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Vinocamp Mosel in Hatzenport: Wahres über Wein

Überbleibsel einer ziemlich lässigen Weinkonferenz an der Mosel: Zwecks Erkenntnisgewinn geleert wurden 150 Flaschen an drei Tagen von rund 40 Weinfanatikern – in 
jeder Hinsicht anständig. 
Überbleibsel einer ziemlich lässigen Weinkonferenz an der Mosel: Zwecks Erkenntnisgewinn geleert wurden 150 Flaschen an drei Tagen von rund 40 Weinfanatikern – in 
jeder Hinsicht anständig.  Foto: Andreas Schwarz

Rund 40 Weinenthusiasten haben sich am vergangenen Wochenende zum Vinocamp in Hatzenport an der Mosel getroffen. Programm? Gab's keins. Und Thema bloß eins: Wein.

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Zum Weincampen im Winter an die Mosel? Braucht man dafür ein Zelt? Nein. Aber ein Schlafsack kann helfen: Falls die Heizstrahler abschalten, weil der Stromkreislauf unter zu großer Last zusammenbricht, sobald Licht und Spülmaschine gleichzeitig laufen. Dann heißt's Prioritäten setzen. Und die liegen bei einem Weincamp eindeutig auf sauberen Gläsern.

Vinocamp Mosel, so heißt das Weincamp, zu dem am vergangenen Wochenende Weininteressierte aus ganz Deutschland (und der Schweiz) in Hatzenport zusammenkamen, um drängende Weinthemen zu beraten. Der Name geht auf den Begriff Barcamp aus der Bloggerszene zurück. Er bedeutet, dass sich Gleichgesinnte, die sich sonst übers Internet austauschen, persönlich begegnen, um gemeinsam Probleme anzugehen.

Teilnehmen darf bei einer solchen offenen Fachkonferenz jeder, der sich einmischen will. Die Organisation eines Barcamps beschränkt sich auf das Schaffen der Rahmenbedingungen, beim Inhalt herrscht weitgehend Anarchie. Man will sich keine unnötigen Beschränkungen auferlegen und dem Treffen die Möglichkeit geben, sich mit den Teilnehmern zu entwickeln. Bestenfalls gelingt's.

Initiator Sven Zerwas hatte die Herde williger Weincamper per Facebook-Aufruf in den Kulturhof K5 nach Hatzenport, ein ehemaliges Weingut, gelotst. Das Motto: „Not only Riesling“ (nicht bloß Riesling). Da ist quasi alles möglich.

Weil Wein viel mit Landschaft zu tun hat, steht zum Aufwärmen eine Wanderung durch Hatzenports Weinberge an. Nicht ganz ungefährlich, die Kraxelei durch den Steilhang – zumal die Wanderer ein Weinglas in Händen halten. Schließlich wollen sie wissen, wie das schmeckt, was hier wächst.

Beim anschließenden Willkommensbüfett geht's ums Kennenlernen. Dabei hilft, dass jeder Teilnehmer seinen Lieblingswein vorstellt. Einige sind sich schon auf anderen Vinocamps begegnet oder haben voneinander in Blogs gelesen, wo sie ihre Ess- und Trinkerfahrungen mit der Internetwelt teilen.

Ring frei zur Programmgestaltung.

Die Camper werfen Fragen in die Runde, die ihnen unter den Nägeln brennen. Etwa die, wie sich mit Wein aus Steillagen genügend Geld verdienen lässt. Ob der Klimawandel dem Riesling bald den Garaus macht und die Mosel auf andere Rebsorten und ein neues Image setzen muss. Sollte ein Winzer für Weinproben Geld verlangen, um sich Gratistrinker vom Hals zu halten und interessierte Besucher zugleich von der Angst des Kaufenmüssens zu befreien? Und ja, der Kunde – welche Weine wünscht der sich eigentlich?

Sessions, kleine Sitzungen zu einem Thema, finden statt, sobald ein Vorschlag auf mindestens einen Interessenten trifft. Die Runde wird bunt. So hat Joachim Kaiser, Vinocamper aus Karlsruhe, von einer Amerikareise drei Flaschen Wein mitgebracht, die er zum gemeinschaftlichen Erkenntnisgewinn spenden will. Schluckweise soll so ein bislang blinder Fleck auf der Weinlandkarte Gestalt annehmen. Verena Armbruster erzählt aus ihrem Arbeitsalltag, der darin besteht, das Image einer Traditionskellerei zu entstauben. Um der Weinmarke Erben aus Traben-Trarbach mehr Sexappeal zu geben, hat die findige Schwäbin mit einem Berliner Marketingmenschen ein Crowd-Projekt gestartet. Per Internetabstimmung durfte das junge Zielpublikum Rebsorte, Anbaugebiet, Verschlussart und Namen für einen neuen Rot-/Weißwein wählen. Das kam an.

