ist, wenn Merkel mit der Türkei und mit afrikanischen Ländern Abkommen schließt.
Jens Wehran (55): Ich glaube, man hätte es uns aus Deutschland als dem wirtschaftlich besten Kern-EU-Staat verdammt übel genommen, wenn wir die Leute in Ungarn krepieren lassen, mit dem Hinweis, ihr seid dort in die EU gekommen, seht zu, wie ihr zurechtkommt. [...]
Horst Wieland: Sie hat nicht überblickt, wie viel das wird.
Jens Wehran: Was soll sie denn auch sagen: Wir schaffen das nicht? Ich glaube nicht, dass sie in dieser Sekunde gemeint hat, wir schaffen Millionen.
Marc Wehran: Das muss man ihr ankreiden, dass es einfach komplett unterschätzt wurde. Das muss man ihr ankreiden.
Horst Wieland: Genau. Ganz genau.
Jürgen Wehran: Wir haben das doch bisher bravourös geschafft.
Jens Wehran: Natürlich sind wir noch lange nicht über Schmitz-Backes. Wir haben jetzt erst mal alle untergebracht, allein das hätten viele Staaten überhaupt nicht bewältigt. Jetzt geht es natürlich um die viel schwierigere Frage, wie wir die Integration bewältigen. Wollen die Menschen überhaupt integriert werden oder hoffen die, dass sie in drei Jahren zurückgehen?
Jürgen Wehran: 1945, da haben Sie noch nicht gelebt. Aber ich schon. Damals kamen zwölf Millionen Flüchtlinge aus den Ostgebieten, Polen, Schlesien und überall, in den Westen, in die Eifel hinein oder nach Niederbayern. Glauben Sie nur nicht, dass die beliebt waren. Nix. Im Gegenteil. Da gab es ganz harte Auseinandersetzungen. Inzwischen aber dankt die Eifel auf den Knien, dass die Menschen da hinkamen. Das muss man doch so ehrlich sagen. Da ist die Integration erfolgt, aber es hat viele, viele Jahre gebraucht. Die hatten alle nix. Zwölf Millionen! Da sagt die Merkel zu Recht, wir haben jetzt eine Million Flüchtlinge und 80 Millionen Menschen in der Bundesrepublik. Wie viel Prozent sind das? Da muss man doch fragen, ob das für ein wohlhabendes Land wie Deutschland wirklich ein Drama bedeutet?
Horst Wieland: Da hast du natürlich recht. Das ist gar nichts. Aber man darf natürlich nicht vergessen, dass es viele Radikale gibt, die sich gegen unsere Kultur wehren. Das wird dazu beitragen, dass man zumindest etwas misstrauisch ist.
Marc Wehran: Ja
Jens Wehran: Ja
Jürgen Wehran: Als ich in die CDU eingetreten bin, da gab es noch Adenauer. Natürlich zieht eine Partei mit der Zeit mit, ändert sich, passt sich auch an. Merkel hat der Partei einen Drall nach links gegeben, aber sie hat damit auch x-mal Themen der Linkeren unterlaufen. Angefangen vom Mindestlohn. Die CDU ist – und das ist bei einer Volkspartei immer das Problem – eine Partei der Mitte. Die Mitte geht weit nach rechts und links hinaus, sie hat immer Reibungen an den Außenseiten, sie darf sich aber nicht zu sehr verschieben, sie muss in der Mitte bleiben.
[...]
Jens Wehran: Ich glaube nicht, dass es in der CDU jemanden gibt, einen andern durchzudrücken. Merkel wird wieder als Kanzlerin kandidieren. Ich befürchte, dass wir wieder nur eine Große Koalition bekommen. Ich sage das ganz deutlich: In Österreich ist die FPÖ so stark, weil SPÖ und ÖVP ein Kartell gebildet haben, und jetzt befürchte ich, dass, wenn immer nur diese Koalition rauskommt, dies die Kräfte an den Rändern weiter stärken wird. Wenn ich es mir wünschen könnte, würde mir eine Kleine Koalition besser gefallen.
Marc Wehran: Ich hätte schon bei der letzten Wahl grün-schwarz gesehen.
Jens Wehran: Ich würde mir grün-schwarz-gelb wünschen.

