Der Tod steht auf dem Stundenplan

Auch der Bestatternachwuchs muss gut ausgebildet werden: Bestattermeisterin Diana Pick erklärt einem Schüler an der Bestatterschule in Münnerstadt, wie man Särge pietätvoll für Trauerfeiern schmückt. Blumen dürfen auf keinen Fall fehlen. Foto: Silke Bauer
Auch der Bestatternachwuchs muss gut ausgebildet werden: Bestattermeisterin Diana Pick erklärt einem Schüler an der Bestatterschule in Münnerstadt, wie man Särge pietätvoll für Trauerfeiern schmückt. Blumen dürfen auf keinen Fall fehlen. Foto: Silke Bauer

Sie heben Gräber aus, dekorieren Särge und kümmern sich um die hygienische Versorgung der Toten. Am Bundesausbildungszentrum der Bestatter im fränkischen Münnerstadt perfektioniert der Nachwuchs sein Handwerk. Die Bestattermeisterin Diana Pick aus dem Hunsrückdorf Rhaunen ist dort Dozentin. Wir begleiteten sie zwei Tage lang im Unterricht und sahen uns die deutschlandweit einzige Bestatterschule einmal genauer an.

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Von unserer Reporterin Silke Bauer

Der Freimaurer ist tot. Ein Herzinfarkt hat ihn dahingerafft. Weinend sitzt seine Witwe dem Bestatter gegenüber und klagt ihm ihr Leid. „Wir waren 40 Jahre lang verheiratet“, schluchzt die Frau. In die Trauer um den Gatten mischt sich auch Frust: „Ich glaube, er hatte eine Gespielin. Und den ,Playboy' abonniert. Irgendjemand muss das Abo kündigen.“ Bestatterlehrling Adrian nickt mitfühlend und verspricht ihr, sich um alles zu kümmern.
Was zunächst anmutet wie die Probe einer Laienschauspieltruppe, hat einen ernsten Hintergrund. Die Auszubildenden am Bundesausbildungszentrum der Bestatter in Münnerstadt lernen in simulierten Beratungsgesprächen, wie sie trauernde Angehörige einfühlsam, aber dennoch professionell beraten. Denn die Menschen, mit denen Bestatter tagtäglich zu tun haben, befinden sich in einer emotionalen Ausnahmesituation. Pietät und Respekt gegenüber den Hinterbliebenen und den Verstorbenen sind das oberste Gebot.
Die scheinbar verzweifelte Frau, die Adrian am Tisch gegenübersitzt, ist keine echte trauernde Witwe, sondern die Dozentin Diana Pick, die ihre Schüler im simulierten Beratungsgespräch auf Herz und Nieren prüft. Die 37-jährige Bestattermeisterin ist eine von rund 60 Fachexperten, die ihr Wissen und ihre langjährige Berufserfahrung in Münnerstadt an den Bestatternachwuchs weitergeben.
Mehrmals im Jahr findet dort Blockunterricht statt, in dem die Inhalte, die die Azubis in ihren Betrieben lernen, vertieft werden. Im Juli ist Abschlussprüfung, und bis dahin gibt es noch einiges zu tun. Diana Pick leitet den 13-köpfigen Kurs zusammen mit ihrem Kollegen Manfred Pungert. Wer hier bestehen will, braucht starke Nerven, denn es sind vor allem die Ausnahmesituationen im Berufsalltag, die geprobt werden. Tote Babys, Selbstmörder, streitende Angehörige, Trauerfeiern ohne Leichnam und verblichene Obdachlose fordern die schauspielerischen Fähigkeiten der beiden Dozenten heraus und lassen so manchen Azubi sprach- und ratlos zurück. „Solche extremen Fälle kommen in der Realität natürlich nur selten vor“, sagt Diana Pick. „Aber die Übungen dienen automatisch auch der Vorbereitung auf die normalen Fälle.“ Routine ist das Ziel.
Zwischen den einzelnen Beratungsgesprächen hagelt es Fragen. „Was brauche ich als Erstes, wenn ich einen Leichenpass beantrage?“, ruft Pungert in den Raum. „Todesbescheinigung, Sterbeurkunde und Melderegisterauskunft des Verstorbenen“, antwortet ein Schüler wie aus der Pistole geschossen. Wer Bestatter werden will, muss mit einem breit gefächerten Wissen aufwarten: Wie sehen Freesien aus? In welchen Farben gibt es die Blumen? Worauf muss man bei einer Beisetzung in einer begehbaren Gruft achten? Wo wird beurkundet, wenn jemand in einem Bergwerk verstorben ist? Kann man ein Erbe ausschlagen? Wann darf ein toter Mensch überführt werden? Und wer trägt überhaupt die Kosten für eine Bestattung? Während Picks und Pungerts Schüler sich an der Theorie den Kopf zerbrechen, ist im Hygieneraum ein Stockwerk tiefer, wo es stark nach Desinfektionsmittel riecht, eine weitere Klasse mit etwas ganz anderem beschäftigt: Rund 15 Augenpaare verfolgen gebannt, wie eine junge Frau und ein junger Mann ihre Hände in gelbliche Gummihandschuhe zwängen und einen lebensgroßen Dummy vom Totenbett auf eine Bahre hieven.
Keine einfache Aufgabe, denn die Puppe wiegt tatsächlich so viel wie ein erwachsener Mensch. Dozent Fritz Mertens, ein junger Mann mit schwarzer Hornbrille und modischem Undercut, mimt den trauernden Sohn, der gerade seinen Vater verloren hat. Aufmerksam beobachtet er, wie die beiden Azubis den Dummyleichnam zudecken, auf der Bahre festschnallen und den Reißverschluss des schwarzen Leichensacks zuziehen, der in der Fachsprache als Überführungstrage bezeichnet wird. Dann schieben sie den toten Plastikvater aus dem Raum.
