St. Goarshausen

Stundenlange Bergung am Loreleyfelsen – Havarie-Taucher suchen

Sie interessiert das alles nicht. Die Nixengestalt hockt an der Spitze der Mole, direkt unterhalb des berühmt-berüchtigten Loreleyfelsens, nach dem sie auch benannt ist. Unbewegt betrachtet sie das Geschehen auf dem Wasser.

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St. Goarshausen. Sie interessiert das alles nicht. Die Nixengestalt hockt an der Spitze der Mole, direkt unterhalb des berühmt-berüchtigten Loreleyfelsens, nach dem sie auch benannt ist. Unbewegt betrachtet sie das Geschehen auf dem Wasser.

Das Hochwasser steigt und es tritt doch – entgegen allen vorherigen Meldungen – Schwefelsäure aus der gekenterten TMS „Waldhof“ aus – die Situation am Fuße der Loreley kann man per RZ-WebCam beobachten.

RZ-WebCam

Hilfsdienste wie das THW versorgen die Bootsleute vom Ufer aus, das herrschende Hochwasser auf dem Rhein macht derzeit alles schwieriger.

Suzanne Breitbach

Frischwasser wurde am Samstagnachmittag im Hafen Hunt in St. Goar durch das THW in den Tank an Bord des Bootes verladen ebenso wiee Lebensmittel, um die Rheinschiffer, denen die Reserven knapp wurden, zu versorgen.

Suzanne Breitbach

Nach der Havarie des Schwefelsäure- Tankschiffs am Donnerstag stauen sich auf dem Rhein, hier an der Uferstraße bei Bad Salzig, die mit Containern beladenen Frachtschiffe.

Thomas Frey, dpa

3400 Tonnen hochgiftige Substanz mit Stahlmantel liegen im Hochwasser führenden Rhein – auch für Experten ein kaum kalkulierbares Risiko.

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Einsatzkräfte auf dem Rumpf der gekenterten „TMS Waldhoff“ : Die Experten suchen nach einer Strategie, die es erlaubt, das Schiff mit seiner giftigen Fracht gefahrlos ans Ufer zu ziehen.

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Größtes Risiko: Was passiert, wenn der Tanker auseinander bricht und die Säure unkokntrolliert in den Rhein fließt?

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Ein außerordentlicher Termin auch für Ministerpräsident Beck: Er kam schon am Mittag an die Unglücksstelle und informierte sich über die Lage.

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Erste Auswertungen zeigen, dass das Schiff völlig normal gefahren war, bevor es am frühen Donnerstagmorgen vom Radar verschwand. Seither liegt es – nun eingermaßen stabil fixiert – im Rhein.

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Die Taucher der Freiwilligen Feuerwehr Lahnstein, als sie von mehreren Überwachungsfahrten am Havaristen an der Loreley zur Einsatzleitung zurückkehrten.

dpa/Suzanne Breitbach

Um das Schiff zu bergen, wird nun ein Expertenteam gebildet, dem auch Fachleute eines Spezialunternehmens aus Bulgarien angehören sollen.

dpa/Suzanne Breitbach

Aus Duisburg und Rotterdam sollen nach Angaben von Beck vier Kräne herbeigeschafft werden, die in der Lage sind, solche schweren Lasten zu heben.

dpa

Schlepper versuchen am Donnerstag den gekenterten Tanker auf dem Rhein abzuschleppen.

dpa/Suzanne Breitbach

Die Unglücksstelle in einer Kurve ist ein Nadelöhr, das für die Schifffahrt als sehr anspruchsvoll gilt.

dpa/Suzanne Breitbach

Das Hochwasser am Nadelöhr des Mittelrheins macht die Fixierung des Schiffes noch schwerer – leichter Säureaustritt.

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Das Hochwasser macht die Schifffahrt direkt an der Loreley-Skulptur noch schwieriger.

dpa/Suzanne Breitbach

An der Einfahrt zum Hafen St. Goarshausen hat sich der Krisenstab aufgebaut.

dpa/Suzanne Breitbach

Der Rhein an dieser für die Schiffahrt besonders schwierigen Stelle ist gesperrt.

dpa/Suzanne Breitbach

Der Bereich Boppard bis Oberwesel ist für den Schiffsverkehr voll gesperrt, an zahlreichen Liegeplätze wie in Bad Salzig ankern die Rheinschiffer.

dpa/Suzanne Breitbach

Das Hochwasser am Nadelöhr des Mittelrheins macht die Fixierung des Schiffes noch schwerer – leichter Säureaustritt.

