Analyse: Kurt Beck – Eine Instanz nimmt Abschied

Nach 18 Jahren gibt der Regierungschef sein Amt ab.
Nach 18 Jahren gibt der Regierungschef sein Amt ab. Foto: Jens Weber

In Berlins ältester Kneipe „Zur letzten Instanz“ hat sich viel Streit beim Bier erledigt. Sie suchte sich Kurt Beck, der so viel Ärger mit Juristen hatte, augenzwinkernd aus, als er als dienstältester Ministerpräsident seine Bundesrats-Kollegen(innen) zum Abschiedstrunk lud.

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Nicht nur Deftiges dürfte ihn im Kreis derer gefallen haben, die ihn als „wandelnden Vermittlungsausschuss“ schätzten. Sie würdigten ihn als „letzte Instanz“, die Streitigkeiten der Länder untereinander oder Zwist mit dem Bund geschickt und fair schlichtete – als einer der „Bellheims“, der es wie Mario Adorf in einem Fernseh-Mehrteiler den Jungen noch einmal zeigte. Beck kann heute auch über den Spruch auf der Wirtshaustür schmunzeln: „Hunde (auch falsche) bitte an die Leine nehmen.“

Ehre und Schmach in Berlin

Zuletzt verabschiedete die Länderkammer Beck mit langem Beifall – einer im ehrwürdigen Haus ungewöhnlichen Geste. SPD-Bundesvorsitzender Sigmar Gabriel ehrte ihn als einen „großen Sozialdemokraten“ – auch mit Seufzer: Hätte die SPD früher mehr auf ihn gehört, hätte sie heute weniger Probleme – bei der Rente mit 67 etwa. Aber: Auf Berliner Pflaster erlebte Beck auch falsche Hunde gleich „im Rudel“, bevor er im Herbst 2008 am Schwielowsee den Bundesvorsitz durch die Hintertür verließ.

In Mainz gibt Beck (63) sein Amt nun selbstbestimmt ab – mit der Würde: „Ich bleibe ich.“ Dazu gehört, wenn er Druck spürt, sein aufbrausendes Temperament. Das unterdrückte er vor den Kulissen lange, mit „ruhiger Hand“ (ein Slogan) regierend. Seit 1991 ging es zunächst auch für ihn nur nach oben. Ein „Halten Sie doch einfach mal das Maul“ – hätten deshalb ihm, dem Konzilianten, nicht viele Bürger zugetraut. Als „Buddha mit Zündschnur“ kannten ihn nur Genossen. Mit dem Rückzug wird aber allen auch bewusst: Von Becks Typus gibt es in der glatt geschliffenen Polit-Welt nicht mehr viele. Die Karriere ohne Abitur und Studium ist auch nur noch selten möglich. „Ich hoffe, ich bin kein Auslaufmodell“, meint Beck lächelnd und nicht ohne Stolz.

Becks Biografie – sie zeigt nicht nur in Berlin stets zwei Seiten einer Medaille – privat wie politisch. Aber, wer ist eigentlich Kurt Beck, der über gut 18 Jahre das Land regierte? Sein Mikrokosmos von Steinfeld nah der französischen Grenze prägte den Vollblutpolitiker, der aus der Gewerkschaftsarbeit gen Landtag zog. Steinfeld samt Becks Hausbau in Eigenleistung erklärt, warum der Mauersohn eine kategorische Rente mit 67 ablehnt, den Westwall als Mahnmal schützt oder seine Bildungspolitik so und nicht anders will: Nachkommen sollen es besser haben als er, der die Mittlere Reife an der Abendschule machen musste. Sein Credo: Kindergarten und Studium gratis, egal was es kostet und welche Schulden die junge Generation später bezahlen muss. Lange galt er auch als Chef, der in der Machtzentrale sparsam das Licht ausknipst. Aber er wurde auch als Chef bekannt, der Millionen in Projekte pumpt – und nicht nur in kluge.

Dass sich der Elektromechaniker ganz nach oben schrauben würde, glaubten anfangs nicht einmal alle Genossen. Als der Machtwechsel-Macher Rudolf Scharping 1993 den Fraktionschef zum Chef der Landes-SPD und 1994 zum Ministerpräsidenten erklärte, fragten sich im Norden viele SPDler: „Kann der das?“ Beck ward damals allenfalls in Scharpings Schatten wahrgenommen. Zum Start verschaffte sich Beck aber Respekt – trotz lauter (auch schnell verstummender) Proteste. Er trennte sich von Risikofaktoren in einem verkleinerten Kabinett, in denen Frauen wie Winzer eigene Ministerien verloren und der Einfluss von Superminister Rainer Brüderle (FDP) wuchs. 1996 musste Beck noch zittern. Der SPD-Sieg von 1991 stand wieder auf der Kippe. Sein Ass: Die FDP machte keine schnelle Rolle rückwärts zur CDU, pokerte lieber sozialliberal. Die Folge: Die CDU zerstritt sich munter weiter.

