„Ihr habt mit unserem Leben gespielt”: Rock-am-Ring-Besucherin schreibt Marek Lieberberg

Pia Kemper wendet sich in einem Brief an Marek Lieberberg.
Pia Kemper wendet sich in einem Brief an Marek Lieberberg. Foto: privat

Eine Frau aus Bochum erhebt schwere Vorwürfe gegen Konzertveranstalter Marek Lieberberg. Bei Rock am Ring am Wochenende ist er seiner Verantwortung für die Sicherheit der Besucher nicht gerecht geworden, kritisiert die 26-Jährige in einem Schreiben; „Ihr habt da mit unserem Leben gespielt”, schrieb sie.

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Pia Kemper war eine der rund 90.000 Besucher bei Rock am Ring in diesem Jahr. Die 26-Jährige studiert an der Ruhr-Universität Bochum Theaterwissenschaft und Komparatistik und war schon früher auf Rockfestivals, auch bei Rock am Ring am Nürburgring. Wegen der zunächst nur unterbrochenen, dann fortgesetzten und schließlich in der Nacht zu Sonntag abgebrochenen Veranstaltung schrieb sie zunächst per Mail an den Konzertveranstalter. Als der darauf nicht reagierte, veröffentlichte sie den Beitrag auf der Lieberberg-Seite auf Facebook.

Die Rhein-Zeitung dokumentiert das ausführliche Schreiben im kompletten Wortlaut, wie es auf Facebook veröffentlicht wurde. Daran wird in vielen Details deutlich, welchen Gefahren sich die Besucher ausgesetzt sahen, als Gewitter mit Blitzen über dem Konzertgelände niedergingen.

„Lieber Marek Lieberberg, liebe Mitverantwortliche der Marek Lieberberg Konzertagentur,

ich war wie 90.000 andere auch am vergangenen Wochenende als Besucherin bei Rock am Ring. Und eines möchte ich gern vorweg schicken: dieser Ring war weder mein erster, noch mein erstes Festival im Allgemeinen. Seit mehr als 10 Jahren bin ich Sommer für Sommer auf diversen Festivals in ganz Deutschland unterwegs. Doch noch nie in all den Jahren habe ich mich so sehr geärgert und mich als Besucherin ignoriert gefühlt wie am letzten Ring-Wochenende. Daher möchte ich auf diesem Weg gern einige Dinge loswerden, die mich und zahlreiche andere so sehr entsetzt haben.

Ich möchte mit euch nicht über Wetterprognosen, Unwetter oder das Wetter im Allgemeinen diskutieren. Dass niemand das Wetter beeinflussen kann und auch heutzutage eine exakte Prognose immer noch häufig schwer ist, sollte uns allen klar sein. Ich möchte auch nicht abstreiten, dass ich, so wie vermutlich alle anderen Besucher auch, wusste dass das Wetter für dieses Wochenende mehr als bescheiden ausfallen sollte. Auch der Begriff „Unwetterwarnung“ fiel im Vorfeld durchaus vermehrt. Dass ich trotz der schlechten Prognosen zum Ring gefahren bin, war meine freie Entscheidung. Ich habe mich bewusst dafür entschieden trotz der Warnungen nach Mendig zu fahren und zwar aus einem ganz einfachen Grund: weil ich mich sicher fühlte.
In all den Jahren Festivalerfahrung waren die Gewitter am Freitag und Samstag bei weitem nicht die ersten Gewitter die ich unter freiem Himmel, im Zelt oder vor der Bühne miterlebt habe. Aber vor allem nach den Unwettererfahrungen im letzten Jahr dachte ich, dass ihr euch als Veranstalter sicherlich einige Gedanken dazu gemacht habt, um das Risiko so gering wie möglich zu halten. Dass früh genug gewarnt und evakuiert wird zum Beispiel. Im letzten Jahr kam der Sturm schneller als man ahnen konnte. Das war sicherlich einfach unmöglich vorher einzuschätzen, zumal ich um die Evakuierung aus dem letzten Jahr weiß. Aber das was am Freitag passiert ist, ist schlichtweg unmöglich.

