Koblenz

Leiharbeiter als billige Amazon-Massenware? Koblenzer Zeitarbeitsfirma klagt an – Ein Blick in die Verträge

Umstrittenes Milliardenprojekt am Fließband: Amazon – hier ein Blick auf die Förderbänder im Logistikzentrum Koblenz – erreicht gewaltige Umsätze, diktiert aber offenbar extrem harte Vertragsbedingungen.
Umstrittenes Milliardenprojekt am Fließband: Amazon – hier ein Blick auf die Förderbänder im Logistikzentrum Koblenz – erreicht gewaltige Umsätze, diktiert aber offenbar extrem harte Vertragsbedingungen. Foto: Denise Remmele

Die Debatte über den Einsatz von Leiharbeitern bei Amazon hat sich in den vergangenen Tagen verlagert. Es ging plötzlich nicht mehr darum, dass Amazon ein System der Ausbeutung praktiziert, wie Recherchen der ARD nahegelegt hatten. Amazon lehnte gleich jegliche Verantwortung ab und trennte sich von Partnern, die in der Kritik stehen. Das strategische Ziel des US-Konzerns war klar: Schuldverlagerung. Es hat offenbar funktioniert.

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Bis in den Bundestag hinein hat die Ausstrahlung der ARD-Dokumentation Wirkung gezeigt, und je länger die Diskussion dauert, desto cleverer verhält sich der US-Konzern. Zunächst servierte Amazon einen umstrittenen Sicherheitsdienst ab, dann rückte vor allem ein Personaldienstleister in den Mittelpunkt der Kritik, weil er offenbar nicht tolerierbare Bedingungen zugelassen hatte. Amazon gab eine Pressemitteilung heraus, in der die Aufkündigung der Zusammenarbeit mit den Unternehmen erklärt wurde.So etwas nennt sich „mit hartem Besen auskehren“.

Rund um Koblenz scheint dieses Bemühen des US-Giganten um eine weiße Weste offensichtlich sehr wohlwollend aufgenommen worden zu sein. Die maßgeblichen politischen Kräfte mühten sich im Gespräch mit unserer Zeitung zuletzt offensiv darum, das positive Miteinander zwischen dem Online-Handelskonzern und der Region herauszustreichen. „Ich sehe die Amazon-Ansiedlung sehr positiv und weiter sehr positiv“, erklärte der Landrat des Kreises Mayen- Koblenz, Alexander Saftig. Oberbürgermeister Joachim Hofmann- Göttig ergänzte: „Amazon hat alle seine Aussagen erfüllt und übererfüllt.“ Frank Schmidt, Geschäftsführer Operativ der Arbeitsagentur Koblenz-Mayen, sagte, dass es in Koblenz keine Anzeichen für Missstände gibt.

Auch Sozialminister Alexander Schweitzer (SPD) zeigte sich zufrieden. In Bezug auf die festen Mitarbeiter gibt es bei Amazon Koblenz wohl keine Klagen.

Ute Siry hat Amazon anders erlebt. Der Geschäftsführerin der Koblenzer Zeitarbeitsfirma „IMUS GmbH“ lag im vergangenen Jahr ein unterschriftsreifer Rahmenvertragsentwurf von Amazon vor, nachdem das Koblenzer Logistikzentrum bei ihr Personal angefragt hatte. Amazons Ruf in der Region war infolge der Neuansiedlung des Konzerns mit zu erwartenden 3000 Arbeitsplätzen gut, die örtliche Politik begeistert. Der „Rahmenvertrag zur Arbeitsüberlassung“, der unserer Zeitung vorliegt, wirft aber ein weniger erfreuliches Licht auf Amazon. „Es ist ein unmoralisches Vertragsangebot“, sagt Siry, „einige Klauseln widersprechen geltendem Recht. So einen Vertrag habe ich noch nie gesehen.“

