Berlin

Datenschutz: Deutsche stecken Kopf in den Sand

So verwirrend wie dieser Kabelsalat sind für viele die technischen Möglichkeiten, ihre Daten im Internet zu schützen. Datenschutzbestimmungen werden meist ungelesen bestätigt. Gute Gesetze könnten helfen. Foto: dpa
So verwirrend wie dieser Kabelsalat sind für viele die technischen Möglichkeiten, ihre Daten im Internet zu schützen. Datenschutzbestimmungen werden meist ungelesen bestätigt. Gute Gesetze könnten helfen. Foto: dpa

Fast jeder Dritte sieht Datenbetrug im Internet als großes persönliches Risiko. Doch nur jeder Zweite liest die Datenschutzbestimmungen von Onlineshops „ab und zu“ oder „in der Regel“. Das geht aus einer Studie des Instituts für Demoskopie Allensbach hervor.

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Von unserem Redakteur Jochen Magnus

„Gleich haben wir's“, beruhigt die freundliche Buchhändlerin den Kunden an der Kasse. „Wenn Sie bitte noch unsere Datenschutzerklärung unterschreiben würden – Sie wissen schon: neue EU-Bestimmung!“ Der Buchkäufer stutzt, den Reiseführer für achtfünfzig hatte er im Schaufenster gesehen und wollte ihn rasch im Vorübergehen kaufen. Jetzt wurde eine große Aktion daraus. „Wenn Sie unseren Primaservice wählen, erhalten Sie automatisch die nächste, verbesserte Auflage des Buches zum halben Preis frei Haus – einfach hier ankreuzen. Aber bitte vorher durchlesen. Ach ja, und bitte unterschreiben Sie noch die Genehmigung, dass wir Ihnen Infopost zusenden dürfen, die erklärt, wie Sie unerwünschte Infopostsendungen vermeiden können.“ Die Schlange an der Kasse wird länger. „Da kaufe ich mein Buch doch lieber im Internet!“, schimpfen die ersten Kunden.

Viele sorgen sich um ihre Daten

Das ist natürlich eine herbeifantasierte, verkehrte Welt. Solche Verrücktheiten würde man sich im Laden nicht bieten lassen. Aber im Internet wird man oft damit konfrontiert. Das macht manchen mürbe, und er oder sie kapituliert vor dauernden Rückfragen und dem Kleingedruckten. Das ergibt sich auch aus dem „Sicherheitsreport 2014“, den das Institut für Demoskopie Allensbach im Auftrag der Deutschen Telekom erstellt hat: Immer mehr Bundesbürger sorgen sich um den Schutz und die Sicherheit ihrer Daten, aber kaum einer tut etwas dafür. Demnach sieht fast jeder Dritte Datenbetrug im Internet als großes persönliches Risiko. Fast alle glauben, dass die meisten Unternehmen persönliche Daten an andere Firmen weitergeben, was immerhin jedem Dritten große Sorgen bereitet. Dennoch liest nur jeder Zweite die Datenschutzbestimmungen von Onlineshops „ab und zu“ oder „in der Regel“, die Übrigen nur selten oder gar nicht.

Foto: Allensbach Institut

Als Hauptgrund gaben die Befragten an, die Bestimmungen seien zu ausführlich und daher zu mühsam zu lesen. Gut ein Drittel vertraut auf ausreichende gesetzliche Regelungen zum Datenschutz. Auch mit dem Schutz vor Cyberattacken nehmen es Deutsche laut einer Umfrage nicht so genau – vor allem Ältere sind nachlässig: Ein Drittel der über 60-Jährigen verzichten ganz auf digitale Schutzmaßnahmen. „Digitale Schizophrenie in Deutschland“ überschreibt die Telekom ihren Report: Viele haben Angst vor den Gefahren aus dem Netz, aber wenige unternehmen etwas dagegen.

