Serie Europa – fünf Jahre später

Europa - fünf Jahre später Foto: picture alliance

Noch rechtzeitig, bevor zwischen dem 22. und dem 25. Mai die Wahllokale für die rund 400 Millionen Wahlberechtigten in den 28 EU-Mitgliedstaaten öffnen, hat die Gemeinschaft ihr großes Zukunftsprojekt fertiggestellt: die Bankenunion.

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Von unserem EU-Korrespondenten Detlef Drewes

Es sah also eigentlich ganz gut aus, als die Wahlkampfmanager des Europäischen Parlamentes genau 100 Tage vor dem Urnengang ihre Strategie präsentierten. Doch inzwischen steht die EU zum zweiten Mal innerhalb der vergangenen Jahre vor einer historischen Herausforderung. Denn die Vorfälle in der Ukraine zwingen die Mitgliedstaaten zu größtmöglicher Geschlossenheit, in den zurückliegenden Jahren nicht unbedingt eine Stärke der EU-Familie.

Dabei wussten weder die Regierungen noch die Bürgerinnen und Bürger Anfang Juni 2009, als 43 Prozent der Wahlberechtigten zu letzten Europawahl gingen, dass zwar die Bankenkrise weitgehend geschafft war, ihnen jedoch die nächste Prüfung noch bevorstand: der Kampf um den Euro und gegen die Pleite gleich mehrerer hoch verschuldeter Mitgliedstaaten.

Krise scheint überwunden

Zwei Griechenland-Rettungspakete, zwei Rettungsschirme und eine Bankenunion später scheint die Finanzkrise überwunden. Niemand hatte vor fünf Jahren geglaubt, dass es gelingen würde, jedes Finanzprodukt, jeden Finanzplatz und jeden Finanzakteur einer neuen Kontrolle zu unterwerfen. Dass inzwischen selbst Kritiker die gewachsene Stabilität der Geldinstitute loben, von denen viele ihr Eigenkapital auf sichere 5,5 Prozent aufgestockt haben, ist eine echte Überraschung. Die Boni für Banker wurden gedeckelt, die Einlagensicherung garantiert selbst bei einem Totalverlust jedem Sparer, dass er zumindest bis zu 100.000 Euro seines Geldes zurückbekommt. Hedge-Fonds wurden an die Leine gelegt, die oftmals dubiosen Bonitätsprüfungen der Ratingagenturen, die mit ihren Gutachten zum ungünstigen Zeitpunkt ganze Staaten ins Wanken gebracht hatten, unterliegen nun einer strikten Kontrolle. Selbst in den Hochfrequenzhandel hat die EU eingegriffen und die Computer, die bei diesem Geschäft quasi selbstständig untereinander Papiere kaufen und verkaufen, wurden ausgebremst.

„Wir haben viel erreicht“, sagt Kommissionspräsident José Manuel Barroso gerne über die Arbeit, die nicht nur die Kommission oder der Ministerrat, sondern auch das Parlament hinter sich haben. Genau 200 Sitzungswochen saßen die derzeit 766 Volksvertreter in Straßburg und Brüssel zusammen – und sie haben sich nicht nur bei der Abschaffung der Roaminggebühren ab 2015 als mächtige Anwälte der Verbraucher gezeigt. Vor allem bei einem Thema, von dem niemand mahnen konnte, dass es so sehr hochkochen würde, waren sie anfangs sehr resolut: dem Datenschutz. Schon kurz nach der ersten Sitzung 2009 blockierte das Plenum ein Abkommen über den Austausch von Bankdaten mit den Vereinigten Staaten, weil die Rechte der Bürgerinnen und Bürger zu eklatant geopfert worden waren. Washington musste nachgeben. Nach den Enthüllungen des einstigen Mitarbeiters des US-Geheimdienstes NSA, Edward Snowden, waren es wieder die Abgeordneten, die erst einen Untersuchungsbericht und dann eine neue Datenschutz-Reform ins Spiel brachten. Da wurden Vereinbarungen (wie das Safe-Harbour-Abkommen mit den USA, bei dem Firmen im Rahmen einer Selbstverpflichtung die Einhaltung des EU-Datenschutz-Standards versprechen,) ausgesetzt. Die Internet-Riesen Google, Microsoft, Apple & Co liefen Sturm, weil sie fortan nicht mehr persönliche Daten der Europäerinnen und Europäer erheben und in die USA exportieren konnten. Die EU machte dicht.

