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RZ-Gespräch: Warum entscheidet sich eine junge Frau für das Kopftuch?

Mayla ist stolz, eine Muslima zu sein. Aus freien Stücken trägt sie ein Kopftuch. 
Sie trägt es nicht, um sich zu verstecken, sondern um ihren Glauben zu zeigen. <br />Doch nicht immer wird dieses äußere Bekenntnis zur Religion positiv aufgenommen.
Mayla ist stolz, eine Muslima zu sein. Aus freien Stücken trägt sie ein Kopftuch. 
Sie trägt es nicht, um sich zu verstecken, sondern um ihren Glauben zu zeigen.
Doch nicht immer wird dieses äußere Bekenntnis zur Religion positiv aufgenommen.
Foto: Nina Borowski

Immer wieder wird über das Tragen von Kopftüchern diskutiert. Die 21-jährige Mayla hat sich vor zwei Jahren entschieden, ein Kopftuch zu tragen. Heute ist es für sie wie ein Körperteil, sagt sie. Sie möchte nicht mehr ohne sein. Die RZ hat die junge Frau getroffen.

Lesezeit: 6 Minuten
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Mayla* hat 19 Jahre lang einen Bogen um Gott gemacht. Sie dachte: „Religiös sein, ist uncool.“ Seit zwei Jahren trägt die 21-Jährige ein Kopftuch und sagt stolz: „Ich bin eine Muslima.“ Mayla weiß, dass viele denken, „das macht die doch nicht freiwillig“. Die junge Frau fühlt sich freier, seitdem sie es trägt. „Früher wurde ich oft belästigt oder blöd angeguckt. Mit dem Kopftuch ist es auf einmal anders. Ich werde respektiert.“ Doch ihr äußeres Glaubensbekenntnis lässt Mayla an Grenzen stoßen. Schon bevor sie es getragen hat, wollte sie Polizistin werden. Mit Kopftuch geht das nicht. Es deswegen ablegen? „Kommt gar nicht infrage. Mir ist wichtig, dass die Menschen in erster Linie mein Potenzial, meine Stärke und meine Kraft sehen.“ Zurzeit macht sie ihr Abitur auf dem zweiten Bildungsweg. Danach möchte sie Lehramt studieren. Sie liebt Kinder, doch auch das Unterrichten mit Kopftuch wird nicht leicht – falls es überhaupt geht.

Das Gefühl, respektiert zu werden, ist für Mayla das Allerwichtigste, aber neben Einschränkungen bei der Berufswahl hat sie es auch bei anderen Dingen nicht immer leicht. Vor Kurzem hat Mayla sich im Fitnessstudio angemeldet. Als sie das erste Mal zum Training gehen will, kommt sie aus der Kabine – natürlich mit Kopftuch -, als ihr eine Mitarbeiterin sagt, dass sie das nicht tragen darf, das würde so in der Hausordnung stehen. „Ich war schockiert. Bei der Anmeldung hat mir niemand gesagt, dass ich kein Kopftuch tragen darf.“ Als sie wissen will, warum es nun nicht geht, erinnert sich Mayla: „Die Mitarbeiterin hat herumgedruckst und gesagt, dass sie keine Assis hier haben wollen und Kopfbedeckungen jeglicher Art, von Mützen oder Kappen, meint.“ Auch mit ein paar Tagen Abstand macht Mayla das Erzählen noch wütend: „Ich habe mich aufgrund meiner Religion diskriminiert gefühlt.“

Das Fitnessstudio in Bonn-Beuel schildert den Fall anders. Studioleiter Max Walter betont auf unsere Nachfrage: „Wir distanzieren uns von Rassismus jeglicher Art. Wir haben nichts gegen einzelne Religionen.“ Ein Kopftuch ist aus hygienischen Gründen nicht erlaubt. Jede Art von Kopfbedeckung ist laut Hausordnung nicht erlaubt. An Maylas Fall erinnert sich Walter, auch wenn er selbst nicht mit ihr gesprochen hat: „Wir haben ihr unseren Frauenbereich angeboten, als sie das abgelehnt hat, haben wir sie aus Kulanz aus dem Vertrag wieder rausgelassen.“ Ein Kopftuch hätte die junge Muslima auch in diesem Teil des Fitnessstudios nicht tragen dürfen. Mayla lehnt deshalb eine Mitgliedschaft ab. Sie bleibt dabei: „Ich fühle mich und meine Religion nicht respektiert.“

