„Barra-Connection“: Das große Geschäft mit Olympia

Wind peitscht durch die neue Hochhaussiedlung. Hier schlafen während der Olympischen Spiele die besten Sportler der Welt. Am Eingang steht ein Aufsteller aus Plexiglas, darauf der Schriftzug „Carvalho Hosken S/A“. Er soll verhüllt werden. Den Namen Carvalho Hosken soll keiner zu sehen bekommen, wenn die Sommerspiele am 5. August in Rio de Janeiro starten. Der 91 Jahre alte Mann, der hinter dem Firmennamen steckt, könnte zum Gewinner der Wettkämpfe schlechthin werden; der Milliardär erwartet dicke Profite. Aber er hält sich derzeit lieber im Hintergrund.

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Baulöwe als Patron von Barra

Statt seines Namens wird im August das Logo von „Rio 2016“ die etwa 10.500 Athleten an der Ilha Pura, der „reinen Insel“, begrüßen. So heißt die Wohnanlage im Stadtteil Barra de Tijuca, die nun erst einmal als Olympiadorf genutzt wird. Dabei wirkt Barra eher wie eine eigene Stadt, mit mehr als 300.000 Einwohnern. Hier leben die Wohlhabenden. Barra de Tijuca ist ein ganz anderes Rio, als es Touristen kennen. Vieles wirkt neu, geschäftig, amerikanisch. Dass die Olympiamacher die Wettkämpfer gerade in Barra einquartieren, ist eine Geschichte für sich. Eine Geschichte über den Nutzen von Olympia und über fragwürdige Deals. Auch der umtriebige Bürgermeister der 6,5-Millionen-Stadt, Eduardo Paes, spielt darin eine Rolle. Kritiker werfen ihm vor, im Gegenzug für hohe Geldspenden das Baurecht geändert zu haben. Und mit Steuergeldern Privatgeschäfte mit dem Olympischen Dorf zu unterstützen – was er bestreitet.

In den Wohnblocks soll nach Olympia vor allem die weiße Mittel- und Oberschicht einziehen. 3604 Apartments gibt es im Komplex Ilha Pura. Hinter dem Firmennamen Carvalho Hosken steht der 91-Jährige Carlos Carvalho.

Carvalho gilt als Patrón von Barra, als Mitschöpfer des Stadtteils. Vor einem Komplex mit 18 Kinos steht die Nachbildung der Freiheitsstatue aus New York. Sie sieht kitschig aus, passt aber zur amerikanischen Anmutung hier. Zehn Millionen Quadratmeter Land bezeichnet Carvalho hier als seines, oft bebaut mit Hochhausblöcken.

Nach einer „reinen Insel“ sieht es in diesem Sportlerdorf nicht aus. Auf einem Werbeplakat hält zwar ein Mann eine Frau im Arm, romantisch blicken sie auf eine große Wasserfläche, doch das Gelände gleicht eher einer Betonwüste, dominiert von 31 Hochhäusern mit jeweils 17 Stockwerken. Über eine vierspurige Schnellstraße kann man entfernt die Lagune Jacarepaguá sehen, die aber meist verdreckt ist. An ihr liegt der Olympiapark, das sportliche Zentrum der Spiele mit den meisten Wettkampfstätten.

Zur Ilha Pura gehört ein weitläufiges Entrée, viel Holz, eine Theke. Hier wurde das Dorf für die Athleten hergerichtet. Nicht nur Sportler, auch Trainer und Betreuer werden hier wohnen. Es ist eine große Logistikaufgabe: 19 000 Betten, 10 650 Schränke, 11 152 Klimaanlagen, 3604 Sofas, 120 580 Handtücher. Während draußen Pools, Fahrradwege und Tennisplätze in der Sonne glänzen, das Olympische Dorf ansprechend wirkt, ist es innen ernüchternd einfach. Nach den Spielen kommt aber alles raus, dann werden die Häuser auf Luxus getrimmt. Kinos, Saunen, Fitnessstudios sollen in den Komplexen Standard sein. „Ab Juni 2017 ist alles bezugsfertig“, sagt der Vermarkter voraus. Der Verkauf laufe gut. Das Luxuskonzept unterscheidet Rio zum Beispiel von den Spielen in London 2012. Dort bescherte das Olympische Dorf im East End den weniger finanzstarken Bürgern nach den Spielen neue Wohnungen.

Vision vom weißen Rio

Carlos Carvalho setzt schon länger auf seine Vision eines weißen Rios. Mit weniger Kriminalität als bisher, ohne Favelas, also Armensiedlungen, die durch den Zuzug schwarzer Tagelöhner entstanden waren. Um 1900 startete diese Entwicklung – rund 20 Prozent der Bewohner Rios leben heute in den Favelas. Die Favela Vila Autódromo am Olympiapark war eine der wenigen Armensiedlungen mitten im Herzen Barras. Einfache Arbeiter lebten dort, mit legalen Besitztiteln. Sie wurde – bis auf ein paar Häuser mit besonders kämpferischen Bewohnern – plattgemacht. Die Menschen wurden in Billigapartments umgesiedelt. Vor allem Carvalho hatte sich dafür starkgemacht.

Etwa ein Jahr vor den Spielen gab er dem britischen Sender BBC und der Zeitung „The Guardian“ ein sehr offenes Interview. Mit Blick auf die Vila Autódromo, deren Bewohner teils mit Polizeigewalt aus ihren Häusern geholt wurden, sagte er: „Sie werden jetzt ihrem Standard entsprechend wohnen. Sie müssen gehen.“ In den Randbezirken gebe es genug Platz, das Zentrum gehöre der Elite. Dafür erntete er negative Reaktionen.