Viel zu spät evakuiert

Das Festivalgelände wurde im Moment des ersten Donnerschlags evakuiert. Viel zu spät um auch nur irgendeine Sicherheitsmaßnahme zu ergreifen. Auf dem Weg zum Zelt schlug dann der Blitz ein. Wir hatten keinerlei Möglichkeit Schutz zu suchen. Das uns nichts passiert ist, ist schieres Glück gewesen.
Über unsere Familien zuhause wurden wir dann über die schrecklichen Ausmaße der Unwetters informiert und auch darüber in Kenntnis gesetzt, dass es auch für Samstag und Sonntag akute Unwetterwarnungen gab. Natürlich haben wir im Camp darüber diskutiert was zu tun sei. Ob eine verfrühte Abreise sinnvoll sei oder wir noch einmal mit einem blauen Auge davon kommen. Und schon da war die Entscheidung klar: wenn es noch einmal so ein Risiko gäbe, würde das Festival ja hoffentlich abgesagt werden, damit nicht noch mehr Menschen zu Schaden kommen. Und so lange ihr als Veranstalter und Verantwortliche das Risiko für kalkulierbar haltet, wollten wir nicht fahren. Also blieben wir.

Samstag wurde dann ja auch tatsächlich gewarnt. Allerdings muss ich auch hier einmal den Finger auf die Wunde legen: alle Campingplätze abseits der Landebahn bzw. der befestigten Wege haben keine einzige Lautsprecherdurchsage gehört. Auf Campingplatz 9, direkt neben dem Riesenrad, erfuhren wir von der Unterbrechung des Spielbetriebs erst durch die Durchsagen des Autoscooters! Wir waren somit vermutlich so ziemlich die letzten die gewarnt wurden. Kurz darauf kamen dann sehr freundliche Volunteers, die uns sagten, dass in der nächsten halben Stunde (!) der nächste Sturm käme und wir unsere Autos oder Zelte aufsuchen sollten. Das war sicherlich sinnvoll und hat sich dank der Mund zu Mund Propaganda schnell auf dem Gelände rumgesprochen. Allerdings hatten wir keinerlei Chance unsere Autos zu erreichen, da wir – mit Verlaub – am Arsch der Heile auf Parkplatz 20 parkten. Der Fußweg war schon ohne Gepäck und ohne Schlammlawinen nicht unter 40 Minuten zu erreichen. Das bedeutete der Rückzug ins Auto war für uns nicht möglich, da wir anderen Falls direkt in das Unwetter gelaufen wären. Also: wieder ins Zelt und festhalten, was festzuhalten war in der Hoffnung, dass noch einmal alles gut ging. Dieser Sturm war gottlob nicht so schlimm wie der den Tag zuvor. Aber hiernach fragten wir uns alle, warum das Festival nicht schon morgens abgesagt wurde, zumal es ja am Sonntag noch viel schlimmer werden sollte.

Als wir dann erfuhren, dass die Behörden eingegriffen haben und ihr erst dann dazu gezwungen wurdet den Ring abzubrechen, ist mir fast alles aus dem Gesicht gefallen. Natürlich war diese Entscheidung wahnsinnig bedauerlich. Wir alle haben uns auf einen wunderbaren Ring gefreut und keiner wollte heim fahren. Doch unter diesen Voraussetzungen und mit so vielen Verletzten, MUSS auch der Ring einfach abgesagt werden. Denn wie ich bereits weiter oben schon bemerkte, ihr seid die Verantwortlichen! Und so lange wir als Besucher auf eurem Festival sind, habt ihr verdammt nochmal die Verantwortung für unsere Sicherheit. Wir haben uns auf euch verlassen. Wir dachten, ihr werdet uns schon bescheid sagen wenn Gefahr für Leib und Leben besteht. Aber wenn euer „Plan“ für Unwetter „Geht in eure Autos“ heißt, wobei die meisten Parkplätze fürchterlich weit weg und kaum zufuß zu erreichen sind, dann ist das kein Plan. Vor allem nicht mit nur so wenig Vorlaufzeit.

Armutszeugnis

Als dann Samstagabend endlich die Ansage von Marek Lieberberg kam, war Schweigen auf dem Platz. Ich für meinen Teil war erleichtert! Denn wer, als eingefleischter Festivalgänger, tritt schon freiwillig die Rückreise an? Ihr hättet das ganze viel viel eher schon abbrechen müssen! Dass erst die Behörden eingreifen müssen, ist ein ziemliches Armutszeugnis. Ihr habt da mit unseren Leben gespielt, Künstlerausfallgagen hin oder her, das hätte nicht passieren dürfen. Nicht nach dem letzten Jahr.