Trotz Hindernissen keine Zweifel

Immer wieder ist die attraktive junge Frau in Situationen, die sich mit Kopftuch nicht verbinden lassen. Ist das ein Grund, am Kopftuch zu zweifeln? Für Mayla auf keinen Fall. „Natürlich macht mich das traurig und wütend.“ Religiös zu sein, empfindet sie dennoch als etwas Schönes. „Ich halte an meinem Glauben fest. Was ist daran falsch, wenn man noch an einer Religion festhält?“

Macht das Christentum Vorgaben für die Kleidung der Frau? Es gibt eine Bibelstelle (1, Korinther 11, 2-9), in der davon die Rede ist, dass die Frau ihr Haar verhüllen soll. Diese Stelle ist aber durchaus umstritten. Die Frage nach der Kleidung ist für Prof. Angela Kaupp von der Universität Koblenz mehr eine kulturelle als eine christliche. „Etwa im 15. Jahrhundert gab es ein sogenanntes Witwengewand, das von Nonnen übernommen und verändert wurde. Die Witwenkleidung verschwand im 16./17. Jahrhundert. Bei Ordensgemeinschaften gibt es große Unterschiede bei der Kleidungsfrage. Nicht alle tragen beispielsweise einen Schleier“, erklärt Prof. Kaupp und ergänzt: „Im inzwischen nicht mehr gültigen Kirchenrecht (CiC) von 1917 steht beispielsweise, dass Frauen in der Kirche eine Kopfbedeckung tragen sollen.“ Auch Schwester Margareta, Dekanin der Philosophisch-Theologischen-Hochschule Vallendar (PTHV) sagt: „Die Ordenstracht katholischer Schwestern wird nicht mit der Bibel oder einem göttlichen Gebot begründet.“ Von Orden zu Orden gibt es unterschiedliche Vorgaben für das Aussehen. „Christinnen könnten auch heute ihr Haar verhüllen. Ein Verbot dafür gibt es nicht“, betont Prof. Angela Kaupp.

Sie erinnert sich, als sie ihren Eltern von ihrem Kopftuch erzählt, sagt ihre Mutter: „Das hältst du keine drei Wochen durch.“ Heute, zwei Jahre später, sind Maylas Eltern stolz auf ihre Tochter. Sie selbst sind muslimisch, haben ihrer Tochter aber alle Freiheiten gelassen.

Alles beginnt mit der berühmten Frage nach dem Sinn des Lebens. Die junge Frau, die heute so lebensfroh und selbstbewusst wirkt, hat eine persönliche Krise durchgemacht. Was genau passiert ist, möchte sie nicht sagen. Damals hat sie das Gefühl, so geht es nicht weiter. Ihre Gedanken kreisen. Das war der Punkt, an dem Mayla angefangen hat, sich mit Religionen zu beschäftigen. Die ersten Fragen, die sie sich gestellt hat, waren: „Wer ist Gott? Warum ist Gott? Was ist unsere Aufgabe?“, sagt Mayla. Auf der Suche nach Antworten und ihren Wurzeln recherchiert und liest sie viel. Rückblickend sagt sie: „Irgendwann fing der Glaube an. Der war auf einmal da.“

Mayla will neu anfangen, Altes hinter sich lassen. Sie packt ihren Koffer, verlässt ihr Zuhause, lässt Freundschaften zurück, von denen sie heute sagt, dass sie ihr nicht gutgetan haben. In Bonn schlägt sie einen neuen Weg ein. Allein fühlt sie sich dabei nicht. Denn mit der Religion, dem Islam, hat sie einen Teil ihrer Wurzeln gefunden. „All die Jahre habe ich mich immer als Atheistin gesehen, doch als ich den Islam kennengelernt habe, habe ich gemerkt, dass die Religion doch das ist, was ich als Teil in meinem Leben haben möchte.“ Sie sucht die Gemeinschaft, sie betet, sie lernt ihre heute beste Freundin kennen. Die Werte des Islams geben ihr Halt und Orientierung.