Selbstbewusstes Parlament

In den vergangenen fünf Jahren hat sich diese Gemeinschaft weitreichend verändert. Die Macht verschob sich infolge des Lissabonner Vertrages, der 2009 in Kraft trat. Mehr als einmal standen Kommission sowie die Staats- und Regierungschefs völlig konsterniert vor einem vor Selbstbewusstsein nur so strotzenden Parlament, das plötzlich nicht nur beim Geld, sondern auch bei der Wahl des Kommissionspräsidenten, bei der Agrarreform oder der inneren Sicherheit mitredete. „Wir haben gelernt“, sagte vor wenigen Tagen ein Abgeordneter in einem Hintergrundgespräch, „dass wir wirklich etwas zu sagen haben. Und dass ohne oder gegen uns nichts geht.“

Doch die Erfolgsbilanz fällt keineswegs ungetrübt aus. Das Seelenleben der Union hat gelitten, nachdem gleich mehrfach bei Wahlen in den Mitgliedstaaten europakritische Parteien oder Gruppierungen und auch rechte Gegner mit Anti-Brüssel-Wahlkämpfen große Erfolge erzielen konnten. Dass ausgerechnet der konservative britische Premierminister David Cameron ein Referendum über den Verbleib seines Landes in der Union für 2017 ankündigte, empfand man in Brüssel wie ein Misstrauensvotum. Um ihm entgegenzukommen, wurde nicht nur die Polemik schärfer. Man schritt auch zur Tat. So dürfen die Mitgliedstaaten seit einigen Monaten die Schlagbäume länger als bisher wieder herunterlassen, wenn sie sich von Flüchtlingen überrollt fühlen. Wachsende Aversionen gegen so genannte Armutsflüchtlinge aus weniger entwickelten Mitgliedstaaten im Osten schürten Emotionen und Ablehnung. Als Kroatien Mitte 2013 als 28. Mitglied zur EU stieß, war von der Begeisterung der großen Osterweiterung 2004 längst nichts mehr zu spüren. Europa begann sich einzuigeln. Gegen den Strom derer, die von Afrika aus über das Mittelmeer kamen, schickte Brüssel die Marine, die Küstenwache und zum Schluss moderne Satelliten. Das Ziel des geballten Einsatzes war nicht die Sicherstellung einer reibungslosen Flucht, sondern die rasche Zurückweisung.

Zwiespältige Bilanz

Trotzdem wurden die Errungenschaften der Europäischen Union 2012 ausgezeichnet: Für die Aussöhnung verfeindeter Völker erhielt die EU den Friedensnobelpreis. Zwar leistete man sich prompt einen peinlichen Streit um die Frage, wer denn nun eigentlich der Glückliche sein solle, der diese Auszeichnung entgegennehmen dürfe. Am Ende reisten Parlamentspräsident Martin Schulz, Kommissionschef José Manuel Barroso und Ratspräsident Herman Van Rompuy nach Oslo. Es war ihr größter Auftritt – und sie mussten nicht mal eine Rede halten.

Die Bilanz 2009 bis 2014 fällt zwiespältig aus. Europa mag gewachsen sein, aber ob es schon genügend Gewicht hat, um die „größte Krise seit dem Endes des Kalten Krieges“ (Bundeskanzlerin Angela Merkel zu den Vorgängen rund um die Ukraine) abzuwenden, muss sich erst noch zeigen. „Wie lange wollen Sie denn noch abwarten, ehe Sie das Vorrücken Russlands in Richtung EU stoppen wollen?“, fragte der neue ukrainische Ministerpräsident Arseni Jazenjuk beim Treffen mit den Staats- und Regierungschefs im Februar? Europa müsse geschlossen auftreten, lautete deren Forderung an sich selbst. Es klang wie ein Programm für die nächsten fünf Jahre.