Wer hält den Kopf hin? Experte spricht von fehlenden Zulassungsverfahren für Großveranstaltungen

Für die Fans war am Ende alles geregelt: Ab nach Hause, Rock am Ring ist abgebrochen. Deutlich wichtigere Fragen hingegen scheinen im Land nicht geregelt - so kann ein Megafestival wie Rock am Ring offenbar ohne behördliche Genehmigung stattfinden.
Für die Fans war am Ende alles geregelt: Ab nach Hause, Rock am Ring ist abgebrochen. Deutlich wichtigere Fragen hingegen scheinen im Land nicht geregelt - so kann ein Megafestival wie Rock am Ring offenbar ohne behördliche Genehmigung stattfinden. Foto: Andreas Jöckel

Für Großveranstaltungen wie Rock am Ring gibt es in Rheinland-Pfalz kein ordentliches Zulassungsverfahren. Sie können genehmigungsfrei durchgeführt werden. Damit haben Veranstalter theoretisch (fast) freie Hand!

Lesezeit: 3 Minuten
Anzeige

Das erklärt Professor Ulrich Stelkens von der Deutschen Universität für Verwaltungswissenschaften Speyer im Gespräch mit unserer Zeitung. Und: Der Verbandsgemeinde vorgesetzte Behörden bis hin zum Innenministerium hätten jederzeit die Befugnisse an sich ziehen und das Festival abbrechen können. Mussten es aber nicht.

Stelkens kennt sich in dem Thema bestens aus: Der renommierte Wissenschaftler und Speyerer Lehrstuhlinhaber hat nach der Love-Parade-Katastrophe von Duisburg an einem Gutachten der Deutschen Hochschule für Polizei zum Verfahrensrecht für die Sicherheit von Großveranstaltungen mitgewirkt. Dabei beschäftigte er sich auch mit den Aufgaben der Akteure und Kooperationen zwischen ihnen in den Bundesländern. Als „rechtlich relativ unbefriedigend“ bezeichnet Stelkens die Lage in fast allen Ländern. „Einzig Bayern und Thüringen haben bislang die rechtlichen Voraussetzungen dafür geschaffen, dass Veranstaltungen dieser Größenordnung eine Genehmigung des Gesamtvorhabens mit einer übergreifenden Prüfung der Sicherheitsbelange benötigen.“

Spielgenehmigung nicht nötig

Bislang, so auch in Rheinland-Pfalz, versuchen Kommunen daher über Hilfskonstruktionen, wie etwa mithilfe des Baurechts, Einfluss auf die Sicherheitsplanung von Veranstaltungen auszuüben. „Die Türme und Konzertbühnen unterliegen beispielsweise als so genannte fliegende Bauten besonderen Anforderungen.“ Wo Genehmigungen gesetzlich nicht vorgeschrieben sind, regeln Absprachen zwischen Veranstaltern und Grundstückseigentümern dann das Nötigste, zum Beispiel in privatrechtlichen Vereinbarungen wie Mietverträgen. Da eine eigentliche „Spielgenehmigung“ rechtlich gar nicht erforderlich war, ist auch nicht ganz klar, wie diese hätte „entzogen“ werden können. Tatsächlich wäre wohl nur eine schlichte Untersagung der Veranstaltung wegen konkreten Unwettergefahren in Betracht gekommen. Für Diskussionen hinter den behördlichen Kulissen sorgt inzwischen die Frage, ob das Handling einer solchen Großveranstaltung und deren Abbruch auf Ebene einer Verbandsgemeindeverwaltung richtig angesiedelt ist. Selbst Rock-am-Ring-Bürgermeister Jörg Lempertz hatte dafür im RZ-Gespräch das Innenministerium ins Spiel gebracht, damit die Verantwortung nicht beim „letzten Glied in der Kette“ hängen bleibe. Am Wochenende hatte es Innenminister Roger Lewentz hingegen bei einem „dringenden Rat“ im Gespräch mit den Verantwortlichen und via Facebook belassen.

Minister hätte eingreifen können

Dabei hätte es durchaus andere Möglichkeiten gegeben: „Gerade das rheinland-pfälzische Polizei- und Ordnungsbehördengesetz (POG) sieht in Paragraf 93 das sogenannte Selbsteintrittsrecht der Aufsichtsbehörden vor“, erklärt Stelkens. Danach können Aufsichtsbehörden wie etwa das Innenministerium, die Aufsichts- und Dienstleistungsdirektion (ADD) oder die Kreisverwaltung Gefahrenabwehrmaßnahmen anstelle der „an sich“ zuständigen Verbandsgemeinde treffen, „wenn sie es nach pflichtgemäßem Ermessen erforderlich halten“. Davon machte bei Rock am Ring fast keine Behörde Gebrauch. Einzig die Kreisverwaltung Mayen-Koblenz hatte am Samstagnachmittag angesichts neuer drohender Unwetter die Alarmstufe 4 ausgerufen und eine Technische Einsatzleitung gebildet – erstmals in ihrer Geschichte.

Die Zurückhaltung des Ministeriums, so spekulieren Insider, kann mehrere Gründe haben: Zum einen achten Behörden untereinander ihre Zuständigkeiten – keine mischt sich ohne Not in die Befugnisse und Kompetenzen der anderen ein. Dies gilt grundsätzlich auch für Aufsichtsbehörden gegenüber beaufsichtigten Behörden, denen man nicht ohne Weiteres fachliche Inkompetenz bescheinigen will. Schwerer ins Gewicht dürfte aber der Blick auf mögliche Haftungsansprüche fallen: Wer Großveranstaltungen wie Rock am Ring möglicherweise rechtswidrig (wenn auch verantwortungsvoll) abbricht, an dem werden sich finanziell Betroffene versuchen, schadlos zu halten. Allen voran der Veranstalter!

Peter Burger

Was die Paragrafen ermöglichen

Der Text klingt sperrig, aber wie so oft steckt Brisanz in den trockenen Zeilen eines Paragrafen – in diesem Fall Paragraf 93 des Polizei- und Ordnungsbehördengesetzes. Dort heißt es in Absatz 2: „Die Aufsichtsbehörden können, wenn sie es nach pflichtgemäßem Ermessen für erforderlich halten, die Befugnisse der ihrer Aufsicht unterstehenden Polizeibehörden, Polizeieinrichtungen und allgemeinen Ordnungsbehörden ausüben. Die zuständige Stelle ist über die getroffenen Maßnahmen unverzüglich zu unterrichten.“ Klartext: Hätte das Innenministerium gewollt, es hätte eingreifen können – statt der Verbandsgemeinde Mendig.