Hirnforscher attestiert Deutschen eine Angstbockade

Das Unternehmen bemüht sogar einen Hirnforscher: Dieser Widerspruch zwischen Angst einerseits und Unvorsichtigkeit andererseits sei auch damit zu erklären, dass die technische Komplexität des Internets einfach zu groß sei, als dass man das Gefühl habe, etwas gegen die Gefahren ausrichten zu können, meint Professor Christian Elger. Diese Überforderung führe wiederum zur einer Verdrängung der Gefahren. Wir Deutschen, so der Professor, seien besonders ängstlich.

Die Telekom fordert daher verständliche Datenschutzregelungen mit europaweiter Geltung. Tatsächlich muss man dem Unternehmen das Kompliment machen, verständliche und recht knappe Datenschutzhinweise zu geben. Anders sieht es im Handel aus: Die Datenschutzerklärung von Amazon passt nicht auf eine eng bedruckte Seite unserer Zeitung – wir haben das ausprobiert! Ähnliches gilt für die Verkaufsplattform eBay. Das heißt nicht, dass auf diesen Erklärungen nur dummes und verwirrendes Zeug stünde, im Gegenteil, sie sind sorgfältig formuliert und mit einiger Konzentration auch zu verstehen. Aber wer möchte all das lesen, nur um ein Buch zu kaufen?

Noch komplizierter wird es, wenn man seine Daten aktiv schützen will. Eine empfindliche Stelle beim Surfen im Netz sind die Cookies, die kleinen Datenplätzchen, die der Browser ablegt. Manche davon sind unverzichtbar, zum Beispiel um Artikel in einen Warenkorb zu legen oder sich auf einer Seite anzumelden. Andere dagegen speichern das Nutzerverhalten: Wann war er das letzte Mal hier, was hat er sich angesehen – und wie lange?

Kritisch wird es, wenn nicht nur die aufgerufenen, sondern auch andere Internetserver Datenplätzchen an den Browser verfüttern dürfen. Dann lässt sich das Surfverhalten sogar über die Grenzen eines Angebots hinaus auswerten. Moderne Browser vermögen per Mausklick die Annahme von Cookies „von Dritten oder Werbeanbietern“ zu unterbinden. Eine empfehlenswerte Einstellung, die den Werbeanbietern aber überhaupt nicht gefällt. Sie bieten daher eine internationale Plattform, an der man sich von Datensammlern der Werbeindustrie abmelden kann („opt-out“). Verwirrend für den Laien, denn dafür muss man uneingeschränkt sämtliche Cookies akzeptieren – also keine empfehlenswerte Option.

Foto: Allensbach Institut

Gute Gesetze könnten helfen

Nicht nur Cookies können den Nutzer ausspionieren, auch unsichtbar eingebaute kleine Grafiken, Web Beacons genannt, lassen sich dazu missbrauchen. Wie die Cookies haben sie eine gute und eine schlechte Seite: Man benötigt sie, um Statistiken über Reichweite und Abrufzahlen zu erstellen. Aber in Verbindung mit weiteren Techniken lassen sich damit Fußabdrücke des Anwenders im Netz setzen und auswerten. Auch hier bieten moderne Browser Abhilfe: die Einstellung „do not track“, etwa: „verfolge mich nicht“. Technisch ist dieses System ausgereift, nun sind die Gesetzgeber gefordert, daraus internationales Recht zu machen.

Gute Gesetze sind auch ein wirksames Medikament gegen die „digitale Schizophrenie“. Nach zähen Verhandlungen zeichnet sich in Europa langsam eine Einigung ab: Die Datenschutz-Grundverordnung könnte in zwei oder drei Jahren in Kraft treten und verschärft dann die Regeln, bietet Konzernen aber auch Erleichterungen. Die Bußen bei Verstößen werden drastisch: 100 Millionen Euro oder 5 Prozent des weltweiten Jahresumsatzes des bestraften Unternehmens drohen. Man kann sicher sein: Einfacher wird das neue, europäische Recht nicht werden. Aber der „Datenschutzstress“ wird sich ein Stück von den Anwendern weg zu den Unternehmen verlagern. Wem es dann immer noch zu anstrengend im Netz ist: Die Ladentüren in der „realen“ Welt stehen weiterhin offen!