Aufstand der Untergebutterten- Liberale befreien sich vom Merkel-Diktat

Das war das machtpolitische Gesellenstück von Philipp Rösler, meint der Politikwissenschaftler der Uni Koblenz-Landau, Ulrich Sarcinelli, zu der Kampfansage an Kanzlerin Angela Merkel (CDU), dass die Liberalen den Bürgerrechtler Joachim Gauck zum Bundespräsidenten wählen wollen.

Lesezeit: 4 Minuten
Anzeige

Das war das machtpolitische Gesellenstück von Philipp Rösler, meint der Politikwissenschaftler der Uni Koblenz-Landau, Ulrich Sarcinelli, zu der Kampfansage an Kanzlerin Angela Merkel (CDU), dass die Liberalen den Bürgerrechtler Joachim Gauck zum Bundespräsidenten wählen wollen.

FDP-Chef Philipp Rösler
FDP-Chef Rösler vor dem Kanzleramt: Die ums Überleben kämpfende FDP hat sich mit der Favorisierung von Gauck ein Stück von der Union emanzipiert.
Foto: Robert Schlesinger

Aber der junge FDP-Chef hatte auch einen versierten und nervenstarken Meister an seiner Seite: Fraktionschef Rainer Brüderle, der Merkel in der Opel-Krise auch die Stirn bot, dem US-Konzern Milliarden verweigerte und sie für Deutschland rettete. „Ein echter Brüderle“, kommentieren rheinland-pfälzische Liberale den Berliner Politkrimi.

Ob die Kanzlerin seit diesem Sonntag schwächer und einsamer ist, wird sich noch zeigen. Ihre Mimik bei der Pressekonferenz lässt jedenfalls den Rückschluss zu, dass sie die Niederlage schmerzt. Denn sie kann diesmal nicht die Wahl diktieren, schlimmer: Sie muss auch noch einen Fehler der vorherigen Wahl korrigieren. Aber womöglich war der Widerstand der ostdeutschen Pfarrerstochter gegen den ostdeutschen Pfarrer Gauck weniger ausgeprägt als im katholischen Süden der Republik. Doch eins ist seit diesem Abend klar: Die von Merkel und Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) geschundene FDP hat wieder einmal das Gefühl, in der Republik wichtige Weichen gestellt und Würde samt Selbstbewusstsein zurückgewonnen zu haben. „Das tut der liberalen Seele auch einmal gut.“ Damit spricht der Koblenzer Bezirkschef Herbert Mertin vielen Mitgliedern aus dem Herzen.

FDP sucht schon lange ihre Chance

Die seit Monaten angeschlagene FDP sucht schon lange nach der Chance, sich von Merkel abzugrenzen und in der Koalition an Profil zu gewinnen. Der Aufstand vom Sonntag hatte sich langsam aufgebaut – mit dem Abschied von der großen Steuerreform, Merkels überraschender Energiewende, dem Rauswurf aus der Koalition an der Saar und zuletzt mit der Causa Wulff. „Erst hat Merkel uns Horst Köhler aufs Auge gedrückt. Dann Wulff mit seinem Desaster.“ Denn in der FDP wollte die Mehrheit eigentlich schon 2010 den Bürgerrechtler Gauck wählen. Die meisten votierten nur aus Koalitionsräson für Wulff. Als eine weitere Schmach am Sonntag drohte und Merkel die untergebutterte FDP mit schwarz-grünen Signalen auch noch laut drohend „untertöpfern“ wollte, wurde gegen 15 Uhr die Runde im Kanzleramt abgebrochen. Denn die FDP-Spitze wollte weder Umweltpolitiker Klaus Töpfer (CDU) noch den früheren Ratsvorsitzenden der Evangelischen Kirche oder Frankfurts OB Petra Roth (CDU) wählen.

Aber sie musste fürchten, dass sich Merkel bis abends mit Rot-Grün verständigt und die FDP isoliert. Deshalb entschloss sich Rösler, in einer Schaltkonferenz mit seinem Präsidium den Spieß rechtzeitig umzudrehen. Außerdem sehen viele Liberale die Chance, dass das konsequente Engagement für den Bürgerrechtler hilft, zum Image einer Bürgerrechtspartei zurückzufinden. „Das Zeitfenster war eng. Wir mussten handeln“, erklärt ein Liberaler die brisante Lage. Denn es war zudem auch noch das Schreckgespenst aufgetaucht, dass die Bundesversammlung mit erneuter Konfrontation in einer Katastrophe endet, weil die FDP an der Basis nicht noch einmal gegen „einen überzeugenden Liberalen wie Gauck“ eine Mehrheit organisieren kann. Wäre aber Merkels Kandidat in der Bundesversammlung durchgefallen, wäre dies wohl erst recht das Ende der schwarz-gelben Koalition gewesen.

Merkel wurde kalt erwischt

Die FDP-Volte überraschte Merkel kalt, obwohl auch in breiten Teilen der Union Töpfer und Huber als schwer durchsetzbar galten. Dass sich mitten in der Eurokrise aber auch Deutschland nicht auch noch eine Staatskrise leisten kann, dämmerte der „eisernen Kanzlerin“. Sie hatte die gemeinsame Suche verzockt und schwor in einer Schaltkonferenz ihr Präsidium ein: „Wir wählen Gauck.“ Die Laune eines Liberalen, der mitten im Narrentrubel einen dieser Anrufe mitbekam, wuchs dabei ungemein, während Unionspolitiker plötzlich verschnupft wirkten. In der FDP ist die Erleichterung riesig, auch wenn sich jeder lautes Triumphgeheul verkneift und weiß: „Ein solcher Kraftakt ist nicht jeden Tag möglich.“ Aber die auf knapp 3 Prozent gedrückte FDP hofft „auf einen Befreiungsschlag“ und das Signal: Die FDP hat ihre Bedeutung im Parteienspektrum, wie es der FDP-Bezirkschef der Pfalz, Günter Eymael, sagt. „Ohne die FDP würde es die Fast-Allparteien-Wahl einer respektablen Persönlichkeit nicht geben.“ Er erhofft sich auch von der Partei jetzt „eine Wende zum Besseren“.

FDP-Landeschef Volker Wissing ist froh, dass die Liberalen „einen wesentlichen Beitrag“ dazu geleistet haben, dass „ein Profilierter wie Joachim Gauck Bundespräsident wird. Er steht glaubhaft und mit liberaler Grundhaltung für Freiheit und den demokratischen Rechtsstaat“. Der Koblenzer FDP-Bezirksvorsitzende Herbert Mertin bedauert, dass „man Frau Merkel zum Jagen tragen musste“. Aber die FDP „wollte nicht für den falschen Kandidaten mit dem Kopf durch die Wand“. Den Seitenhieb verkneift sich kaum ein Liberaler nach Merkels Fehlgriffen.

Wut in der Union gedämpft

Mertin geht als erfahrener Koalitionspolitiker davon aus, dass sich das interne Koalitionsverhältnis wieder einrenkt. Dieses Signal funkt auch der Vize der CDU/CSU-Bundestagsfraktion Michael Fuchs (Koblenz). Er ist „hochzufrieden“, dass sich fünf Fraktionen auf „den sehr geeigneten Kandidaten Gauck geeinigt haben“. Damit dämpft auch er eine gewisse Wut in der Union – ohne Neid, dass die FDP ihr Profil aufpoliert. Aber wohl auch mit dem Wissen, dass Merkel auch den Erfolg dieses Kandidaten als ihren Benefit ummünzen wird. Das hat die SPD bereits leidvoll in der Großen Koalition erfahren.

Ursula Samary