Maulgerecht zubereitet: Futterspezialisten im Frankfurter Zoo

Erdferkel Elvis ist ein älterer Herr mit ganz eigenen Marotten. Während seine wilden Artgenossen Termiten schlabbern, freut er sich auch über eine Avocado. Pflegerin Astrid Parys hat eine ganze besondere Beziehung zum „King“.
Erdferkel Elvis ist ein älterer Herr mit ganz eigenen Marotten. Während seine wilden Artgenossen Termiten schlabbern, freut er sich auch über eine Avocado. Pflegerin Astrid Parys hat eine ganze besondere Beziehung zum „King“. Foto: Meike Flemming

Morgens um halb zehn geht in Frankfurt die Sonne unter. Für Astrid Parys bedeutet das aber keineswegs Feierabend. Ihr Arbeitstag beginnt. Sie ist Revierleiterin im Grzimek-Haus des Frankfurter Zoos.

Lesezeit: 6 Minuten
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Typisch Frankfurt: Die Grüne Soße darf auch im Zoo nicht fehlen. Besonders die Affen stehen auf den Kräutermix.

Meike Flemming

Finger(tier)food: Den Joghurt servieren die Pfleger in ausgehöhlten Bananen.

Meike Flemming

Hauchdünne Haut, messerscharfe Sinne: Fledermäuse navigieren blitzschnell durch ihre Höhle.

Meike Flemming

Snack gefällig?

Meike Flemming

Revierleiterin Astrid Parys

Meike Flemming

Von unserem Reporter Carsten Zillmann

Damit die Besucher das Verhalten der nachtaktiven Tiere beobachten können, ist der Tag-Nacht-Rhythmus in den Gehegen vertauscht. Kaum wird es im Haus dunkel, kriechen die exotischen Bewohner aus ihren Schlafhöhlen. Sie haben Kohldampf – und ungewöhnliche Tischmanieren.

Parys und ihr Team haben deshalb einen anspruchsvollen Job. „Unsere Tiere sind meistens Futterspezialisten“, erklärt sie und greift eine Banane. Solche Tiere sind extrem auf eine Nahrung spezialisiert, und passen ihr Verhalten daran an. Bestes Beispiel ist das Fingertier. Der katzengroße Halbaffe lebt auf Madagaskar und nur in einem einzigen deutschen Zoo. Die Leibspeise der Lemurenunterart: Raupen und Obst. Ihre Essgewohnheiten sind einzigartig und namensgebend. Parys schneidet aus der Krümmung der Banane ein kleines Stück Schale und schabt das Fruchtfleisch aus. Sie steht im Futterraum des Grzimek-Hauses, der einer Großküche gleicht. Das Oberlicht fällt auf die Edelstahlanrichte, auf der sie arbeitet. Unschätzbar, in einem Haus, dessen lange, verschlungene Gänge tagsüber dunkel sind. In die ausgehöhlte Banane füllt Parys Speisequark. Das kleine Bananenschiffchen ist der ideale Fingertiersnack.

In der Zoogroßküche landen nur frische Produkte. Zweite Wahl kommt nicht infrage.
In der Zoogroßküche landen nur frische Produkte. Zweite Wahl kommt nicht infrage.
Foto: Meike Flemming

Warum, zeigen Malalla und Kimalla. Ihr Gehege riecht sumpfig. Es ist schwül. Vater und Sohn vertragen sich gut und stürzen sich auf die beiden Bananen. Ihre riesigen Augen reflektieren das schummrige Licht wie kleine Kaleidoskope. Auffällig ist ihr dritter Finger. Er ist sehr dünn, wirkt fast wie ein Ast. „Viele Besucher glauben, die Tiere hätten ein Werkzeug in der Hand“, erklärt Parys. Mit diesem naturgegebenen Werkzeug höhlen die beiden Fingertiere geschickt die Banane aus. Hektisch schnellt ihr Ästchenfinger zwischen Banane und Mund hin und her. Nach zwei Minuten ist nur noch die leere Hülle vorhanden.