Seit mehr als 20 Jahren überlässt die Koblenzerin bei Imus fest angestellte Mitarbeiter an andere Betriebe. „So etwas kann man auf gar keinen Fall unterschreiben“, sagt Siry mit Blick auf das 17 Seiten umfassende Papier. „Jeder, der rechnen kann, dürfte erkennen, dass auf Grundlage dieses Rahmenvertrages – unabhängig von den ethischen Gesichtspunkten – kein Geschäft zu machen ist, sondern dass man sogar noch Geld mitbringen muss.“ Es heißt, dass andere Zeitarbeitsfirmen aus der Region – laut Schätzung der Bundesagentur für Arbeit gibt es zwischen 40 und 50 Zeitarbeitsfirmen – Verträge mit Amazon unterschrieben haben.

Ob geltende Verträge mit Zeitarbeitsfirmen dem vorliegenden Entwurf entsprechen, ist offen. Es ist aber davon auszugehen, dass die Verträge ähnlich lautend sind. Der Entwurf, der Imus vorgelegt wurde, ist ganz offensichtlich ein Mustervertrag für die in Deutschland angesiedelten Logistikzentren – er übt extremen Druck sowohl direkt auf den Leiharbeiter als auch auf das vermittelnde Zeitarbeitsunternehmen aus. Als Siry bei Amazon nachhaken ließ und Änderungen des Vertragsentwurfes anfragte, erhielt sie keine Reaktion. Die Vermutung liegt nahe: Wer solche Kontrakte nicht unterschreibt, unterschreibt bei Amazon gar nicht.

Die Vorwürfe, die Siry stellvertretend an Amazon richtet, sind vielfältig: „Amazon schiebt jedes Risiko von sich weg und sichert sich gleichzeitig alle Rechte.“ So lehnt der Onlinehändler unter anderem jegliche Haftung ab, kürzt Sonn- und Feiertagszuschläge deutlich und behält sich das Recht vor, einen entliehenen Mitarbeiter an den Entleiher zurückzugeben, wenn er „dessen Weiterbeschäftigung aus leistungs-, personen- oder verhaltensbedingten Gründen ablehnt“. Siry sieht darin Willkür.

Selbst für arbeitsrechtliche Laien stellen sich im Vertrag Ungereimtheiten dar, die nicht für faire Bedingungen sprechen. So heißt es in Bezug auf die Laufzeiten: „Die Kündigung des Rahmenvertrages hat keine Auswirkung auf die zum Zeitpunkt der Kündigung (...) bestehenden Überlassungen.“ Dies bedeutet, dass Amazon einer Zeitarbeitsfirma kündigen, aber deren Mitarbeiter behalten kann. „Wie soll das rechtlich gehen, wenn diese Mitarbeiter bei uns fest angestellt sind?“, fragt Siry.

Darüber hinaus kann Amazon entliehene Mitarbeiter wohl beliebig weiterverleihen. Diesen Schluss legt zumindest ein interner E-Mail- Verkehr nahe, der unserer Zeitung vorliegt. Darin heißt es: „Normalerweise sind die Vertragsparteien ja klar definiert und nur zwischen ihnen findet der Austausch statt. Wenn nun aber Amazon A sagt, dass Amazon B auch gerne Leistungen nach dem Vertrag haben soll/will, dann kann man diese Forderung an Amazon B abtreten, ohne mit dem Verleiher einen neuen Vertrag schließen zu müssen.“

In der Debatte über Amazon sind die Zeitarbeitsfirmen zuletzt in Misskredit geraten. Dies mag im Einzelfall zu Recht geschehen sein. Aber die Frage lautet, wer im Markt die Regeln bestimmt. Es ist derjenige, der zahlt: Kunden, die bei Amazon bestellen – und ein Konzern, der Verträge aufsetzt, die von potenziellen Partnern als Daumenschrauben empfunden werde.

Von unserem Redakteur Volker Boch