Essen spielt im Camp die zweite Hauptrolle. Klar, wenn es schon morgens eine Verkostung mitgebrachter Winzersekte gibt. Lumpen lassen sich Genussmenschen bei der Verpflegung nicht – was auf den Tisch kommt, ist beinahe sterneverdächtig. Schuld hat das Kölner Rheinkombinat, eine Truppe von Kochverrückten. Die können sich wenig Schöneres vorstellen, als in ihrer Freizeit rund 40 anspruchsvolle Esser stilvoll satt zu kriegen. Weil sich dafür eine Gulaschkanone nicht schickt, richten sie ein Fünf-Gänge-Dinner Teller für Teller an. Tags drauf gibt's drei Fischgänge. Der Lachs hat über Nacht in Wodka und Roter Bete gelegen. Nun wird er, reizend rot gefärbt, auf Spinatblättern zu Blütenkelchen drapiert und per Pinzette mit Perlen aus Balsamicokaviar aufgehübscht. Verrückt? Ziemlich. Oder eine Maßnahme zur Friedenssicherung im Camp. Weil ein gut gefüllter Magen die Moral hoch- und die Mannschaft vom Revoltieren abhält.

NICOLE MIEDING

Vinocamper im Porträt

Sven Zerwas (37)

Beruf: Dem gelernten Restaurantfachmann aus Münstermaifeld liegt vor allem die Terrassenmosel am Herzen. Derzeit arbeitet er daran, das Weinsortiment in einem Neuwieder Getränkemarkt auszubauen.

Camperfahrung: Was es heißt, ein regionales Vinocamp zu stemmen, wusste er schon: Zerwas hatte vor zwei Jahren die Premiere an der Mosel initiiert. Ob er's noch einmal tut? Ein Jahr Pause will er sich gönnen, aber geeignete Räume „mit Charme und Heizung“ werden schon gesucht.

Weinentdeckung: ein 1975er Wiltinger Scharzhofberg Kabinett vom Abteihof Oberemmel an der Saar, abgefüllt bei Reichsgraf von Kesselstadt in Trier und standesgemäß bei einer Internetauktion ergattert. „Zum Spottpreis für 2 Euro.“

Verena Armbruster (31)

Beruf: Die Schwäbin arbeitet als Markenmanagerin für die Kellerei Langguth Erben in Traben-Trarbach, einem der größten Weinerzeuger Deutschlands.

Camperfahrung hat Armbruster reichlich, sie ist Vinocamp-Gründungsmitglied. „Das ist mein drittes Vinocamp, ich war schon bei der zentralen Veranstaltung in Geisenheim dabei und auch vergangenes Jahr in Rheinhessen, mich hat das Virus gepackt“, sagt sie. „Es ist einfach spannend, Menschen aus der Branche einmal auf einer völlig anderen Ebene zu begegnen.“

Weinentdeckung: die Liaison Crémant brut, ein Rieslingsekt von Moselwinzer Stefan Steinmetz aus Wehr: „Ein toll cremiger Winzersekt von einem authentischen Macher – der ideale Begleiter, um mit Freunden zu trinken.“

Thomas Lippert (50)

Beruf: Der Kellermeister aus Salem gönnt sich gerade ein Sabbatical. Unter den Weinbloggern adelt ihn das Prädikat „Urgestein“.

Camperfahrung hat keiner mehr als er. 2010 rief Lippert zusammen mit dem Weinmacher und Blogger Dirk Würtz das deutschlandweit erste Vinocamp an der Hochschule Geisenheim ins Leben. Nun sieht der Urvater seiner Idee mit großem Vergnügen beim Wachsen zu.

Weinentdeckung: die „Riesling Sylvaner Auslese“, also ein Müller-Thurgau, das Mitbringsel des einzigen Teilnehmers aus der Schweiz. „Grandios, einen Schweizer Wein auf einem deutschen Vinocamp zu trinken. Diese Weine sind hier ja rarer als welche aus China“, freut sich Lippert. „Dieser Wein ist wie ein Schweizer Uhrwerk: akribisch, präzise und konstant, das imponiert mir.“

Sylvain Mazzetti (46)

Beruf: Der Erzieher aus Avignon lebt zusammen mit geistig behinderten Erwachsenen auf einem Bauernhof in der Lüneburger Heide. Wein wurde ihm quasi an der Wiege gesungen: Zur Taufe spendierte der Opa eine Magnumflasche Châteauneuf-du-Pape. „Nichts Besonderes, wir haben zu Hause bevorzugt Weine aus unserer Heimatregion Côte du Rhône getrunken.“

Camperfahrung: Das Vinocamp Mosel ist Mazzettis Premiere. „Fast hätte ich mich nicht getraut, weil ich ja nur ein Weintrinker bin“, erzählt er.

Weinentdeckung: der 2013er Pinot Noir vom Familienweingut Sonneneck in Müden. „Ein toller Rotwein von der Mosel, schlank, der Alkohol gut eingebunden, passte fantastisch zum gebratenen Zander mit Bratkartoffeln.“

Andreas Schwarz (39)

Beruf: Der Winzer aus Zürich ist erstaunt, wie viel Arbeit die Kollegen an der Mosel in ihre Steillagen investieren. Das Ergebnis hat ihn überrascht: „Die geschmackliche Vielfalt ist enorm – bei einer einzigen Traubensorte, die hier am Fluss wächst.“

Camperfahrung: keine, die Neugier hat Schwarz an die Mosel getrieben. Nun überlegt er, die Vinocamp-Idee in die Schweiz zu importieren. Mal schauen, ob sich der Revoluzzer damit in seiner Heimat durchsetzt. „Junge, neue Ideen werden nicht überall gern gesehen.“

Weinentdeckung: „Eine gute Zeit 2015“, eine Cuvée aus Riesling, Müller-Thurgau und Gewürztraminer vom Weingut Schneiders-Moritz in Pommern. Allein schon, weil die Flasche die Stimmung im Camp herrlich zusammenfasst.

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