43 Arten beherbergt das Haus, das nach dem langjährigen Zoodirektor und Dokumentarfilmer Bernhard Grzimek benannt ist. Mehr als die Hälfte ist nachtaktiv. Die Pfleger haben – neben der allgemeinen Verantwortung für die Gesundheit der Tiere – drei Hauptaufgaben: Reinigung der Gehege, Fütterung und Beschäftigung. Die Beschäftigung soll ein möglichst artgerechtes Leben im Zoo ermöglichen. Das Verhalten steht bei vielen Tieren dabei in engem Zusammenhang mit den Fressgewohnheiten.

Malalla und Kimalla stehen tierisch auf Seidenraupen. In einem Fressnapf würden sie diese aber kaum akzeptieren. Astrid Parys tauscht sich deshalb auch mit anderen Zoos aus, um neue Ideen für die Fütterung zu bekommen. Als Mittagsmenü präsentiert sie den Fingertieren Seidenraupen im Eichenast. Zunächst bohrt sie waagerechte Löcher ins dünne Holz. Darin versteckt sie die eigens gezüchteten Raupen und verschließt die Öffnungen mit Papier.

Das Auge isst mit. Fingertiere mögen Seidenraupen. Das Essen muss aber ansprechend angerichtet werden – in diesen Fall in einem frischen Ast.
Das Auge isst mit. Fingertiere mögen Seidenraupen. Das Essen muss aber ansprechend angerichtet werden – in diesen Fall in einem frischen Ast.
Foto: Meike Flemming

Ihre beiden Schützlinge stürzen sich sofort auf das Schmankerl. Sie krallen ihre Füße, deren Glieder in Krallen enden, fest ins Holz. Dann kommt ihr Spezialfinger zum Einsatz. Sie klopfen das Holz systematisch ab und legen ihre Ohren auf die Rinde. Tak, Tak, Tak. Malalla zuckt sofort hoch, nagt mit seinen spitzen Schneidezähnen das Papier und ein wenig Grünholz weg. Sofort schabt er mit dem Finger eine Raupe hervor und löffelt sie ins Maul. Auch diesmal brauchen die Herren nur zwei Minuten zum Fressen.

Spannend geht es auch in der Kiwi-Zucht-Station, die im Betriebsgebäude außerhalb des Zoogeländes untergebracht ist, zu. Der Frankfurter Zoo ist einer der wenigen Züchter des neuseeländischen Wappentiers. Mit seinem schmalen Schnabel frisst der flugunfähige Vogel meist Würmer. Zehn davon stehen auch in Hessen auf dem Speiseplan. Die kräftigen Vögel brauchen aber mehr Proteine, da es sich um Küken handelt. Parys, die seit ihrer Ausbildung 1983 im Zoo arbeitet, füttert deshalb Rindfleisch in schmalen Streifen. Sie zieht das Kiwi-Gyros durch einen Babybrei, dazu kommen Vitamine und Mineralien. „Das Fleisch wird praktisch eingeschleimt“, sagt Parys.

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Ein Kiwiküken schnappt sich den vermeintlichen Wurm. Es wirft den Kopf in den Nacken und klackert mit dem Schnabel, um die Nahrung in Richtung Rachen zu bewegen. Parys streichelt sein Gefieder. Es wirkt wie ein Fell aus langen, strähnigen Haaren. Der Geruch beißt in der Nase. Die 48-jährige Pflegerin wiegt den Vogel anschließend und dokumentiert die Ergebnisse. „Einen echten Bürojob könnte ich mir schwer vorstellen“, sagt sie. „Allerdings stecken auch hier viele Verwaltungsaufgaben dahinter.“