Am Sonntag stand also die große Rückreisewelle an. Auch die Info dass bis 12 Uhr geräumt werden musste, war bekannt. Was allerdings der nächste Totalausfall war, waren die Wege zu bereits erwähnten Parkplätzen.

Habt ihr eigentlich mitbekommen was da los war?! Vermutlich nicht, denn ansonsten müsstet ihr euch als Großveranstalter in Grund und Boden schämen.

Matsch bei Rock am Ring in Mendig: Zu den Autos betrug die Entfernung teilweise 40 Gehminuten und mehr.
Matsch bei Rock am Ring in Mendig: Zu den Autos betrug die Entfernung teilweise 40 Gehminuten und mehr.
Foto: Lennard Frömbgen

Die Wege waren nach den Regengüssen unbegehbar. Doch nicht genug der Unwegsamkeit: gepäckschleppende Fußgänger und Autofahrer teilten sich ein und den selben Trampelpfad! Nirgendwo war ein Ordner, ein Secu oder sonst jemand von offizieller Seite zu finden. Mit dem Schritt durch das Festivaltor schien eure Kompetenz aufzuhören. Menschen und Autos stauten sich. Man konnte weder vor, noch zurück. Von den steckengebliebenen Autos noch ganz zu schweigen! Niemand wusste in welche Richtung überhaupt zu gehen oder zu fahren, war und weit und breit war keine Hilfe oder Information in Sicht. Wir haben uns dann – im wahrsten Sinne des Wortes – gegenseitig aus dem Dreck gezogen oder wurden von den ansässigen Landwirten unterstützt. Wo wart ihr da? Wo waren Ordner mit Funkgeräten die Hilfe anfordern konnten oder hysterische Autofahrer beruhigen konnten? Wir haben 1,5 Stunden bis hoch auf Parkplatz 20 gebraucht, ein Teil unserer Leute hat noch weitere 4 Stunden auf dem Parkplatz gestanden, ohne dass ihnen jemand helfen konnte.

Ich frage euch: Wie konnte das passieren? Wie kann das größte Festival Deutschlands an solchen Dingen wie der geordneten Rückreise scheitern? Ich komme nicht drum herum mich fürchterlich verarscht zu fühlen. Erst wollt ihr uns 20 Euro für die Mittwochsanreise aus der Tasche ziehen, nehmt 10 Euro für Duschen aus denen kein Wasser kommt und tretet uns dann so in den Hintern in Sachen Information, Sicherheit und Hilfe. Ich denke es ist an der Zeit, dass ihr mal an euren grundsätzlichen Werten und Einstellungen arbeitet. Größe, Prestige und Geld sind und sollten in der Veranstaltungswelt nicht alles sein. Schließlich geht es beim Festival doch darum eine gute Zeit miteinander zu haben. Wir sollten uns gegenseitig respektieren und so ein Festivalwochenende zu dem machen, was es ist: ein Wochenende voller guter Musik, Spaß und Ausgelassenheit, an dem sich niemand Sorgen machen muss und man den Ausnahmezustand verantwortungsbewusst genießen kann.

Unprofessionell und respektlos

Sich jedoch einfach mit dem Rücken zu uns Besuchern zu stellen und darauf zu pochen, dass man ja schließlich gewusst habe was uns da erwartet, ist nicht nur unprofessionell, sondern vor allem auch respektlos und schlichtweg zu kurz gedacht.

Ich für mich werde meine Konsequenzen daraus ziehen. Und auch wenn ich weiß, dass euch Einzelschicksale in einer Masse von 90.000 Besuchern nur wenig interessieren und ihr diese Mail vielleicht noch nicht einmal zu Ende lest, musste das hier einfach mal gesagt werden.

Das Fass um die Rückerstattung eines Drittels des Ticketpreises mache ich an dieser Stelle nicht auf. Denn mir geht es im Unterschied zu euch nicht nur um die Kohle. Mir hat der Umgang mit uns Besuchern ziemlich den Spaß am Ring genommen und ich denke nicht, dass ich in den nächsten Jahren noch einmal nach Mendig fahren werde.

Über eine Rückmeldung würde ich mich natürlich freuen, denn ich bin der Meinung, dass der Austausch zwischen Besuchern und Veranstaltern der Schlüssel zu einem erfolgreichen Festival ist. Denn ohne uns 90.000 gäb es den Ring nicht.

Viele Grüße,

Pia Kemper”

Dokumentation: nbo/msc