Krisensituationen und die Frage nach dem Sinn des Lebens sind für viele Menschen der Moment, in dem sie zur Religion finden. Prof. Margareta Gruber, Dekanin der Philosophisch-Theologischen Hochschule Vallendar (PTHV), sagt: „Das ist keine Frage des Alters. Jeder Mensch sucht unterschiedlich Halt.“ Sie ist selbst Franziskanerin und ergänzt: „Der Glaube und vor allem die Gemeinschaft verbinden Menschen.“

Neben Neugier und Interesse spürt Mayla irgendwann auch ein Pflichtbewusstsein. Ein Pflichtbewusstsein, gewisse Dinge nicht mehr zu tun. Dafür gibt sie auch ihren Kellnerjob auf, weil sie sagt: „Ich kann mich nicht an das Gebot halten, keinen Alkohol mehr zu trinken, anderen aber welchen vorsetzen.“ Irgendwann spürt sie auch das Pflichtbewusstsein, ein Kopftuch zu tragen.

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Religiöse Zeichen müssen gelesen und verstanden werden

Für Mayla gehört es mittlerweile zu ihr wie ein Körperteil. Es kam der Tag, an dem sie selbst mal eins tragen wollte. „Ich hatte total Lust drauf“, beschreibt sie. Gemeinsam mit zwei Freundinnen hat sie es angezogen. „Wir sind rausgegangen, und ich habe mich gefühlt wie noch nie.“ Die Begeisterung ist ihr auch zwei Jahre nach diesem Tag noch anzusehen. „Ich war auf einmal in einer ganz anderen Welt. Es war so schön, dass ich das Gefühl nicht mehr loslassen wollte.“ Gemeinschaft und Zugehörigkeit. So erlebt es auch Prof. Margareta Gruber, wenn sie als Schwester Margareta im Franziskaner-Orden ihr Gewand trägt: „Es ist ein religiöses Bekenntnis, ein Zeichen der Zugehörigkeit, und es macht Religion sichtbar. Eine säkulare Gesellschaft sollte solche Zeichen ermöglichen. Das bedeutet aber auch, dass die Zeichen gelesen und verstanden werden müssen.“

Selbstbewusst trägt Mayla ihre „Krone“, wie sie das Kopftuch manchmal nennt. Immer ein anderes, sodass es zum restlichen Outfit passt. „Ich stehe total auf Mode“, betont sie. Das Kopftuch ist dabei kein Hindernis für sie. Ihr Kleidungsstil insgesamt hat sich dennoch verändert. Zum Positiven, wie sie sagt: „Ich versuche jetzt, so gut es geht, meine Körperformen zu verhüllen.“ Ihr gefällt das. Sie findet ihren Kleidungsstil heute schöner als früher. Sie steckt die Hände tief in ihre graue lange Strickjacke. Darunter trägt sie ein weites schwarzes Kleid. Dazu Turnschuhe. Ihre grüne Handtasche passt perfekt zum Grün ihres Kopftuchs. Sich komplett zu verschleiern, kann sich die 21-Jährige nicht vorstellen. „Ich brauche mein Gesicht zur Kommunikation. Ich könnte meine Persönlichkeit nicht richtig ausleben, wenn ich mein Gesicht verstecken würde.“ Auch mit Kopftuch will sie sich nicht verstecken.

Nach den Anschlägen in Paris hat Mayla sich unwohl gefühlt. Sie betont, dass keine Religion sagt, dass man für seine Religion einen anderen Menschen umbringen soll. „Was in Paris passiert ist, ist einfach nur schrecklich.“ Mehrere Wochen hat sie sich nicht getraut, eine größere Handtasche mitzunehmen, weil die Leute denken könnten, dass da etwas drin ist, was nicht drin sein sollte. Ihre Stimme klingt ratlos und auch ein bisschen traurig, als sie ergänzt: „Das einzige, was da drin ist, ist vielleicht ein bisschen Handcreme, ein bisschen Schminke und mein Handy.“

Von unserer Redakteurin Nina Borowski

*Name von der Redaktion geändert.