Eine aktuelle Anfrage an seine PR-Beraterin Bruna Coutinho für ein Interview wird dagegen abgeblockt. Es sollte um Carvalhos Geschäfte, seine Geldzuwendungen an den Bürgermeister, seine Vision von Barra gehen. Die Antwort: leider nein. „In der Zeit der Olympischen Spiele werden solche Anfragen vom Bürgermeister Rio de Janeiros bearbeitet.“ Klingt nach einem Maulkorb.

Denn auch Bürgermeister Eduardo Paes reagierte damals wenig amüsiert: „Ich habe eine gute Beziehung zu ihm, aber das bedeutet nicht, dass ich immer seiner Meinung bin. Was er gesagt hat, ist ein Skandal.“ Als Politiker weiß er, dass die Aussagen Carvalhos in einer Stadt mit großem Gefälle zwischen Arm und Reich sozialer Sprengstoff sind. Paes preist die Spiele, die fast 10 Milliarden Euro kosten, gern als Geschenk an die Bewohner. Doch große Geschäfte damit machen wenige Leute. Eher solche wie Carvalho, die noch reicher werden. Ein Index des Wirtschaftsdienstes Bloomberg schätzt dessen Vermögen auf 4,2 Milliarden Dollar (3,7 Milliarden Euro).

Bürgermeister Paes, nie um einen flotten Spruch verlegen, ist Teil der Barra-Verbindung. Der 46-Jährige, der den Daueroptimisten gibt, startete in diesem Teil Rios 1993 als Unterpräfekt seine Karriere. Interessant: Im Jahr 2012 spendete Carvalho 650.000 Reais (165.000 Euro) für die Wiederwahlkampagne von Paes und seiner Partei PMDB. Kritiker fragen: Ging da alles mit rechten Dingen zu?

So ein Kritiker ist der Anwalt Jean Carlos Novaes. Der Anwalt für Immobilienrecht ist so etwas wie ein Kronzeuge der Anklage. Er hat Hunderte Dokumente studiert. Sein Urteil ist eindeutig: „Carlos Carvalho ist der Hauptnutznießer des Olympiaerbes.“ Er habe das Brachland vor vielen Jahren sehr günstig gekauft. „Es wurden dann die Regeln geändert, es war zuvor nur erlaubt, Gebäude mit maximal acht Stockwerken zu bauen.“ Dadurch, erklärt Novaes, ist der Wert des Geländes für Carvalho sprunghaft gestiegen. Bei der Ausschreibung für die Bauten soll von vornherein klar gewesen sein, dass das Konsortium Hosken/Odebrecht den Zuschlag bekommt, meint er.

Carvalhos Baupartner, der Konzern Odebrecht, steht seit Längerem im Fokus eines Brasilien erschütternden Skandals um hohe Schmiergeldzahlungen bei Auftragsvergaben. Ex-Chef Marcelo Odebrecht wurde im März zu 19 Jahren und 4 Monaten Gefängnis verurteilt. Es würde manche Experten nicht überraschen, wenn es auch in Sachen Olympia noch zu Korruptionsanklagen kommt.

Novaes jedenfalls möchte Bürgermeister Paes vor Gericht bringen – wegen der Sache mit dem olympischen Golfplatz in einem Naturreservat. Dort baut ein zweiter Immobiliengroßunternehmer in Barra mit seinem Unternehmen Cyrela. Dank der Änderung strenger Umweltrichtlinien darf dort überhaupt gebaut werden.

Anwalt sammelt Indizien

Er sieht wegen der Finanzierung von Paes' Kampagnen Indizien für mögliche Korruption. Was der Bürgermeister mit Verweis auf die Legalität von Parteienspenden klar zurückweist. Paes werden Ambitionen auf die Präsidentschaftskandidatur 2018 nachgesagt. Auf Anfrage erklärt ein Sprecher, es habe keine Begünstigung oder gezielte Baurechtsänderungen für Carvalhos Projekte gegeben. Der Politiker Paes betont immer wieder, dass in Rio im Rahmen des Programmms „Minha Casa, minha Vida“ 65 000 Sozialwohnungen geschaffen wurden. Und zwar auch in Barra. Und dass gerade wegen der privaten Investitionen, die über die Hälfte der 10 Milliarden Euro Gesamtkosten ausmachen, Olympia in Rio in einem verträglichen Finanzrahmen bleibe. Aber der Bundesstaat Rio de Janeiro hat kurz vor Olympia den finanziellen Notstand ausgerufen und braucht von der Regierung Nothilfen von bis zu 780 Millionen Euro.

Vor dem Olympiadorf steht Pedro Osari. Er hält einen Hammer in der Hand und blickt auf die Hochhäuser. Er wird sich hier nie eine Wohnung leisten können. „Wir kümmern uns um die ganzen Abwasserleitungen, ein komplexes System“, sagt der 50-Jährige. Auf seinem grauen Overall ist das Emblem der staatlichen Abwasserfirma Rio de Janeiros zu sehen.

Für Novaes ist das ein weiteres Indiz für Filz: „Der Staat übernimmt alle Kosten für die gesamte Infrastruktur bei der Ilha Pura.“ Zudem habe Carvalho günstige Baukredite der staatlichen Bank Caixa Econômica Federal erhalten, betont er. Das Ganze sei von keinerlei Nutzen für die Allgemeinheit. Das Unternehmen Carvalho Hosken hingegen kann nach den Spielen werben, dass seine Wohnungen von Olympiasiegern eingewohnt seien. Aber bevor es so weit ist, ist der Name des Olympiagewinners erst einmal dezent verhüllt worden.

Georg Ismar