Seattle

„Amazon Key“: Wenn der Postmann nicht mehr klingelt

Den „Dashbutton“ vom Amazon gibt es schon seit einiger Zeit. Einfach drücken und die Ware (Kaffeepads, Waschmittel, usw.) kommt ins Haus.
Den „Dashbutton“ vom Amazon gibt es schon seit einiger Zeit. Einfach drücken und die Ware (Kaffeepads, Waschmittel, usw.) kommt ins Haus. Foto: dpa

Jeder kennt das: Ein Paket wird geliefert, wenn man nicht zuhause ist, es landet beim Nachbarn oder muss in einer Filiale abgeholt werden. Amazon probiert in den USA eine radikale Idee für die Lösung des Problems aus.

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Der Bote des Onlinehändlers soll es einfach die mit einem digitalen Schloss versehene Haustür öffnen und die Waren reinstellen. Dass dabei alles mit rechten Dingen zugeht, soll eine vernetzte Kamera sicherstellen, die die Haustür beobachtet. Der Konzern verkauft in den USA das Paket aus Kamera und einem kompatiblen Schloss der Marken Kwikset und Yale seit Mittwoch für 250 Dollar. Es ist zunächst nur für Kunden von Amazons Abodienst Prime verfügbar.

Der Amazonbote kann dabei die Tür direkt mit seinem Paketscanner aufschließen. Um die Bewohner, die eventuell doch zu Hause sein könnten, nicht zu überraschen, klopfe er vorher an, betont Amazon. Erst dann werde auch die Kamera von Amazon aktiviert. Der Kunde werde zudem per Smartphone-Benachrichtigungen über das Eintreffen des Kuriers und den Abschluss der Zustellung informiert. Eines der Probleme des Konzepts ist, dass das System bisher nicht mit Alarmanlagen kommuniziert – diese müssten also an dem Tag komplett ausgeschaltet bleiben. Auch wenn Haustiere die Tür frei erreichen können, rät Amazon von der Nutzung des neuen Angebots ab.

Mit dem Wachstum des Onlinehandels wird derzeit insgesamt viel mit innovativen Zustellideen experimentiert. Diese reichen von Paketboxen an der Haustür bis hin zur Lieferung in den elektronisch verriegelten Kofferraum des Kunden, für den der Zusteller einen Einmal-Code bekommt.

Amazon will in Zukunft das Angebot ausweiten und Nutzern die Möglichkeit geben, über „Amazon Key“ zum Beispiel etwa auch erwartete Handwerker oder andere Dienstleister wie etwa Putzhilfen reinzulassen. Amazon verfügt in den USA über eine eigene Plattform zur Vermittlung solcher Dienste.

Amazon will zudem beim Sprachassistenten Alexa bald auch Funktionen gegen Geld anbieten. Wie „TechCrunch“ berichtet, ist ein erster dieser Skills bereits verfügbar. Gegen eine Gebühr von 1,99 US-Dollar (rund 1,70 Euro) können Nutzer mit ihren vernetzten Lautsprechern schon jetzt per Sprachkommando das Ratespiel „Jeopardy“ spielen. dpa

Kommentar: Wir konsumieren uns zum Kind zurück

Ich komme nach Hause: Das Paket von Amazon ist geliefert worden! Es liegt gleich hinter der Wohnungstür. Als der Bote klingelte, war ich nicht anwesend, aber das ist auch nicht mehr nötig: Amazon hat ja den Wohnungsschlüssel. Dankbar lasse ich mich in den Sessel fallen. „Alexa, schalt den Fernseher ein und schau nach, ob noch Bier im Kühlschrank ist“, frage ist den smarten Amazon Lautsprecher…

Jochen Magnus zu Amazons Hausschlüssel

Amazon weiß das. Amazons Algorithmen wissen alles über mich. Ich erledige schließlich alle meine Einkäufe dort, lasse Bilder und Töne aus meiner Wohnung dahin übertragen, drücke Dash Buttons (Bestellknöpfe). Vielleicht geben auch die Boten und Reinigungsleute, die dank Amazon in meine Wohnung kommen, Tipps weiter, was ich noch so brauchen könnte.

Vielleicht sind die Tipps gar nicht nötig, weil der Konzern bald „Amazon wishful thinking“ (Wunschdenken) anbietet, einen Dienst, der früher als ich weiß, was ich noch so wünschen könnte und mir alles ungefragt ins (!) Haus liefert. Natürlich mit Wunschflatrate und vollem Rückgaberecht. Und wenn's pressiert, ordert die digitale Nanny Alexa Amazons Flugdrohne und die Ware regnet herab wie weiland Manna vom Himmel – die Speisung der Konsumenten.

Abgesehen von den Datenschutzproblemen, die viele überhaupt nicht interessieren („ich habe nichts zu verbergen“) und dem möglichen Missbrauch des Schlüssels durch Hacker (siehe „keyless go“ bei Autos!) oder Regierungen: Das Verhalten der Konsumenten wird immer infantiler. Erwachsenwerden ist nämlich die „Fähigkeit zur Selbstbeherrschung und zum Aufschub unmittelbarer Bedürfnisbefriedigung“, lehrte Neil Postman („Wir amüsieren uns zu Tode“) schon vor 30 Jahren und zuvor hatten Sigmund Freud und auch Norbert Elias erkannt, dass der Zivilisationsprozess als „Prozess wachsender Impulskontrolle“ verstanden werden kann.

„Entdecke das Kind in Dir“, heißt Amazons unausgesprochenes Motto. Da gehen wir doch lieber wieder vor die Tür zum Einkaufen und setzen uns unvorhersehbaren, neuen Eindrücke aus, die sich von der Couch aus nicht sammeln lassen.

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