Das alles erzählt sie im Laufschritt. Gerade mal vier Stunden ihrer Schicht sind beendet. Sechs Kilometer hat sie bereits zurückgelegt. Sie muss zurück in den Futterraum. Dort türmen sich inzwischen 20 Kilogramm Äpfel, 20 Kilogramm Bananen und verschiedene Südfrüchte. Obst und Gemüse sind erste Wahl. Die Melonen duften nach Honig. Die Kaktusfeigen sind in Kunststoff eingehüllt, um Druckstellen zu vermeiden. Auf Futterspenden verzichtet der Zoo. „Wir müssten zuerst sortieren“, erklärt Parys, während sie im Akkord Äpfel schält. „Dazu kommen die Kosten für Müll. Alles in allem würde es sich kaum lohnen. Außerdem wissen wir so, ob Pestizide verwendet werden.“ Sie wäscht sämtliche Früchte heiß ab und portioniert. Wieder achtet sie auf die dezidierten Vorlieben der Tiere: Für die Quolls, Beutelmarder aus Australien, zerteilt sie eine Ratte und garniert mit einem Küken. Die fruchtfressenden Fledermäuse aus Südamerika bekommen ein Fruchtpüree, das optisch an Porridge erinnert.

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Die Fütterung von Batmans kleinen Freunden wirkt wie eine Mutprobe. In der Fledermaushöhle wirbeln 500 Tiere umher. Wie ein Tornado aus Flügeln, Schnauzen und Fell zischen die Tiere durcheinander. Parys betritt den Raum. Immer wieder wirbelt ihr Haar vom Luftzug eines kleinen Flugsäugers durcheinander. Mehrfach dreht ein Tier kurz vor der Kollision ab. „Ihr Echolot funktioniert sehr gut“, erklärt Parys. „Eigentlich kommt es nie vor, dass man berührt wird.“ Sie navigieren in Perfektion durch die Dunkelheit. In den Ecken sammelt sich kaum verdautes Obst und verströmt einen vergorenen Duft. Die Höhlenreinigung gehört beim Personal nicht gerade zu den beliebtesten Aufgaben. „Im Prinzip kommt das Obst so raus, wie es reingeht“, sagt Parys und lacht, während sie sich ein Stückchen Banane vom Scheitel pflückt.

Fingertiere, Kiwis und Fledermäuse sind wie viele andere Arten im Grzimek-Haus (beispielsweise Faultiere, Gürteltiere, aber auch kleine Affen wie Makis) echte Futterspezialisten. Andere haben im Laufe ihres Zoolebens eigene Marotten entwickelt.

Elvis hat beispielsweise eine untypische Vorliebe entdeckt. Elvis ist ein Erdferkel und Parys Lieblingstier. Parys möchte ihn zum Fototermin locken und sucht nach einer Avocado. „Das ist ein Bonbon für ihn“, sagt sie. Das Erdferkel lugt aus seiner Schlafhöhle heraus. Zunächst streckt es nur seinen Rüssel um die Ecke. Elvis sieht schlecht, riecht dafür aber umso besser. Langsam bewegt er sich um die Ecke, setzt bedächtig einen Fuß neben den anderen. Kaum bei Parys angekommen, schießt seine lange, breite Zunge aus dem Rüssel. Mit kräftigen Zungenschlägen lutscht er das Fruchtfleisch. Bei seinen wilden Artgenossen, die in ganz Afrika südlich der großen Wüsten vorkommen, stehen nur Termiten auf dem Speiseplan – 50 000 täglich. Der Zoo könnte eine solche Masse an Insekten überhaupt nicht züchten. Für Elvis gibt es deshalb oft getrocknete Maden in Babybrei.

Für Parys endet der Tag am späten Nachmittag. Die Tierpfleger haben sehr intime Beziehungen zu ihren Schützlingen. Die Mitarbeiter sind – abgesehen von den Pausen – ständig auf Achse. Putzen, Füttern, Beschäftigung. Sie eilen meistens durch die Gänge. Angestrengt wirkt trotz des enormen Pensums aber niemand. Im Gegenteil, Parys genießt ihre Arbeit und sagt: „Trotz der Hektik bleiben alle entspannt. Das wirkt sich auch auf die Tiere aus.“ Die verkriechen sich langsam wieder in ihren Schlafhöhlen. Es ist 17 Uhr. Gleich geht in Frankfurt die Sonne auf.