Duisburg

Blogger triumphiert wegen Empörung über Satire zur Love-Parade

Sind Internet-Nutzer beim Surfen nach Informationen zu einem Unglück nichts anderes als Gaffer an einer Unfallstelle? Blogger Keyser Söze steht auf dem Standpunkt – und rechtfertigt so einen Beitrag, der für manche Leser ein Skandal war. Söze hat auf obszöne Weise die Loveparade-Kastastrophe aufgegriffen. Die Empörung war groß, der Triumpf von Autor Söze und einigen Gleichgesinnte trotz Schließung der Seite auch: „Wunderbar getrollt“, wurde ihm etwa auf einer anderen Satire-Seite bescheinigt.

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Duisburg. Sind Internet-Nutzer beim Surfen nach Informationen zu einem Unglück nichts anderes als Gaffer an einer Unfallstelle? Blogger Keyser Söze steht auf dem Standpunkt – und rechtfertigt so einen Beitrag, der für manche Leser ein Skandal war. Söze hat auf obszöne Weise die Loveparade-Kastastrophe aufgegriffen. Die Empörung war groß, der Triumph von Autor Söze und einigen Gleichgesinnte trotz Schließung der Seite auch: „Wunderbar getrollt“, wurde ihm etwa auf einer anderen Satire-Seite bescheinigt.

Die Glückwünsche gelten einem Text im Blog „Elternhilfe online“: Unter anderem stand dort unter einem Foto aufgebahrter Toter, Motiv für die Genehmigung der Loveparade könnte „sexuelle Befriedigung am Tode junger (vielleicht sogar noch heilbarer) Homosexueller“ sein. Der Plan, damit einen Proteststurm auszulösen, ging voll auf. Keyser Söze ist zufrieden und sieht sich bestätigt, weil Hunderte Menschen in Kommentaren, auf anderen Blogs und in Tweets ihre Abscheu bekundeten und einige sogar Morddrohungen ausstießen. Eine geistige Elite heller Köpfe hat die tumbe sensationsgeile Masse vorgeführt – so sehen es offenbar der Macher und sein Umfeld. In der Logik ist es dann nur eine Bestätigung, wenn andere den Beitrag als schlicht dumm bezeichnen.
Die provozierende Logik: Wer kein Angehöriger ist, ist ein Heuchler, der letztendlich nur vorspielt oder „irrtümlich annimmt“, wirkliche Trauer zu empfinden – diese Surfer sind nicht besser als die Gaffer bei einem Unfall. Und diese Gruppe werde persifliert, erklärt Keyer Söze per Mail unserer Zeitung. Diesen Mailwechsel hat er auf seinem Blog „Antimensch“ veröffentlicht.

„Drastisch überzogene Satire“ nennt er die Seite, die mit vermeintlich religiösem Anstrich vom „berüchtigten Homosexuellentreffen“ schrieb, „welches als eine der Veranstaltungen gilt, auf der HIV und Aids am weitesten verbreitet sind“. Die Seite wendet sich nach seiner Lesart hauptsächlich an diejenigen, „die mehr als nur einmal über Gelesenes und Gesehenes nachdenken und dadurch fähig sind, hinter Fassaden aus Satire, Sarkasmus, aber halt auch auf der anderen Seite Sensationslust, Gier nach fremden Leid und Heuchelei zu blicken“. Und die belustigten sich dann auch über die Reaktionen, die darin einen Skandal sahen.

Söze – das Pseudonym ist der Name eines Gangsterbosses im Film „Die üblichen Verdächtigen“ findet es „amüsant, dass EINIGE Personen es ernst nehmen und sich darüber empören“. Es gab aber auch bei Twitter vereinzelte Stimmen, die sich etwa freuten: „Der Eva-Herman-Gedächtnismob entlädt sich in einem Satireblog. Besser als YouTube-Kommentare! “ und es schlimm fanden, „dass selbst die fünf Prozent nach Verbot und Sperrung rufen, die es als Satire identifizieren“.

Titanic-Chefredakteur Leo Fischer findet es „grundsätzlich sehr in Ordnung, auch über solche Ereignisse Witze zu machen. Aber so direkt im zeitlichen Abstand geht es in die Hose und wird nicht verstanden“. Wie ein Pawlowscher Reflex werde das nur so aufgefasst, dass über Tote Hohn und Spott ausgegossen wird – „das ist meine Erfahrung“. Und die gründet sich unter anderem auf eine Rüge durch den Presserat wegen Karrikaturen nach dem Tod von Robert Enke. Sözes Text sei eine entstellende, ins Groteske übersteigernde Reaktion auf die Herman-Äußerungen, so Fischer.

Söze will derzeit – aus Sorge nach den Drohungen – nicht viel über seine Person sagen. Die Ereignisse in Duisburg seien selbstverständlich fürchterlich. „Aber ich werde mich niemals verleiten lassen, öffentlich Trauer zu heucheln für Menschen, die ich nicht kannte.“

Auch in gemäßigteren Kommentaren wird er „krank“ genannt, deutliche Kraftausdrücke fallen. Als wollte er sich von denen noch mehr absetzen, schreibt Söze in ausgesprochen gewähltem – manche würden sagen, gestelztem – Deutsch: „Ich besitze ein durchaus ausgeprägtes Gefühl von Pietät und Anstand, auch wenn man dies aus den bemängelten Artikeln nicht zwangsläufig extrapolieren kann.“ In persönlichen Gesprächen mit Hinterbliebenen würde er niemals derlei Inhalt von sich geben. Und ihm sei im Vorfeld „natürlich“ klar gewesen, dass sich entweder gar kein Hinterbliebener auf diese Seite verirren würde oder aber nach Durchsicht der ersten Absätze kommentarlos die Seite wieder verlässt.

So werden es auch viele gemacht haben, die keine Angehörigen sind und vielleicht auch etwa die bewegenden Schilderungen der 22-jährigen Julia P. in deren Blog gelesen hatten. Andere schenkten seinem Blogbeitrag mehr Aufmerksamkeit – bis zu Strafanzeigen. Sorgen macht sich Söze deshalb nicht: Volksverhetzung sei sicherlich nicht gegeben, „da zu keiner Zeit eine echte Intention zu irgendeiner Art der Hetze vorlag – und einen Absatz über Fahrlässigkeit – sodass sich also Leute dadurch aufgehetzt “fühlen„ – gibt es nicht.“

Einen Verlust hatten dann aber auch die Freunde der brutalstmöglichen Satire zu beklagen: Wordpress machte die Seite nach wenigen Stunden dicht, „um Zucker in den Arsch des heulenden Betroffenheitsklientels zu blasen“, wie es im Abgesang auf dem Blog Klabusterbeere hieß. Söze kann aber, was die Eltern der Opfer von Duisburg nicht können: Er will sein Kind zu neuem Leben erwecken und hat alle Beiträge gesichert.

Lars Wienand

Der Original-Text des „Elternhilfe online“-Beitrags ist auf einem anderen Blog noch nachzulesen, der Mailwechsel von Keyser Söze mit unserer Zeitung auf seinem Blog und die Glückwünsche „wunderbar getrollt“ finden sich auf der Seite Fettemama.org.