Koblenz

Soziologe Stefan Sell: Praktikumsregelung kann schlechtere Bedingungen für Flüchtlinge bringen

Der Soziologe Peter Sell weist darauf hin, dass die Rechte, die ein Arbeitnehmer genießt, in der neuen Praktikums-Regelung für Flüchtlinge ausgehebelt würden und der Weg in ein Angestelltenverhältnis komplizierter erscheint.
Der Soziologe Peter Sell weist darauf hin, dass die Rechte, die ein Arbeitnehmer genießt, in der neuen Praktikums-Regelung für Flüchtlinge ausgehebelt würden und der Weg in ein Angestelltenverhältnis komplizierter erscheint. Foto: dpa

In ihrem ursprünglichen Plan sah die CDU vor, Flüchtlinge bei der Integration auf dem Arbeitsmarkt mit Langzeitarbeitslosen zu vergleichen, mittlerweile will sie sie eher wie Praktikanten einstufen – von der SPD werden beide Varianten kritisch beäugt. Wir haben bei einem Soziologen nachgefragt.

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Im Interview spricht Prof. Stefan Sell von der Hochschule Koblenz über den ursprünglichen und den erneuerten Plan der CDU, über eine mögliche längere Schulpflicht und Hürden für das Aufenthaltsrecht von Flüchtlingen.

Die CDU wollte ursprünglich den Mindestlohn für Flüchtlinge für einen Zeitraum von sechs Monaten aussetzen, ähnlich wie für Langzeitarbeitslose. Was sagen Sie dazu?

Die CDU beruft sich darauf, dass diese Möglichkeit auch für Langzeitarbeitslose gilt, verkennt aber, dass Arbeitgeber von dieser Möglichkeit bei dieser Personengruppe bislang kaum Gebrauch machen. Es gibt deutschlandweit vielleicht eine Handvoll Fälle, in denen Langzeitarbeitslose nach Wiederaufnahme einer Tätigkeit unter dem Mindestlohn bezahlt werden.

Nun will die CDU nur noch die Praktika ohne Mindestlohn für Flüchtlinge verlängern. Ist das unproblematischer?

Auf den ersten Blick scheint das kein Problem mehr zu sein. Aber es lohnt, genauer hinzuschauen: Im alten Modell wäre der Flüchtling eingestellt worden und man hätte in den ersten sechs Monaten – maximal ein Drittel – unter Mindestlohn zahlen können. Jetzt kann man ihn als Praktikanten beschäftigen, für die es überhaupt keine Vergütungsregelungen gibt. Die Asylberechtigten fallen in die Zuständigkeit der Jobcenter und bekommen Hartz-IV-Leistungen. Wenn man nach dem Praktikum eine Einstellung vornimmt, muss man zwar Mindestlohn zahlen, die ersten sechs Monate sind dann aber Probezeit im „neuen“ Arbeitsverhältnis. Möglicherweise besteht die Gefahr, dass die Praktikums-Regelung im Ergebnis zu schlechteren Bedingungen führt als der ursprüngliche Plan. Denn der Arbeitgeber ist ja nicht verpflichtet, den Praktikanten einzustellen.

Die CDU hat auch eine längere Schulpflicht für Flüchtlinge in Gespräch gebracht.

Warum ist das nicht schon längst passiert? Der Vorschlag ist an sich gut. Wenn Flüchtlinge in das deutsche Ausbildungssystem integriert werden, was entsprechende Sprachkenntnisse voraussetzt, dann wird die notwendige Schulbildung und Berufsausbildung an die erste Stelle gerückt, was sehr zu begrüßen wäre. Dann müssen aber auch die notwendigen Schulplätze geschaffen werden. Man sieht hier eine gewisse Ambivalenz: Einerseits sollen Flüchtlinge wie Langzeitarbeitslose mittels einer Aussetzung des Mindestlohns schnell in den Arbeitsmarkt integriert werden und andererseits wird von einer Verlängerung der Ausbildungszeit gesprochen. Und man sieht, dass über viele Dinge monatelang gesprochen wird, dass Forderungen gestellt werden, doch wenn es an die Umsetzung geht, hakt es.

Sind Hürden für ein unbefristetes Aufenthaltsrecht sinnvoll, wie die CDU sie gefordert hat?

Die Erfahrung mit Nicht-Integrierten in der Vergangenheit zeigt, dass es richtig ist, auf Deutschkenntnisse und Kenntnisse über die Rechts- und Gesellschaftsordnung in Deutschland zu setzen. Wenn es um mögliche Sanktionen geht, müssen aber große Fragezeichen gesetzt werden: Wer kontrolliert das? Und was passiert, wenn jemand dagegen verstößt? Es wird oft gefordert, dass derjenige dann abgeschoben werden muss, aber das ist nicht leicht, wenn etwa das Heimatland des Betroffenen ihn nicht wieder aufnimmt. Das sind praktische Probleme und diese Fragen müssen beantwortet werden. Ansonsten bleiben die Forderungen nach den Hürden für ein unbefristetes Aufenthaltsrechts nichts weiter als eine Maßnahme, um den Menschen in Deutschland zu suggerieren, dass man sich um das Thema kümmert.

Das Gespräch führte unser Reporter Christoph Erbelding