Am Ende der Übung steht eine Feedbackrunde. „Man sollte den Angehörigen immer erklären, was man da gerade macht“, empfiehlt Mertens den beiden Azubis. „So strahlt man Sicherheit und Professionalität aus.“ Der sensible Umgang mit den Trauernden ist wichtig. Und so gibt es noch einen weiteren Kritikpunkt: „Nachdem Sie von den Angehörigen an der Tür begrüßt worden sind, preschen Sie nicht gleich nach vorn. Lassen Sie sich von den Verwandten zeigen, wo sich der Verstorbene befindet. Die paar Minuten sollten Sie sich nehmen.“ Die beiden Azubis nicken, und dann ist es auch schon Zeit für die erste Pause des Tages.
Vor dem Gebäude wird es jetzt voll. Kleine Grüppchen bilden sich, Feuerzeuge klacken, Zigarettenqualm wabert über den Hof. Wird man als Bestatter eigentlich immun gegen Ängste vor Krankheit und Tod? „Ich habe gar keine Angst vor dem Tod“, sagt der 19-jährige Maurice, der an Diana Picks Kurs teilnimmt. „Aber vor dem Sterben schon.“ Wie viele andere Auszubildende ist auch Maurice zufällig in den Beruf gerutscht, nach der Schule absolvierte er ein Praktikum bei einem Bestatter und fand Gefallen an der Arbeit, die oftmals aber auch sehr belastend sein kann. „Es gibt schon Fälle, die mir nahegehen“, sagt er. „Wenn man die Verstorbenen zum Beispiel kennt. Einmal musste ich ein Kind bestatten, das erwürgt wurde. Das war schlimm. Und dann die ganzen Leute, die bei Motorradunfällen sterben.“ Trotzdem fährt er selbst Motorrad. Hobbys sind sowieso enorm wichtig in diesem Beruf, findet er. In der Freizeit hat der Tod nichts zu suchen. Seine Mitschülerin Claudia, eine junge Frau mit pinkfarbenem Pulli, raucht gerade eine Zigarette und hat gehört, was Maurice erzählt hat. „Es gibt schon schlimme Sachen“, bestätigt sie. „Wenn sich zum Beispiel jemand aufhängt oder aus dem Fenster fällt.“ Der Bestatterberuf ist längst kein reiner Männerberuf mehr, es gibt viele weibliche Auszubildende. „Frauen sind oft sensibler, während die Männer mehr Körperkraft haben“, sagt sie. „In meinem Betrieb haben wir aber auch schon mit mehreren Frauen Verstorbene abgeholt. Das war kein Problem für uns. Eine der Mitarbeiterinnen ist kräftig und kann gut anpacken.“
Die Pause ist vorbei; Diana Pick und Manfred Pungert mimen jetzt ein zerstrittenes Geschwisterpaar, das die Mutter verloren hat. Azubine Claudia obliegt es, die Beerdigung zu planen und die Wogen zwischen den Streithähnen zu glätten. Mit wüsten Worten beschimpft die Schwester den Bruder. Die Schüler lachen. Doch Claudia bleibt professionell: „Klären Sie Ihre Zwistigkeiten bitte außerhalb des Instituts“, weist sie die beiden mit ruhiger Stimme, aber bestimmt an. Auch die Annäherungsversuche des Bruders, der einen Nachtklub leitet, hebelt sie souverän aus. Claudias Professionalität zahlt sich aus: „Tipptop“, lautet das Urteil von Pick und Pungert nach dem Gespräch. Claudia ist gewappnet für die Prüfung im Juli.
Da müssen die Azubis zeigen, was sie theoretisch und praktisch draufhaben. „Lernen Sie die Gesetze“, rät Diana Pick ihren Schützlingen. Die sind von Bundesland zu Bundesland verschieden. „Bitte die Jahreszahlen im Kopf haben“, fügt Pungert hinzu. Auch die Gestaltung des Beratungstischs, an dem der Prüfer als Trauernder Platz nehmen wird, will geplant sein: „Bringen Sie eine Packung Taschentücher und eine Flasche Wasser für Ihr Gegenüber mit. Ein Teelicht ist auch gut, das beruhigt und wärmt.“ Das Seminar ist jetzt zu Ende. Nach vier Wochen Blockunterricht in Münnerstadt freuen sich die 13 Azubis auf die Heimfahrt gen Norden, von wo die meisten kommen.
Die jungen Leute haben Diana Pick ins Herz geschlossen, zum Abschied schenken sie ihr eine Karte, die sie alle unterschrieben haben. Ein kleiner gezeichneter Grabstein prangt auf der Vorderseite. Am Schluss stehen Pungerts Worte: „Bleiben Sie schön gesund, und passen Sie auf sich auf.“

Wissenswertes

Das Bundesausbildungszentrum, auch Theo-Remmertz-Akademie genannt, wurde 2005 in Münnerstadt eröffnet. Den Lehrfriedhof gibt es schon seit 1994, seitdem ist die unterfränkische Ortschaft Mittelpunkt der beruflichen Aus- und Fortbildung im Bestatterhandwerk.
In Rheinland-Pfalz waren im Jahr 2014 insgesamt 258 hauptgewerblich tätige Bestattungsinstitute angemeldet. 2014 sind in Rheinland-Pfalz 44 307 Menschen verstorben.
Der Bestatterverband Rheinland-Pfalz ist dem Bundesverband Deutscher Bestatter angegliedert und sitzt in Düsseldorf. In Rheinland-Pfalz gibt es ausreichend Bestatter, betont Geschäftsführer Christian Jäger.