***

Mitte Oktober, Westerburg. Der Europa-Abgeordnete Werner Langen spricht auf Einladung der CDU Westerburg im Hotel Zum Adler. Es geht um das Türkei-Verhältnis, die Flüchtlingskrise, die Nato. Mehrere CDU-Mitglieder stellen Fragen, auch Gundolf Eckardt (58) aus Westerburg, ehemaliger Berufssoldat:
Immer wieder, wenn ich mich mit den Leuten unterhalte, dann merke ich, dass es da eine ganz andere Meinung gibt. Allein wenn ich mir das Theater um Incirlik anschaue. Als ehemaliger Berufssoldat fühle ich mich persönlich getroffen, dass die Bundeswehr in Incirlik einen Verteidigungsauftrag im Rahmen der Nato durchführt, und die Türkei verweigert den Parlamentariern des Bundestags, dass sie ihre Soldaten dort besuchen. [...] Aber in der Bevölkerung kommt das so an, als würde sich die Bundesregierung von der Türkei am Nasenring vorführen lassen. [...] Ich hätte gesagt, wenn die Parlamentarier unsere Soldaten nicht besuchen dürfen, dann haben wir da nix verloren, dann sind wir unerwünscht, dann gehen wir da raus. [...] Das verstehen die Leute nicht, die Leute fühlen sich, auf gut Deutsch gesagt, verarscht. [...]
Diese Klarheit vermisse ich, und nicht nur ich, sondern auch der Großteil der Bevölkerung. Die sehen nämlich genau das: Wir machen uns zum Hanskasper eines starken Mannes in der Türkei.
Es ist mittlerweile späterer Abend geworden, Werner Langen hat die Veranstaltung verlassen. Ralf Seekatz (43), Stadtbürgermeister von Westerburg und CDU-Landtagsabgeordneter, setzt sich an den Tisch:
Wir sind unter Merkel wesentlich in die Mitte gerückt, da wurde vieles von konservativen Werten über Bord geworfen, das nicht jedem gefallen hat. Da ist natürlich jetzt am rechten Rand Platz. Wie also reagiert man darauf? Das ist die Frage. Sollte man auch nach rechts rücken oder die Leute mit Argumenten erreichen. Letzteres wird immer schwieriger. Wenn wir das Rentenniveau auf 40 Prozent senken, dann kommt sofort: Aber für die Flüchtlinge ist das Geld da. Aus heutiger Sicht war dieser unkontrollierte Zuzug ein Fehler. An den Folgen haben wir noch heute zu leiden. Im Nachhinein ist man immer schlauer, aber das war definitiv ein Fehler. Es kann nicht sein, dass wir nicht wissen, wer in unser Land kommt. Wir haben uns viele Probleme ins Land geholt. Wenn ich mit Polizisten rede, dann höre ich, dass wir massive Probleme haben. Da steht nicht alles in der Zeitung! Gerade bei den unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen, da sind welche dabei, die extrem kriminell sind. Man darf es nicht verallgemeinern, aber die Rückmeldungen, die ich da bekomme ... das ist schon gravierend. [...] Die Älteren in der Partei sind schon relativ klar der Meinung, dass wir eine Obergrenze brauchen, egal wie man sie nennt.
[...]
Aus heutiger Sicht gehe ich davon aus, dass Merkel nochmal antritt. Ich weiß es nicht. Tja, ich wüsste nicht, wer es machen soll. Im Moment fällt mir kein anderer ein, der das machen könnte.

***

Noch jemand sitzt am Tisch. Er ist bereits seit 54 Jahren in der Partei und möchte seinen Namen nicht nennen. „Schreiben Sie: ein kleines CDU-Mitglied.“
Ein kleines CDU-Mitglied: Das fing doch schon mit der Energiewende an, dann die Griechenland-Rettung und die chaotische Flüchtlingspolitik. Die Partei ist zutiefst verunsichert. Ich kann doch nicht einfach die Tür aufmachen. Ich muss doch wissen, wer in mein Land kommt. Ich habe da einen Geheimkandidaten, der ist aber nicht mehr in der Politik. Den müsste man reaktivieren, der Friedrich Merz. Ein ganz fähiger Mann, der ist auch von der Merkel abserviert worden. Oder der Röttgen, ist auch abserviert. Ich habe ihn gehört und dann eine E-Mail geschickt, wenn ich eine solche engagierte Rede von der Kanzlerin hören würde, da wäre ich begeistert. Ob es noch meine Partei ist? Natürlich, ich habe ja keine Alternative hier.

Unser Politikredakteur Dietmar Telser machte sich auf die Suche nach der Stimmung an der CDU-Basis in Rheinland-Pfalz.