Koblenz/Mainz

Bei Erwachsenen bleibt Leiden oft unerkannt

Bei Erwachsenen bleibt Leiden oft unerkannt Foto: picture alliance

Wenn Experten heute und am Samstag beim 18. Symposium der ADHS-Selbsthilfegruppe Juvemus über die „Gesichter der Aufmerksamkeitsstörung“ sprechen, dann haben sie das auch dem 30-jährigen Wirken der Ehrenämtler rund um Koblenz zu verdanken. Denn wie so oft bei zunächst kaum beachteten psychischen und körperlichen Leiden, braucht es Selbsthilfegruppen von Betroffenen und dann erster mutiger Therapeuten und Ärzte, um die Gesellschaft zu sensibilisieren.

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Die Aufmerksamkeitsdefizit- Hyperaktivitätsstörung (ADHS) ist da keine Ausnahme. Erst durch das Drängen der Betroffenen – im Fall von Juvemus war es eine Gruppe von Koblenzer Eltern – wurde ADHS auch zum Gegenstand der Forschung. Experten wie Prof. Dr. Michael Huss, Chefarzt der Abteilung für Kinder- und Jugendpsychiatrie an der Rheinhessen-Fachklinik Mainz, sind bis heute fasziniert von der Entwicklung: „Die vergangenen 30 Jahre habe ich als einen rasanten Forschungsgalopp erlebt. Damals hat uns nur die Frage bewegt, ob es ADHS überhaupt gibt. Inzwischen haben wir riesige Datenmengen, durch die sich das Störungsbild überhaupt nicht mehr infrage stellen lässt“, sagt Huss, der auch ärztlicher Leiter des Symposiums in Koblenz ist.

Heute rückt ein neues Thema in den Fokus der Selbsthilfegruppen und Forscher: ADHS bei Erwachsenen und sogar Rentnern – bei ihnen sei die Abgrenzung zu frühen Formen der Demenz allerdings schwierig. Fakt ist: Während unter Kindern und Jugendlichen laut Prof. Huss 3 bis 5 Prozent an ADHS leiden, liegt die Erkrankungsrate unter Erwachsenen zwischen 1 und 3 Prozent – „eine immer noch eher unterschätzte Größe“. Mit dem Alter verändere sich das Geschlechterverhältnis: Bei den Kindern seien mehr Jungen betroffen, unter Erwachsenen gleiche sich das an. Warum? Frauen stellen sich laut Huss eher ihren psychischen Leiden. Außerdem sei anzunehmen, dass ADHS bei Mädchen immer noch oft nicht diagnostiziert wird – auch weil sich die Symptome bei ihnen meist nicht in Form des auffälligen Zappelphilipps, sondern des unscheinbaren Träumerlieschens zeigten.

Für Juvemus-Geschäftsführerin Monika Reif-Wittlich ist dies ein wichtiger Grund, warum ADHS bei Erwachsenen immer noch oft unerkannt bleibt. Denn auch bei ihnen dringen die Symptome nicht so sehr nach außen: Sie leiden unter innerer Unruhe, Unkonzentriertheit, Einschlafstörungen und Problemen mit der Alltagsorganisation. Sichtbar wird dies vielleicht am ehesten durch Fingerkauen oder Fußtrippeln. Die Ursachen, warum auch Erwachsene unter ADHS leiden, sind umstritten: „Bislang galt es als Kinderkrankheit, die im Erwachsenenalter fortbesteht. Jetzt sagt aber eine provokante Studie, dass es auch Fälle gebe, bei denen ADHS erst im Erwachsenenalter ausgebrochen ist. Da bin ich aber noch sehr skeptisch“, sagt Huss.

Ein großes Problem für Betroffene ist, dass es bislang wenige Fachärzte gibt, die sich auf ADHS bei Erwachsenen spezialisiert haben. So ergab eine Anrufaktion von Juvemus im Jahr 2013, dass von 127 kontaktierten Praxen gerade einmal acht einen kurzfristigen Termin geben konnten. Bei 15 weiteren war der nächste Termin erst nach drei Monaten, bei 18 sogar erst nach mehr als sechs Monaten zu bekommen. Bei 86 Fachärzten gab es überhaupt keinen Termin. Juvemus (übersetzt: Lasst uns helfen) kann deshalb meist nur versuchen, Hilfe zur Selbsthilfe zu geben. Wie heute beim Symposium im Bildungszentrum der Handwerkskammer Koblenz.