Berlin

Im Netz tobt der blanke Hass

Vulgär, rassistisch, beleidigend: Was derzeit in den Kommentarspalten der sozialen Medien zu lesen ist, hat eine Debatte ausgelöst. Justizminister Heiko Maas (SPD) will etwa Facebook dazu bringen, volksverhetzende Äußerungen konsequent zu löschen und ihre Absender strafrechtlich zu verfolgen. Doch der Internetriese ist dazu nur bedingt bereit. Bei einigen Nutzern im Netz sind offenbar jegliche Hemmschwellen gefallen.
Vulgär, rassistisch, beleidigend: Was derzeit in den Kommentarspalten der sozialen Medien zu lesen ist, hat eine Debatte ausgelöst. Justizminister Heiko Maas (SPD) will etwa Facebook dazu bringen, volksverhetzende Äußerungen konsequent zu löschen und ihre Absender strafrechtlich zu verfolgen. Doch der Internetriese ist dazu nur bedingt bereit. Bei einigen Nutzern im Netz sind offenbar jegliche Hemmschwellen gefallen. Foto: Weber/Wolf

Wer sich durch die Kommentarspalten der sozialen Medien klickt, dem schlägt teils blanker Hass entgegen. In Fäkalsprache werden Flüchtlinge und ihre Helfer beschimpft, Politiker und Prominente zur Zielscheibe verbaler Hasstiraden, die keine Grenzen kennen. Bürger, die sich offen mit Namen zu erkennen geben, drohen ihnen Gewalt, Krankheit und noch Schlimmeres an. Nur, weil sie anderer Meinung sind. Die Verrohung der Sitten im Netz ist allerdings gar kein neues Phänomen. Experten beobachten seit Jahren Hemmungslosigkeit im Internet.

Lesezeit: 3 Minuten
Anzeige

Von unserer Berliner Korrespondentin Rena Lehmann

Seit der Flüchtlingskrise hat es nur besonders häufig Prominente getroffen, die die Attacken dann öffentlich gemacht haben. Jüngstes Beispiel ist Grünen-Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt. Nachdem sich auf ihrer Facebook-Seite beleidigende Kommentare häuften, entschied sie sich dazu, Auszüge daraus vorzulesen und in einem YouTube-Video zu veröffentlichen, um den Hass im Netz anzuprangern. Sogleich ging ein neuer sogenannter Shitstorm, wie man den Sturm der Entrüstung im Netz nennt, über ihre Facebook-Seite nieder. Unterstützung für ihre Aktion gab es allerdings auch.

Es gibt keine Tabus mehr

Sprachlich gibt es für viele offenbar keine Tabus und keine Grenzen mehr, Rechtschreibung findet nur noch gelegentlich Beachtung in den Zuschriften. Das Niveau befindet sich dabei ohnehin im freien Fall. „Katrin Göring Eckard gehen Sie sich bitte erhängen!!“, schreibt Martin G., seinem Facebook-Profil nach ein junger Mann, der ansonsten offenbar Fußball mag und gern am Meer ist.

Marlen Z. stellt fest: „Einfach mal das Politiker hirn einschalten bevor wieder nur kotze raus kommt.“ Matthias R. befindet: „Salat macht anscheinend dämlich – Die Tusse ist genauso übrig wie E10 Benzin.“ Uwe P. stellt schließlich in der Kommentarspalte fest: „Erschreckend wie hemmungslos die ‚sozialen‘ Medien machen. Von Respekt und Kinderstube ist hier anscheinend nichts übrig geblieben.“

Für einen öffentlichen Aufschrei im Netz hat vor Kurzem vor allem ein Facebook-Eintrag von „Berlin wehrt sich“ gesorgt, der zu dem Foto des toten syrischen Flüchtlingsjungen am Strand kommentierte: „Wir trauern nicht, sondern wir feiern es.“ In diesem Fall wurde Strafanzeige gegen den Mann gestellt.

Doch die meisten solcher Posts bleiben ohne Konsequenzen. Nach dem Besuch Sigmar Gabriels im Flüchtlingslager in Heidenau, wo er rechte Randalierer gegen das Flüchtlingsheim als „Pack“ bezeichnet hatte, prasselte ein veritabler Sturm von Droh- und Protestmails auf die Berliner SPD-Zentrale nieder. Selbst von Schauspieler Til Schweiger zeigten sich viele seiner Fans bitter enttäuscht, als er auf seiner Facebook-Seite um Unterstützung für den Bau eines Flüchtlingsheims warb. Auch er wurde mit menschenverachtenden Bezeichnungen beschimpft. Til Schweiger holzt dann gern in ähnlicher Härte zurück. Doch das heizt die wütende Meinungsflut im Netz eher nur weiter an.

Ein Leben in der Filterblase

Der Experte für Onlinekommunikation an der Universität Hohenheim, Wolfgang Schweiger, hält all das allerdings nicht für eine neue Entwicklung. „Es ist kein ganz neues Phänomen. Man konnte ähnliche Äußerungen auch schon vor einem Jahr in den Foren der Pegida-Gruppen finden“, sagt er. Grundsätzlich ist die Äußerung drastischer Standpunkte auch kein Ereignis, das erst mit dem Zugang zum Internet gehäuft vorkommt. „Wenn der Mensch sich in einem nichtöffentlichen Raum wähnt, hat er weniger Hemmungen, mal einen heftigen Spruch zu wagen. Da entsteht eine Dynamik.“ Was früher noch dem Stammtisch vorbehalten war, hat sich laut Schweiger heute einfach ins Netz verlagert. Vielen sei dabei gar nicht klar, wer ihre Äußerungen dort alles lesen kann. Das Internet hat aus Sicht des Experten allerdings durchaus auch ein neues Milieu hervorgebracht. „Es gibt eine Minderheit, die sich nicht mehr über klassische Medien informiert, sondern ausschließlich über soziale Medien“, beobachtet Schweiger. Diese Menschen erhielten „kein vollständiges Nachrichtenbild mehr“. Was sie sich für ein Bild von der Welt machen, hängt dann allein davon ab, mit wem sie im Netz befreundet sind, wessen Kommentare sie lesen. „Sie erhalten nur noch Nachrichten, die ihrer Meinung entsprechen. Sie leben in einer Filterblase“, meint Schweiger.

„Rede und Gegenrede allein funktioniert im Netz nicht mehr“

Auch solche Entwicklungen gab es zu Vorinternetzeiten bereits, sie werden aber durch die Möglichkeiten der sozialen Medien verstärkt. Für die klassischen Medien sind die Menschen dann oft nicht mehr erreichbar. Sie wähnen sich in der Mehrheit, diffamieren Journalisten als „Lügenpresse“. Sie nehmen nicht mehr wahr, dass sie eigentlich einer überschaubaren Gruppe angehören. Um sie herum gibt es nur noch Menschen, die genauso denken wie sie, so erscheint es ihnen. Schweiger hält es für wichtig, nicht den Kontakt zu den Hassbriefschreibern zu verlieren. Wo noch möglich, sollten Politiker versuchen, im Gespräch zu bleiben, meint er. Was man ansonsten tun kann? Der Experte hält strafrechtliche Konsequenzen bei volksverhetzenden und rassistischen Äußerungen im Netz für dringend notwendig. Er hat die Hoffnung, dass Facebook und andere soziale Medien unter dem öffentlichen Druck nun endlich handeln. „Nur so wird sich etwas ändern. Das demokratische Prinzip von Rede und Gegenrede allein funktioniert im Netz nicht mehr“, ist er überzeugt.