Diese Chance nutzte Beck – mit dem Image „Nah' bei de Leut'“ zu sein, samt Bürgerbüro in der Staatskanzlei. Beck, der Kümmerer – das war sein Erfolgsrezept. Er machte sich als Ministerpräsident bekannt, der gefühlt jedem Rheinland-Pfälzer mindestens schon einmal die Hand geschüttelt hat, der Garderobenfrau wie dem Gastgeber. An Ovalen Tischen (ob mit Tarifpartnern oder Kirchen), bei Volksfesten, Betriebsräten oder als Lehrstellenlotse schuf er sich ein solches Netzwerk wie es einst nur Altkanzler Helmut Kohl hatte. Und: Er regierte geräuschlos. Strittiges mit der FDP klärte sich beim deftigen Frühstück vor großen Kabinettsrunden. Der Pfälzer wurde im strukturkonservativen Land immer beliebter, zumal die Konversion gut anlief. Das gab bei der Wahl 2001 Auftrieb. 2005 war zu erleben, wie auch CDU-Bürgermeister den Spitzen-Sozi umwarben – nicht nur rund ums WM-Stadion in Kaiserslautern. Auf dem Betze ist Beck seit Kindertagen daheim – und da zeigte sich erstmals deutlich, wie spendabel „König Kurt“ bei Prestigeprojekten auch sein kann. Seinen Triumph verhinderte dies 2006 nicht – die absolute Mehrheit mit 45,6 Prozent. Nur merkwürdig: Nicht jeder Spitzengenosse strahlte an diesem Sonntag im März siegestrunken. Einige spekulierten, man könne doch trotzdem weiter mit der FDP regieren. Ahnten sie, dass der Gipfel Beck mehr Wunden als Glück verheißen könnte?

Das ungute Gefühl sollte nicht trügen, obwohl die Erfolgswelle Beck 2006 bis zur Spitze der Bundes-SPD trug. Doch da hatte er kaum Vertraute, aber viele Intriganten um sich. Und: Er bot Angriffsflächen, nicht nur, als er seine Strategie mit den Linken ausplauderte. So endete diese Karriere am Schwielowsee jäh ob mit Putsch oder Intrige. Jedenfalls flüchtete sich Beck tief verletzt nach Mainz, wo ihn die ihm so viel (auch Karrieren) verdankenden Genossen feierten. Aber: Die Landespolitik, bis 2006 skandalfrei, war eine andere geworden. Beck hatte sein inneres Frühwarnsystem und sein Korrektiv mit der absoluten Mehrheit verloren: Sein Finanz-Guru Ingolf Deubel brachte die Super-Baustelle am Nürburgring auf Schleuderkurs. Seinen Justizminister Heinz-Georg Bamberger, der rechtswidrige Personalpolitik am Oberlandesgericht Koblenz betrieb, bremste er nicht.

Der Verlust von Mainz

Die bittere Quittung: Die SPD sackte 2011 auf 35,7 Prozent ab, muss mit Grünen (15,4 Prozent) regieren. Beck wurde immer dünnhäutiger, unberechenbarer. Als er lieber das Oberlandesgericht Koblenz auflösen wollte als einen ihm nicht genehmen Kandidaten zu akzeptieren, verstanden ihn zunehmend auch Genossen nicht mehr, die Widerstand organisierten. Bundesweit schlug Beck wieder Häme entgegen – über den „Aufstand in König Kurts Reich“. Den besänftigte er noch. Aber der Ring blieb ein Menetekel. Dies konnte er nicht mehr ändern. Die Gesundheit, so sagt er, spielt nicht mehr mit.

„Hast Du schon Kurt gefragt?“, hieß es in der Fraktion, wenn einer Probleme hatte. Nun geht der Bellheim der SPD – nach seiner Methode, überraschend. Aber mit Malu Dreyer als Wunschnachfolgerin hat er noch alles geregelt. Nicht wenige Genossen wünschen ihm, dass er als Chef der Ebert-Stiftung wichtiger Ratgeber für Jüngere bleibt. Aus guten und schlechten Erfahrungen lässt sich (mit ehrlicher Selbsterkenntnis) reichlich schöpfen. Nach überparteilichem Lob in der „Letzten Instanz“ sieht man ihn auch schon als Tarifschlichter vor sich – ergraut, noch gut vernetzt, notfalls laut auf den Tisch hauend. Ganz leer dürfte Becks Kalender so schnell sicher nicht werden. Ursula Samary