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Zudem befinden sich zwei vermisste Männer wahrscheinlich im Innern des Tankers, die zuerst geborgen werden sollen.

dpa/Suzanne Breitbach

Für die Rettungskräfte war es neben der Suche nach den Vermissten die Hauptanforderung, den Havaristen gegen Abtreiben zu sichern.

dpa/Suzanne Breitbach

Es werden Drähte am Rumpf angebracht, um das sich leicht bewegende Schiff festzuzurren.

dpa/Suzanne Breitbach

Derzeit ist es in der Fahrrinne stabilisiert.

dpa/Suzanne Breitbach

Wie ein erlegter Wal treibt dort die „Waldhof“ mitten im Fluss, umkreist von kleineren und größeren Booten, die nach Lebenszeichen der zwei verbliebenen Besatzungsmitglieder suchen – und nach einem Weg, das mehr als 3000 Tonnen schwere Hindernis aus der Fahrrinne zu bekommen.

Ein außerordentlicher Termin auch für Ministerpräsident Beck: Er kam schon am Mittag an die Unglücksstelle und informierte sich über die Lage.
Ein außerordentlicher Termin auch für Ministerpräsident Beck: Er kam schon am Mittag an die Unglücksstelle und informierte sich über die Lage.
Foto: dpa

Bei der Ursachenforschung für das Unglück scheint Heinrich Heine tatsächlich die beste Antwort zu liefern. „Ich glaube, die Wellen verschlingen/ Am Ende Schiffer und Kahn/ Und das hat mit ihrem Singen/ Die Lore-Ley getan.“ So heißt es in seinem berühmten Gedicht über die Sagengestalt. Eine bessere Erklärung für die Havarie hat Martin Mauermann, Amtsleiter der Wasser- und Schifffahrtsdirektion Bingen, bis jetzt auch nicht. „Das Schiff fuhr ganz normal, überschritt auch nicht die erlaubte Höchstgeschwindigkeit. Und plötzlich war es vom Radar verschwunden.“ Dass der Kapitän die schwierige Loreleypassage unter- oder gar falsch einschätzte, kann wohl ausgeschlossen werden. Denn wer die Strecke nicht kennt, wird gar nicht erst als Kapitän auf dem Rhein zugelassen.

Inzwischen haben die meisten der Boote von dem gekenterten Ungetüm abgelassen. Die anwesenden Kameraleute stürzen auf die kleinen Motorboote zu, aus denen Taucher klettern. Die Bilder von den Froschmännern werden symbolisch für die erfolglose Suche nach den zwei vermissten Besatzungsmitgliedern stehen. Über Stunden zieht sich die Suche nach den beiden hin, die noch im Inneren des Schiffes vermutet werden, die Hoffnung auf ihr Überleben ist gering.

Es ist auch der mutmaßliche Tod der beiden Schiffer, der den Unfall zu einem der größten Schiffsunglücke macht, die es auf dem Rhein in jüngerer Zeit gegeben hat. Zahlreiche Schaulustige beobachten von beiden Rheinufern die Rettungs- und Bergungsarbeiten, obwohl sie sich über Stunden hinziehen, in denen kaum etwas zu passieren scheint. Auf der Straße reihen sich dafür immer mehr Rettungsfahrzeuge aneinander, rote Feuerwehrwagen, blaue Unimogs des THW, weiße Krankenwagen. Spektakuläre Bilder gibt es, als ein Hubschrauber in geringer Höhe durchs Mittelrheintal rauscht. Irgendwann gelingt es den Rettungskräften, das Schiff mit Stahltauen am Ufer zu befestigen, sodass die Taucher ihre wagemutige Suche nach den Vermissten fortsetzen können.

Am Ufer übernimmt nun ein anderer das Kommando. Ministerpräsident Kurt Beck trifft gegen 14.45 Uhr im Lagezentrum ein. Für gut eine halbe Stunde verschwindet er mit den Einsatzleitern in einem roten Container und lässt sich auf Stand bringen. Dann tritt er vor die Presse und spricht über die chemischen Eigenschaften von Schwefelsäure und die komplizierte Schiffsbergung, als gehörten derartige Einsätze zum Tagesgeschäft eines Ministerpräsidenten.

Es ist vor allem der Inhalt des Schiffs, der die Havarie jetzt zur Chefsache macht. 2400 Tonnen 98-prozentige Schwefelsäure befinden sich noch immer in den Tanks und machen die Bergearbeiten unberechenbar. „Wenn Wasser in das Schiff eindringt, kann es zu heftigen chemischen Reaktionen kommen, die auch dazu führen können, dass das Schiff auseinanderbricht“, führt Beck aus. Es könnte nötig sein, giftige Schwefelsäure in den Rhein abzupumpen. „Den Mut zu dieser Entscheidung müssen wir haben, wenn sich damit ein größeres Unglück verhindern lässt“, spricht Beck, der Krisenmanager.

Als die Dunkelheit einbricht, müssen die Taucher ihre Suche abbrechen; von den beiden Vermissten keine Spur. Der trübe Rhein gurgelt um das Schiffswrack. Die Nixengestalt blickt stumm auf den Fluss.

Von unserem Reporter Moritz Meyer